Wie immer man auch zur Birkenstock-Sandale steht – das Design kennt wohl jeder. Nun prüft der BGH, ob die Schuhe auch Kunstwerke sind.

Als in den 1960er Jahren die erste Birkenstock-Sandale vorgestellt wurde, war von dem heutigen Erfolg der Marke zunächst nichts zu ahnen. Doch Jahrzehnte später hat sich die Gesundheitssandale zum Trendschuh entwickelt. Nach Ansicht des Modeunternehmens sind die Sandalen sogar Werke der Kunst und als solche urheberrechtlich geschützt. Das nimmt nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe unter die Lupe.

Der Erste Zivilsenat beschäftigt sich am Donnerstag mit drei Klagen von Birkenstock gegen Konkurrenten. Sie hatten Sandalen im Angebot, die den eigenen Modellen sehr ähnlich sehen. Der Schuhhersteller mit Hauptsitz in Linz am Rhein in Rheinland-Pfalz sieht darin einen Verstoß gegen das Urheberrecht. Denn Birkenstock-Sandalen seien Werke der angewandten Kunst, die nicht einfach nachgeahmt werden dürften. Ob das höchste deutsche Zivilgericht da mitgeht, entscheidet sich voraussichtlich erst später.

Birkenstock betrachtet seine Sandalen als Kunstwerke

Das Urheberrecht verleiht dem sogenannten Schöpfer eines Werkes zunächst die exklusiven Nutzungsrechte an diesem Objekt. Dritte dürfen es also nicht ohne Erlaubnis wiedergeben oder vervielfältigen. Anders als zum Beispiel das Patent- oder Designrecht dient das Urheberrecht dem Schutz kreativer Leistungen. Urheberrechtlich geschützt sind etwa Schriftwerke, Filme, Computer-Programme – sowie Werke der bildenden oder angewandten Kunst.

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Der Begriff „Kunst“ im Kontext des Urheberrechtes erwecke oft den Eindruck, dass es dabei nur um zweckfreie Kunst ginge – wie ein Gemälde oder ein Musikstück, sagt Rechtsanwalt Konstantin Wegner, der Birkenstock seit Jahren vor Gericht vertritt. „Im Urheberrecht ist aber seit Jahrzehnten anerkannt, dass auch herausragendes Design von Gebrauchsgegenständen urheberrechtlich geschützt sein kann.“ Das hätten Gerichte bereits etwa zu Leuchten im Stil der Bauhaus-Kunstschule, Möbeln des Architekten und Designers Le Corbusier und einem Porsche-Modell entschieden.

In dieser Tradition sieht Birkenstock auch die eigenen Sandalendesigns. Konkret geht es um vier Modelle: „Arizona“ (die Sandale mit zwei breiten Riemen, die 2023 im Hollywood-Film „Barbie“ besondere Erwähnung fand), „Madrid“ (mit einem Riemen), „Gizeh“ (mit Zehentrenner) sowie den Clog „Boston“. Dem Unternehmen nach sind es die Klassiker, die Verbraucherinnen und Verbraucher typischerweise mit der Marke in Verbindung bringen.

Birkenstock-Modelle „Madrid“, „Arizona“, „Gizeh“ und „Boston“ (v.l.n.r.)
© Birkenstock Group

Wegner sagt, es seien sowohl einzelne Elemente wie Schnallen, Materialien oder die Riemenführung, als auch die Kombination dieser Elemente, die die Sandalenmodelle zu Werken der angewandten Kunst machten und den Urheberrechtsschutz begründeten. Das Design von Erfinder Karl Birkenstock im Stil Brutalismus sei einmalig gewesen, als die Klassiker zuerst erschienen.

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Für diesen neuen Ansatz hagelte es in den 1960ern auf der Düsseldorfer Schuhmesse Kritik. „Birkenstock wurde damals von anderen Ausstellern als Quertreiber beschimpft“, sagt Steffen Schäffner, Leiter des Bereichs Intellectual Property (deutsch: geistiges Eigentum). Auch wegen des schweren Starts sei es dem Unternehmen wichtig, dass andere sich nicht einfach an den Erfolg dranhängen. „Wir sind überzeugt, dass Karl Birkenstock etwas geschaffen hat, was dem Urheberrechtsschutz zugänglich ist“, so Schäffner.

BGH vor schwieriger Entscheidung

Die Vorinstanzen waren dazu aber uneinig. Während das Landgericht Köln die Schuhmodelle zunächst als Werke der angewandten Kunst anerkannte und den Klagen entsprechend stattgab, wurden sie auf Berufung der beklagten Unternehmen vom Oberlandesgericht Köln später abgewiesen. Die Schuhe erfüllten nicht die Anforderungen an ein Werk, so das Gericht. Es sei keine künstlerische Leistung feststellbar gewesen.

Ähnlich sieht das der Kaffeekonzern Tchibo – der längst nicht mehr nur Kaffee im Angebot hat. Das Hamburger Unternehmen gehört zu den drei Beklagten, die Birkenstock-ähnliche Modelle verkauften und deshalb nun vor Gericht stehen. Das Unternehmen sehe bei den Birkenstock-Modellen nicht die für ein Urheberrecht erforderliche Schöpfungshöhe, erklärte ein Sprecher.

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„Ob etwas urheberrechtlich als Werk geschützt ist, wird nach Rechtsprechung des EuGH und des BGH daran festgemacht, ob der Gegenstand ein Original ist – also eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers“, erklärt Jens Klaus Fusbahn, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Darin müsse die Persönlichkeit des Urhebers und seine freie, kreative Schaffensentscheidung zum Ausdruck gebracht werden.

Anders als bildende Kunst stehe angewandte Kunst allerdings vor der Herausforderung, auch einen funktionellen Auftrag erfüllen zu müssen, so Fusbahn. Für die Frage nach dem Urheberrechtsschutz sei daher entscheidend, ob über den technischen Zwang hinaus eine gewisse Gestaltungsfreiheit künstlerisch ausgenutzt wurde. Das OLG Köln habe das in den Birkenstock-Verfahren mangels ausreichenden Vortrags zum Schaffensprozess und den getroffenen künstlerischen Gestaltungsentscheidungen verneint.

Es ist längst nicht der erste Fall, in dem Birkenstock gegen Nachahmungen juristisch vorgeht. In der Vergangenheit berief sich der Hersteller etwa auf Design- oder Wettbewerbsrecht. Sollte nach Ansicht des BGH nun das Urheberrecht greifen, hätte das für das Unternehmen mehrere Vorteile. „Das Urheberrecht ist ein unheimlich langlebiges Recht, weil es 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers noch Schutz gewährt“, erklärt Fusbahn. Zudem sei im Gegensatz etwa zum Designrecht kein formaler Eintrag nötig.