Die Bilder der Fotoagentur Magnum illustrieren, wie unterschiedlich Luxus aussehen kann – je nach Ort und Zeit. Archiv-Direktorin Naïma Kaddour über die Magnum-Luxusfotografie.

Frau Kaddour, die Agentur Magnum Photos wurde 1947 von vier legendären Fotografen in New York gegründet: Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, David „Chim“ Seymour und George Rodger. Auf welchen Zeitraum können Sie in Ihrem Archiv zurückblicken?
Die Fotografen von Magnum haben fast alle wichtigen Ereignisse und Persönlichkeiten seit den 1930er-Jahren dokumentiert – und zwar weltweit. Industrielle Innovationen, gesellschaftliche Umbrüche, faszinierende Charaktere, exotische Orte, politische Konflikte, Naturkatastrophen und andere Formen von „Breaking News“. Kurzum: Stellen Sie sich irgendein historisch bedeutsames Foto des 20. und 21. Jahrhunderts vor, und es besteht eine große Chance, dass es von Magnum stammt.

Welches ist die älteste Aufnahme aus diesem Bilderschatz?
Das wäre ein Foto unseres Mitbegründers Henri Cartier-Bresson aus dem Jahr 1926. Die Bildunterschrift lautet: „Normandie. Seine-Maritime. Dieppe. 1926.“

Hat sich die Art und Weise, wie Fotografen luxuriöse Lebensstile und Reichtum festhalten, in den letzten fünf bis sieben Jahrzehnten signifikant verändert – also der Blickwinkel?
Aber ja, unbedingt. Das Handwerk und die Kunst der Fotografie haben sich weiterentwickelt, und auch die Bedeutung, die man Bildern wohlhabender Menschen und von Statussymbolen in der jeweiligen Dekade beigemessen hat, ist unterschiedlich. Nicht zu vergessen: Unser eigenes Verständnis von Erfolg und seinen Insignien ist einem ständigen Wandel unterworfen.

Wann hat sich in Ihrer Wahrnehmung der größte Perspektivwechsel bei „Luxusbildern“ vollzogen, ihren Motiven und der Attitüde der Aufnahmen?
Für mich waren das ohne Zweifel die Arbeiten von Martin Parr, einem Dokumentarfotografen, der das Genre besonders stark geprägt hat. Sein Stil und seine Herangehensweise an das Thema sind einzigartig. Besonders gut ist das in seinem Bildband „Luxury“ zu beobachten, der 2009 erschien, und für den er von Dubai bis St. Moritz Menschen porträtiert hat, die ihren Reichtum zur Schau stellen. Und weil seine Aufnahmen zum Teil deutlich vor der Wirtschaftskrise ab 2008 entstanden sind, wurde Parrs Buch zu einer Art Gedenktafel für den strebsamen, auf die Anhäufung von Vermögen schielenden Lifestyle des vorherigen Jahrzehnts.

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Könnten Sie den letzten sieben Dekaden griffige Namen geben, die das jeweils vorherrschende Konzept von Luxus zusammenfasst? 
Oh, das ist gar nicht leicht, aber ich versuche es gern einmal. 
– 1940er: die Renaissance-Periode,
– 1950er: die Wohlstandsgesellschaft,
– 1960er: die wilden Sechziger,
– 1970er: eine grundlegende Neudefinition des Mediums Fotografie, 
– 1980er: „Pop Luxe“,
– 1990er: die Bling-Ära,
– 2000er: der neue Luxus.

Welche Magnum-Fotografen illustrieren die Phasen auf dieser Liste mit ihrem Œuvre besonders gut?
Für die 40er-, 50er- und 60er-Jahre waren das in meinen Augen die Fotografen Herbert List, Elliott Erwitt, Burt Glinn und Dennis Stock. Jeder auf seine ganz eigene Weise, natürlich, aber mit großem Einfluss auf unser Bild von Luxus und die Fortentwicklung der Fotografie insgesamt. Ab den Siebzigern und eigentlich bis heute würde ich dieses Trio als bedeutend für das Sujet bezeichnen, über das wir sprechen: Ferdinando Scianna, Gueorgui Pinkhassov und, ich erwähnte ihn schon, Martin Parr.

Wer wäre ein gutes Beispiel für die Luxusfotografie der Gegenwart, also die noch jungen 2020er-Jahren?
Einen einzigen Fotografen herauszupicken ist immer schwer und etwas ungerecht, aber die freien Arbeiten von Olivia Arthur, wie auch ihre Aufnahmen für Werbekampagnen von Luxusunternehmen, gehören definitiv zu meinen persönlichen Favoriten. 

Wie hat sich die kommerzielle Fotografie in den letzten, sagen wir 30 Jahren verändert?
Das ist eine riesige Zeitspanne, in der sich technisch wie ästhetisch sehr viel getan und manches um 180 Grad gedreht hat. Das waren zum einen die Digitalfotografie und zum anderen der Durchbruch sozialer Internetplattformen. Letztere haben nicht nur quasi jeden User zum Laien-Fotografen befördert, sondern zudem die Inhalte ihrer Kanäle kuratiert und reglementiert. Eine Folge ist, dass visuelle Trends sich rascher verändern als je zuvor.

Was sind einige Trends, die Sie aktuell beobachten?
Bewegte Bilder, also Videomaterial, spielen heute eine unvergleichbar größere Rolle als je zuvor. Außerdem reagieren Marken und Magazine viel bewusster auf gesellschaftliche Forderungen wie Nachhaltigkeit und Diversität, weil ihre Rezipientinnen und Rezipienten und Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend Inhalte und Produkte unterstützen wollen, deren Macher hehren Worten auch konkrete Taten folgen lassen. Das verlangt Fotos als Transportmedium dieser Haltungen und Botschaften so stark wie nie.

Welche Momente sind für Sie purer Luxus?
Ich arbeite seit 25 Jahren für Magnum und durfte diese ganze Zeit über das Privileg genießen, Zeugin der Geschichte zu sein, die sich in all unseren Fotos spiegelt und offenbart. Dieser exklusive Logenplatz ist meine Definition von Luxus.

Was ist Ihr wertvollster Besitz?
Im Job ist das eine Notiz mit Widmung von Henri Cartier-Bresson, in der er meine Arbeit als Archivarin lobt. In meinem Privatleben würde ich ein Schmuckstück meiner verstorbenen Großmutter wählen.

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