Zigmal wurde Gisèle Pelicot von ihrem damaligen Mann und Fremden vergewaltigt. Das Gericht in Frankreich verurteilte alle zu teils hohen Strafen. Die Presseschau.
Nach den Urteilen im Missbrauchsverfahren von Avignon hat Gisèle Pelicot die Hoffnung geäußert, dass der Prozess die Gesellschaft verändert. „Ich denke schließlich an die nicht anerkannten Opfer, deren Geschichten oft im Dunkeln bleiben. Ich möchte, dass sie wissen, dass wir denselben Kampf teilen“, sagte Pelicot. Auf die Frage, ob sie mit den verhängten Strafen zufrieden sei, sagte Pelicot, dass sie die Strafen respektiere.
Pelicots Ex-Ehemann, der Hauptangeklagte, war in Avignon wegen schwerer Vergewaltigung zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Dominique Pelicot hatte seine damalige Frau Gisèle fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und von Dutzenden Fremden vergewaltigen lassen. 50 mitangeklagte Männer verurteilte das Gericht zu Haftstrafen zwischen 3 und 15 Jahren.
Urteil Avignon Gisèle Pelicot 16:15
So besprechen die Medien das Urteil im Fall Gisèle Pelicot
„Südwest Presse“: „Dank einer mutigen Frau bleibt die Erkenntnis, dass sexuelle Gewalt gegenüber Frauen kein Akt einiger weniger Monster ist. Sie ist alltäglich. Sie kommt in jedem gesellschaftlichen Milieu vor, in jedem Alter, in jeder Bildungsschicht. Sie ist mitten unter uns – oft, ohne dass wir es registrieren. Indem Gisèle Pelicot die Vergewaltigungen öffentlich machte, trat sie aus der Opferrolle heraus und schaffte ein Bewusstsein dafür, dass es die Täter sind, die sich schämen müssen. Ihr Handeln ist eine Handlungsaufforderung: Sie spricht Frauen Mut zu, die vergewaltigt wurden und sich nicht trauen, die Täter anzuzeigen. Sie hält der Gesellschaft aber auch den Spiegel vor und zeigt auf: Wer im Wissen um sexuelle Gewalt schweigt, wegschaut, toleriert, der macht sich mitschuldig.“
„Süddeutsche Zeitung“: „Was Gisèle Pelicot erleben musste, sind nur die tiefsten Abgründe eines patriarchalen Systems, das die Gesellschaft noch immer fest im Griff hat. Trotz aller feministischer Anstrengungen, trotz der viel gescholtenen Wokeness, trotz ‚Me Too‘. Noch immer haben Frauen Angst, nachts alleine nach Hause zu gehen, müssen Hände von Oberschenkeln wegschieben, anzügliche Sprüche weglächeln. Noch immer gibt es Männer, die Frauen sexualisieren, die Grenzen ignorieren, die das Gefühl haben, sie und ihre wie auch immer gearteten Triebe seien weiblicher Selbstbestimmung überlegen. Fast jede Frau kann dafür Beispiele nennen.“
„Augsburger Allgemeine“: „Egal, ob Vergewaltigung, Missbrauch oder ’nur‘ Herabwürdigung: Es ist das noch immer vorherrschende Machtgefälle, das dies ermöglicht. Es ist dringend notwendig, das Bewusstsein dafür zu schärfen. Leider scheint die Welt einen anderen Weg einzuschlagen. Auf die feministischen Erfolge der vergangenen Jahre folgt längst so etwas wie eine Gegenbewegung, die sich unter anderem in den Erfolgen der Rechtsextremisten und -populisten und deren Wunsch nach einem Zurückdrehen der Zeit zeigt. Gisèle Pelicot hat bewiesen, dass es sich lohnt, sich zu wehren, um das vermeintliche Schicksal zu wenden.“
„Junge Welt“: „Der Strafprozess in Avignon gegen einundfünfzig Angeklagte – ihr prominentester hieß Dominique Pelicot – setzte Maßstäbe. Hinter diese zurückzufallen wird auch den verstocktesten reaktionären Antifeministen schwerfallen. Nun muss die eingeleitete Veränderung weitergetrieben werden und Einzug in die Mentalitäten halten. Eine wichtige weitere Station könnte im April anstehen, wenn in Paris endlich ein Prozess gegen den Schauspieler Gérard Depardieu wegen Vergewaltigungsvorwürfen eröffnet wird. Dass er mindestens sexuell übergriffig war und Mitarbeiterinnen – gerne in sozial untergeordneter Stellung – etwa an Drehorten belästigte, war seit Jahrzehnten bekannt. Noch im vergangenen Jahr hat Staatspräsident Emmanuel Macron ihn jedoch als Repräsentanten des französischen Nationalprestiges in Schutz genommen.“
„Rhein-Zeitung“: „Trotz der Videobeweise wies eine Mehrheit der Angeklagten die Verantwortung von sich und verharmloste die Taten auf unerträgliche Weise. Ihre Verteidigung, die teils trotz der eindeutigen Faktenlage eine Mitschuld von Gisèle Pelicot suchte, ist bezeichnend für viele Vergewaltigungsfälle. Darum ist die Medialisierung dieses historischen Prozesses so wichtig, über Frankreich hinaus, denn ähnliche Denkstrukturen herrschen auch in Deutschland vor. Es geht um eine größere Wachsamkeit und ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft, bei Männern wie bei Frauen. Den Opfern muss zugehört und geglaubt werden, auch wenn sie weniger Beweise haben als Gisèle Pelicot. Auf dass sich deren schwerer Kampf auszahlt.“
„Kölner Stadt-Anzeiger“: „Es ist bei allem Entsetzen eine wundervolle Nachricht, wie viel Liebe die 72-jährige Französin nun erfährt. Dass sie und ihre ebenfalls betroffenen Kinder jemals wieder Frieden finden können, ist trotzdem kaum vorstellbar. Umso wichtiger ist, dass die von der nunmehr feministischen Heldin Pelicot angestoßene Debatte weit über 2024 hinausgeht, dass der auch angesichts seiner Monstrosität sogenannte Jahrhundertprozess wirklich nachhaltige Änderungen bewirkt. In Rechtssystemen vieler Länder, erst recht im Nachdenken und Urteilen über sexualisierte Gewalt und diejenigen, die sie erleiden müssen. Pelicot, die ihre nackte Verletzlichkeit in bewundernswerte Stärke verwandelt hat, wurde auch bei der Urteilsverkündung wieder mit Bravo-Rufen, Beifall und einem riesigen Plakat empfangen. Was darauf stand, werden heute viele Millionen Frauen – und Männer – empfinden: Danke, Gisèle Pelicot!“