An Weihnachten feiern Christen die Geburt von Jesus Christus. Für Muslime ist er nicht der Messias, aber ein wichtiger Prophet – und eine Brücke für interreligiösen Dialog.

Es war ein kalter Dezemberabend, als meine Familie und ich über einen festlich beleuchteten Weihnachtsmarkt in Hamburg schlenderten. Die Lichter, der Duft von gebrannten Mandeln und der Klang von Weihnachtsmusik – meine Kinder lieben diese Märkte. Sie verwandeln die grauen Wintermonate in einen magischen Winterzauber. Meine jüngste Tochter blieb mit großen Augen vor einer Krippe stehen und fragte: „Papa, ist Jesus nicht ein Prophet?“

Ich lächelte, denn es war eine dieser Fragen, bei denen ich in meiner Rolle als Papa aufging: „Ja, das ist Jesus. Im Islam verehren wir ihn als einen unserer großen Propheten.“ Diese einfache Frage meiner Tochter öffnete mir die Augen für etwas, das oft übersehen wird: die vielen Parallelen und Verbindungen zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen – dem Judentum, dem Christentum und dem Islam.

War Christus doch kein Mann? 20.50Jesus von Nazareth ist nicht nur eine historische Figur, sondern ein Symbol des Friedens, der Hoffnung und der Liebe, das weltweit Menschen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen verbindet. Doch der Weg dorthin ist nicht immer einfach. In jeder der drei großen Religionen gibt es unterschiedliche Perspektiven auf ihn. Während er im Christentum als Sohn Gottes und Erlöser verehrt wird, betrachtet das Judentum ihn als historische Person, wohingegen er im Islam ein hoch angesehener Prophet ist. Diese unterschiedlichen Sichtweisen haben jeweils ihre eigenen theologischen Nuancen, doch gleichzeitig zeichnen sie ein Bild eines Mannes, dessen Botschaft über die Grenzen eines einzigen Glaubens hinausstrahlt.

Jesus Christus im Koran: ein Prophet voller Wunder

Jesus, im Islam als Isa ibn Maryam (Jesus, Sohn der Maria) bekannt, nimmt eine herausragende Stellung unter den Propheten ein. Im Koran wird er an über zwei Dutzend Stellen erwähnt, oft mit Ehrfurcht und Respekt. Muslime glauben an seine jungfräuliche Geburt, seine wundersamen Taten und seinen Auftrag, die Menschen zu Gott zurückzuführen.

Asif Malik Zur PersonDie Darstellung Jesu im Koran hebt sich von christlichen Traditionen ab, bietet jedoch faszinierende Parallelen. So wird seine Geburt durch Maria, Maryam, als ein Zeichen Gottes beschrieben:

„Sie sprach: ‚Wie soll mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührt hat und ich auch nicht unkeusch gewesen bin?‘ Er antwortete: ‚… Es ist Mir ein Leichtes und (Wir tun dies), auf dass Wir ihn zu einem Zeichen machen für die Menschen und zu einer Barmherzigkeit von Uns … ‚“ (Koran 19:21-22)

Muslime glauben, dass Jesus durch die göttliche Inspiration Wunder vollbrachte, wie das Heilen von Blinden und das Wiedererwecken von (spirituell) Toten – stets jedoch als Beweis für Gottes Macht, nicht als eigene göttliche Fähigkeit.

Wenn die Bibel von Jesus als Sohn Gottes spricht, verweist der Koran darauf, dass auch andere Propheten in der Bibel als Söhne Gottes bezeichnet werden. Der Islam versteht diese Bezeichnung nicht wörtlich, sondern sieht in Jesus das Wort Gottes, der wie alle anderen Gesandten die Botschaft Gottes überbrachte.

Die unterschiedliche Sicht auf den Tod Jesu

Ein zentraler Unterschied in den drei Religionen ist der Tod Jesu. Im Christentum steht die Kreuzigung im Mittelpunkt – ein Akt der Erlösung für die Menschheit. Im Judentum wird Jesus als historische Figur gesehen, aber nicht als Messias anerkannt.

Hadsch und Opferfest erklärt 15.15Für Muslime ist die Geschichte jedoch anders: Die meisten glauben, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde, sondern in den Himmel erhoben wurde und ein anderer an seiner Stelle gekreuzigt wurde. Nicht wenige vertreten sogar die Auffassung, dass er die Kreuzigung überlebte, den verlorenen jüdischen Stämmen das Evangelium verkündete und schließlich in Indien starb. 

Trotz dieser verschiedenen Auffassungen bleibt die Ehrfurcht vor Jesus eine Brücke, die uns verbindet.

Jesus verbindet Christentum und Islam

Insbesondere die islamische Perspektive lädt dazu ein, Jesus nicht als Trennlinie, sondern als Verbindungsglied zwischen Christentum und Islam zu sehen. Seine Botschaft von Mitgefühl, Barmherzigkeit und Hingabe an Gott ist universell und zeitlos.

Jesus‘ Botschaft, wie sie in den heiligen Schriften überliefert wird, hebt sich durch tiefe moralische und ethische Prinzipien hervor. In seinen Lehren finden sich immer wieder Aufrufe zu Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Vergebung. Er betonte, dass die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen die zwei höchsten Gebote sind. Besonders hervorzuheben ist auch seine Bereitschaft, die Schwachen und Ausgegrenzten zu unterstützen – die Kranken, Armen und Sündigen. Jesus verkündete ein Reich Gottes, das nicht durch Macht oder Gewalt, sondern durch innere Umkehr und Bescheidenheit erlangt wird. Diese Lehren sind in beiden Religionen von Bedeutung, wenn auch mit unterschiedlichen theologischen Implikationen.

Herausforderungen der modernen Weihnachtszeit

In einer Welt, die oft von unterschiedlichen Interpretationen und Sichtweisen geprägt ist, bleibt die Botschaft von Jesus daher stets ein Aufruf zu Mitgefühl, Verständnis und Zusammenhalt. Diese Werte stehen im Zentrum der Weihnachtszeit, die uns – trotz ihrer modernen Herausforderungen – immer wieder daran erinnert, wie wichtig es ist, aufeinander zuzugehen und einander zu verzeihen. 

Viele Menschen empfinden die Zeit vor Weihnachten aber auch als stressig, besonders durch den Konsumdruck. Die Suche nach passenden Geschenken führt oft zu Hektik und Stress. Gleichzeitig wird Weihnachten immer mehr von einem Wettbewerb geprägt: Wer hat die schönsten Dekorationen, die besten Geschenke? Diese Aspekte rücken den ursprünglichen Gedanken der Besinnung und Nächstenliebe oft in den Hintergrund.

Weihnachten: eine Zeit für Familie und Zusammenhalt

Doch für viele Menschen, ob religiös oder nicht, ist Weihnachten auch ein besonderer Zeitpunkt, um Familie und Zusammenhalt zu leben. Es ist nicht selten die einzige Zeit im Jahr, in der sich Familien treffen und gemeinsam Zeit verbringen. Auch für muslimische Kinder und Familien hat Weihnachten eine besondere Bedeutung. In Schulen erleben Kinder die Gemeinschaft durch gemeinsames Singen, Backen oder einfach durch die festliche Stimmung. Gerade in der dunklen Jahreszeit empfinden viele die geschmückten Straßen, Weihnachtsmärkte und die Vorfreude auf das Fest als einen Lichtblick.

Die festliche Stimmung, geprägt von Plätzchen, Schmalzgebäck und Zimtschnecken, schafft eine warme Atmosphäre. Gleichzeitig bietet die Weihnachtszeit praktische Vorteile: Weihnachtsgeld, Schulferien und die Möglichkeit zu entspannen und Verwandte zu treffen, machen diese Zeit für viele – auch für muslimische Familien – zu etwas Besonderem. Für Muslime besteht die Kunst darin, sich der festlichen Stimmung hinzugeben, ohne den eigenen Glauben zu vernachlässigen.

Die Verbindung von Tradition und tiefem Verständnis

Als ich meiner Tochter erklärte, dass Jesus sowohl im Christentum als auch im Islam ein Symbol für Frieden und Liebe ist, fragte sie neugierig: „Warum feiern wir dann nicht Weihnachten?“ Ich lächelte und antwortete: „Es geht nicht darum, ob wir Weihnachten feiern, sondern darum, dass wir die Werte, die Jesus uns hinterlassen hat, im täglichen Leben weitertragen – Nächstenliebe, Vergebung und Mitgefühl. Wenn wir diese Werte in unserem Handeln umsetzen, haben wir Weihnachten wirklich gefeiert.“

Dieser Moment, in dem meine Tochter mich mit ihrer Frage nach Weihnachten herausforderte, brachte mir eine Erkenntnis. Es kommt weniger darauf an, wie wir Traditionen begehen, sondern wie wir die Lehren Jesu in unserem Leben integrieren. Erst wenn wir das tun, haben wir die wahre Bedeutung von Weihnachten erfasst.