Wen zieht es ins Kloster? Der Fotograf Michael Grabmeier hält den Alltag in vier bayerischen Gemeinschaften in Bildern fest.

Was die Neugier betrifft, ist frommen Menschen Vorsicht angeraten. Sie kann, wie der Kirchenlehrer Thomas von Aquin vor 800 Jahren mahnte, eine mitreißende Leidenschaft sein, eine Passion. So stark, dass schon die Bibel Eile hatte, vor der Gefahr entfesselter Entdeckungstriebe zu warnen: Kaum ist die Welt erschaffen – beide Geschlechter genießen nackt und aller Alltagsplagen ledig Gottes Gaben – lockt das Böse: Das Verlangen, Geheimnisse aufzubrechen, „vom Baum der Erkenntnis zu essen“, erlaubt der Schlange ihre List, den Schöpfer und sein Ebenbild einander zu entfremden.

Was also tun, wenn ein junger Mensch ausgerechnet an Klosterpforten klopft, aus Lust am Staunen und Erkunden? Denn das war es, erzählt Michael Grabmeier, was ihn umtrieb: „Ich bin in München groß geworden, in einem katholisch geprägten Land. Und doch kannte ich niemanden, der in einem Kloster lebt.“ Niemand habe ihm je von seiner Absicht erzählt, in eines einzutreten. „Ich wusste fast nichts über diese Welt.“ Sie kennenzulernen, wurde erst zum Projekt des damaligen Foto-Studenten, dann seine Abschlussarbeit.

Vier Gemeinschaften stellten sich Grabmeiers Neugier und ließen ihn ein: Franziskanerinnen im bayerisch-schwäbischen Kaufbeuren, Benediktinerinnen mitten in München, Kapuziner im südostbayerischen Wallfahrtsort Altötting und die Mönche der fast 900-jährigen benediktinischen Abtei Plankstetten in der Oberpfalz. Auch wenn sie zu nur zwei Familien in der verwirrenden Vielfalt katholischer Orden zählen – zwei folgen der Regel Benedikts von Nursia, zwei dem Vorbild des Franziskus von Assisi –, glich keine der anderen.

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Vielfältigkeit im Kloster

In der Abtei Venio, zu Fuß keine Viertelstunde vom Nymphenburger Schloss in München gelegen, wird es augenfällig: Ihre 19 Schwestern tragen keinen Habit, die typische Ordenstracht. Sie arbeiten in der Stadt, in Medizin und Pflege, in Sozialarbeit und EDV. Oder als Lehrerin, wie Schwester Scholastica, die Priorin. Fromme Tracht, der lange benediktinische Chormantel und die Haube, ist hier nur zu den gemeinsamen Gebetszeiten in Gebrauch. Diese geben von alters her dem klösterlichen Tag Struktur, ein Ritual der Ordnung, wie es sich in unserer wimmelnd-wirren Gegenwart wieder viele Menschen wünschen. Die stark gestiegene Nachfrage nach einer Auszeit, nicht zuletzt in Klöstern, zeigt dies.

Scholastica ist ein Ordensname. Der Taufname der Schwester Priorin ist Karin. „Scholastica“, sagt die Lehrerin, „war der Überlieferung nach die Schwester Benedikts. Sie selbst leitete eine Gemeinschaft von Schwestern. Benedikt besuchte sie dort, die Geschwister diskutierten viele Stunden über geistliche Fragen. Zum Abend aber wollte Benedikt dringlich gehen. Seine eigene Regel schrieb vor, dass er des Nachts im eigenen Kloster sein musste. Scholastica rief Gott um Hilfe an – und ein tosendes Unwetter hinderte ihren Bruder, sogleich fortzugehen.“ Das Gespräch zwischen den Geschwistern fuhr fort, tiefe theologische Fragen wurden erörtert. Drei Tage später starb die heilige Frau, über die Papst Gregor der Große, Benedikts Biograf, sagt, dass Gott sie an jenem Abend dem regelstrengen Bruder bevorzugte, weil sie der Liebe Vorrang vor der Ordnung einräumte. Es steht geschrieben, dass Jesus ähnlichen Prinzipien gefolgt sein soll.

Bei der Wissbegierde kommt es im christlichen Sinne auf das lautere Motiv an. Bruder Marinus Parzinger beschreibt es, als er am Reliquienschrein des Heiligen Konrad steht, des Namenspatrons des Kapuzinerklosters in Altötting. Zur Ehre der Altäre wurde dieser Bruder Konrad erhoben, nachdem er 41 Jahre lang unermüdlich die Pforte gehütet hatte und 1894 gestorben war. Wenn Kinder wissen wollen, wer denn den Kopf des Konrad abgesägt habe, der in einem kostbar eingefassten Gefäß hier zur Verehrung ausgestellt ist, dann, sagt Bruder Marinus, sei dies eine naheliegende Frage, auf die Gläubige antworten sollten.

Eine vordergründige Antwort wäre, dass Schädel sich oft von selbst von Skeletten lösen. Die Fragen hinter der Frage aber sind, auf welche Weise man Heilige verehrt und warum das auch heute noch so anschaulich geschieht, dass ihre Gebeine ausgestellt werden.

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Der Weg ins Kloster

Vom benediktinischen orgellosen Chorgesang, wie ihn Scholastica und ihre Schwestern pflegen, bis hin zu jenen Tagen, da Bruder Marinus Traktor-Pilger auf ihren historisch donnernden Einzylindern in Altötting empfängt, hat der Fotograf Grabmeier die Vielgestaltigkeit der Frömmigkeit im Leben der vier Klöster widergespiegelt gefunden.

Immer wieder ist in den zwei Jahrtausenden der christlichen Religion das Verlangen aufgeflammt, mit dem, was die Evangelien lehren, so richtig Ernst zu machen. Fromme gingen in die Wüste, kehrten der Welt den Rücken, um als Eremiten Gott anzubeten. Andere zogen hinaus in die Welt, um den Glauben zu verbreiten. Besagter Benedikt von Nursia (circa 480–547) schuf den Typus des Klosters, in dem Mönche oder Nonnen von eigener Arbeit leben, damit sie kontemplativ miteinander sein und studieren können. Franz von Assisi (1181–1226) entsagte dem Reichtum seiner Familie und forderte von den auf ihn zurückgehenden Bettelorden konsequente Armut sowie Hingabe an die Schwachen und Geplagten.

Schwester Scholastica fand ihren Weg in der benediktinischen Familie. Bruder Marinus betrat den seinen bei den Kapuzinern, die zur franziskanischen Weltgemeinschaft zählen. Beide erzählen, dass sie schon als junge Menschen spürten, dass in Klöstern etwas für sie sein könne. Doch beide gingen zunächst andere Wege: als Lehrerin hier, als Bäcker und Konditor dort. Schließlich folgten sie ihrer Berufung.

„Sind Menschen, die so leben, glücklich?“, ist eine Frage, die dem Fotografen Michael Grabmeier gestellt wird, da er doch jeweils mehrere Tage in deren Klöstern zugebracht hat. Ja, sagt er, den Eindruck habe er gewonnen – nicht ausnahmslos, nicht generell. Aber als wohlbedachte Entscheidung, die freilich im heutigen Deutschland nur wenige Dutzend Menschen im Jahr treffen, überzeuge ihn dieser Weg. Und Neugier darauf lohne sich, wenn sie von Herzen kommt.