Die Maskendeals im Jahr 2020 haben ein seltsames Nachspiel: Nach einer Anzeige des Gesundheitsministeriums bekam ein Lieferant jetzt Besuch von der Polizei.

Der Einkauf von Schutzmasken zu Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 beschäftigt bis heute Heerscharen von Juristen. Vor Zivilgerichten laufen noch Dutzende Prozesse, in denen Lieferanten gegen den Bund klagen, weil sie ihr Geld bis heute nicht erhalten haben. Nachdem das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Sommer zwei wichtige Verfahren verloren hat, muss sich nun sogar der Bundesgerichtshof mit den Maskenklagen befassen.

Auch manch ein kurioser Fall beschäftigt noch die deutsche Justiz. So liegt an einem Berliner Amtsgericht aktuell noch die Anklage gegen einen früheren Berater des Ministeriums und eine Maskenlieferantin wegen Korruption: Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft soll der Manager einer Beratungsfirma der Lieferantin vertrauliche Informationen aus dem Ministerium geliefert haben, im Gegenzug für „körperliche Annäherungen“.

Und dann ist da noch ein anderer Fall, der zeigt, welche seltsamen Blüten das Nachspiel zu den milliardenteuren Maskeneinkäufen vor viereinhalb Jahren mitunter bis heute treibt. Dabei geht es um ein Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft, das sich um die Veröffentlichung eines Dokuments aus dem Gesundheitsministerium auf dem Transparenzportal „Frag den Staat“ im April 2022 dreht. Im Zuge dieser Ermittlungen kam es jetzt Anfang November auch zu einer Hausdurchsuchung bei einem Zeugen, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Capital bestätigte. Es ist ein Fall, der Fragen aufwirft.

Strafanzeige des Gesundheitsministerium

Auslöser der Ermittlungen, die bis in das Jahr 2022 zurückreichen, war nach Angaben der Anklagebehörde eine Strafanzeige des Gesundheitsministeriums (BMG). Das Ressort von Minister Karl Lauterbach (SPD) machte eine Verletzung seiner Geschäftsgeheimnisse geltend, weil ein Nutzer von „Frag den Staat“ bei einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an das BMG auch ein angeblich sensibles Dokument aus dem Ministerium auf dem Portal hochgeladen hatte. 

Bei dem fraglichen Dokument handelte es sich um einen Mustervertrag für Vergleiche, die das Gesundheitsministerium seinerzeit mit manchen klagenden Maskenlieferanten abschloss. In diesen Vereinbarungen verpflichtete das BMG seine Vertragspartner zu umfassender Vertraulichkeit – mit dem Ziel, dass andere Lieferanten nicht erfahren sollten, zu welchen konkreten Konditionen das Ministerium in den Vergleichsverhandlungen bereit ist. So weit, so nachvollziehbar.

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Doch schon länger behandelt das Gesundheitsministerium alles, was das Thema Vergleiche zu den Maskenklagen auch nur in allgemeiner Form berührt, wie ein Staatsgeheimnis. Selbst die Gesamtsumme, die es für die Abschlüsse ausgegeben hat, hielt das Ministerium lange geheim – auch gegenüber dem Bundestag. Eine seiner Begründungen: Bereits die Nennung einer Gesamtsumme würde sich negativ auf die Verhandlungsposition des Bundes auswirken – obwohl da bereits mehr als 80 Vergleiche geschlossen waren und niemand auch nur annähernd weiß, um wie viele Masken und welche Stückpreise es bei diesen Vergleichen geht. 

Diese Mauertaktik ist keine Ausnahme: In diesem Frühjahr rügte der Bundesrechnungshof, dass schon ab Frühjahr 2020, als das BMG unter dem damaligen Minister Jens Spahn (CDU) die Massen an Masken einkaufte, die Akten zu den Geschäften pauschal und durchgängig als Verschlusssachen deklariert worden waren – mutmaßlich auch, um Transparenz zu erschweren.

Platzhalter im Mustervertrag

Im Fall des Masken-Dokuments, das Ende April 2022 auf der Plattform „Frag den Staat“ auftauchte, kommt aber noch etwas Besonderes hinzu: Es handelte sich gar nicht um einen tatsächlich abgeschlossenen, konkreten Vergleichsvertrag, sondern lediglich um ein Muster. Das Dokument – ein nicht sonderlich komplexer Blankovertrag auf neun Seiten, den wohl auch ein Rechtsreferendar ohne Probleme aufsetzen könnte – ist bis heute bei „Frag den Staat“ einsehbar. Dem Dokument ist weder zu entnehmen, mit welchem Lieferanten der Bund hier einen Vergleich vereinbart hat – geschweige denn zu welchen Konditionen. An den Stellen, an denen die Angaben zu der betroffenen Zahl an Masken und dem im Vergleich vereinbarten Stückpreis stehen sollen, finden sich in dem Muster keinerlei Zahlen, sondern nur Platzhalter. 

Damit lag der Erkenntnisgewinn für andere Maskenhändler, die mit dem Ministerium damals ebenfalls über einen Vergleich verhandeln wollten, bei nahe null. Denn jeder von ihnen hätte den Vertragsentwurf ja ohnehin erhalten und prüfen können, bevor er ihn unterschreibt. 

Passage aus dem veröffentlichten Mustervertrag: An den entscheidenden Stellen zu den Konditionen des Vergleichs finden sich lediglich Platzhalter
© Screenshot / Frag den Staat

Dennoch sah das BMG in der Veröffentlichung des Blankovertrags einen Fall für die Staatsanwaltschaft. Es stellte über eine beauftragte Anwaltskanzlei Strafanzeige: wegen Vergehen nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. In anderen Worten: Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Eine Straftat, auf die im Maximalfall eine Freiheitsstrafe von mehreren Jahren stehen kann.

Daraufhin leitete die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein. Bereits 2022 versuchten die Ermittler, herauszufinden, woher der geleakte Blankovertrag bei „Frag den Staat“ stammt. Man ging wohl davon aus, dass es sich bei der Quelle um eine Person aus dem Kreis jener Lieferanten handelt, mit denen das Ministerium einen Vergleich verhandelte oder schon abgeschlossen hatte. 

Ins Visier der Staatsanwaltschaft geriet dabei ein Maskenlieferant aus Baden-Württemberg, der selbst keinen Vergleich abgeschlossen hat, sondern bis heute gegen das Ministerium auf Kaufpreiszahlung klagt, in der Szene der Maskenkläger gut vernetzt ist und sich auch in der Öffentlichkeit kritisch über das BMG äußert. Nach den Erkenntnissen der Ermittler wurde das Dokument unter seinen Personendaten im Rahmen der betreffenden IFG-Anfrage bei „Frag den Staat“ hochgeladen. Der Mann wurde von der Staatsanwaltschaft bereits Ende 2022 als Zeuge kontaktiert, konnte aber keine Angaben machen, woher der Mustervertrag stammt, der auf dem Portal landete. Zudem bestritt der Zeuge, dass er selbst das Dokument veröffentlicht habe.

Razzia nach zwei Jahren

Längere Zeit schien das Ermittlungsverfahren nicht recht voranzukommen. Im April 2023 – ein Jahr nach dem IFG-Antrag – lieferte das Gesundheitsministerium dann auf dem Portal von „Frag den Staat“ eine Antwort auf die gestellte Frage, mit welchen klagenden Maskenlieferanten das BMG den im Anhang hochgeladenen Mustervergleichsvertrag abgeschlossen hat. Diese Antwort des Ministeriums lautete interessanterweise: „Auf der Grundlage der von Ihnen übersandten Vereinbarung wurde kein Vergleich geschlossen.“ War die geleakte Standard-Mustervereinbarung also gar nicht so brisant, wenn sie keine konkreten Details enthielt und letztlich auch gar nicht „Grundlage“ für Vergleiche war? Warum enthielt sie nach Ansicht des BMG trotzdem Geschäftsgeheimnisse? Das Ministerium teilte auf Fragen von Capital dazu mit, es könne sich zu „etwaigen Ermittlungsverfahren“ nicht äußern. 

Ungeachtet dessen liefen die Ermittlungen weiter. Im Frühjahr 2023 wandte sich der ermittelnde Staatsanwalt schriftlich an „Frag den Staat“ – ein Onlineportal, das nach gerichtlicher Feststellung die gleichen besonderen presserechtlichen Schutzrechte genießt wie etwa eine Zeitungsredaktion. Das Portal habe daraufhin die angeforderten Informationen „freiwillig zur Verfügung gestellt“, teilte die Berliner Staatsanwaltschaft mit. Der Chefredakteur von „Frag den Staat“, Arne Semsrott, wollte sich zu den Vorgängen auf Anfrage nicht äußern. Grundsätzlich weist die Plattform darauf hin, dass man Daten von Nutzern, die über das Portal IFG-Anfragen an Ministerien und andere Behörden stellen, nicht offenlegen dürfe.

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Wieder ein Jahr später, im Frühjahr 2024, kam es dann zum nächsten Schritt in dem Ermittlungsverfahren. Im Mai 2024 erwirkte die Berliner Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss des zuständigen Amtsgerichts – und zwar bei dem Maskenhändler aus dem Südwesten, der in dem Verfahren als Zeuge geführt wird, nicht etwa als Beschuldigter. Begründung: Durch Unterlagen, die das BMG im Rahmen seiner Anzeige und danach übermittelt habe, sowie durch weitere Ermittlungen zur Identität des Anfragestellers bei „Frag den Staat“ sei darauf zu schließen, dass bei dem Zeugen Beweismittel vorlägen. 

Ein halbes Jahr später wurde der Durchsuchungsbeschluss vollstreckt: Bei dem Kaufmann klingelten Anfang November morgens um 8.15 Uhr mehrere Kripobeamte und nahmen sein privates Handy mit – in der Hoffnung, darauf Hinweise zu finden, von wem er vor mehr als zwei Jahren den Mustervertrag erhalten hatte. 

Ermittlungen zum Maskendeal dauern an

Heute zweifelt der Zeuge daran, dass die Hausdurchsuchung bei ihm unter diesen Umständen rechtmäßig war. Zudem vermutet er, dass hinter der Strafanzeige des Gesundheitsministeriums auch das Ziel stecke, gegen kritische Stimmen vorzugehen. Schon in der Vergangenheit hatte das Ministerium Strafanzeige gegen den Maskenlieferanten aus Baden-Württemberg wegen Prozessbetrugs gestellt. Die Ermittlungen wurden zeitnah eingestellt. Das BMG ließ auch die Frage unbeantwortet, ob es die Hausdurchsuchung für verhältnismäßig erachte.

Bleibt noch die Frage, ob ein Blankovertrag, der zudem nach Angaben des vorgeblich Geschädigten in keinem einzigen Fall in der vorliegenden Form umgesetzt worden ist, überhaupt ein Geschäftsgeheimnis darstellt, dessen Veröffentlichung strafbar sein kann. Dazu teilte die Berliner Staatsanwaltschaft auf Anfrage von Capital mit, die „rechtliche Einordnung“ habe zunächst das Gesundheitsministerium „im Rahmen der Anzeigeerstattung so vorgenommen“. Diese Einschätzung habe man bei der Prüfung eines Anfangsverdachts geteilt. Der „wirtschaftliche Wert“ der Veröffentlichung bestehe „in der Relevanz für die Wettbewerbsposition des Bundes“ in den Prozessen gegen Maskenlieferanten. 

Und weiter: „Dem Bund beziehungsweise Ministerium kann zudem ein wirtschaftlicher Nachteil dadurch entstehen, dass Verhandlungspositionen in Rechtsstreitigkeiten mit einzelnen Lieferanten durch die Kenntnis des Mustervertrags verschlechtert werden beziehungsweise sind.“ Allerdings muss logischerweise jeder Maskenlieferant, der zu einem Vergleich bereit ist, ohnehin den Vertragsentwurf erhalten und prüfen können, bevor er ihn unterschreibt. Ihre Erklärung schließt die Staatsanwaltschaft so: „Eine abschließende – auch rechtliche Bewertung – wird allerdings erst bei Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgen.“ Die Ermittlungen dauerten noch an.

Disclaimer Capital bei stern+