Auf einem abgelegenen Reiterhof in Unterfranken wird ein Kind getötet. Mehr als drei Jahrzehnte ist der mutmaßliche Täter überführt – davon jedenfalls ist das Landgericht Würzburg überzeugt.

Fast auf den Tag genau ist der gewaltsame Tod der 13-jährigen Sabine aus Unterfranken 31 Jahre her. Sexuell missbraucht, in einer Güllegrube auf einem Reiterhof entsorgt. Herauszufinden, was wirklich geschah – „daran sind wir letztlich gescheitert“, gibt der Vorsitzende Richter der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Würzburg, Thomas Schuster, unumwunden zu. 

„Es lässt sich nach 31 Jahren nicht mehr bis auf die Minute rekonstruieren, was wann passiert ist.“ Dennoch gebe es keinen Zweifel, dass der Angeklagte der Mörder der 13-Jährigen sei. 

Das Landgericht verurteilt den 48-Jährigen, der zur Tatzeit 17 Jahre alt war, zu sechseinhalb Jahren Jugendstrafe. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidigung will das Mordurteil vom Bundesgerichtshof prüfen lassen. 

Angeklagter weiter auf freiem Fuß

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Mordes eine Jugendstrafe von neun Jahren gefordert. Die Verteidigung hatte einen Freispruch verlangt, weil aus ihrer Sicht nicht zweifelsfrei feststeht, dass ihr Mandant für den Tod von Sabine verantwortlich ist.

Der Deutsche bleibt wahrscheinlich bis zu einem rechtskräftigen Urteil auf freiem Fuß, weil das Gericht keine Gründe für einen Haftbefehl wie Flucht- oder Verdunklungsgefahr sieht. 

Viele Puzzleteile 

Die Kammer hatte in dem äußert aufwendigen Prozess fast 100 Zeugen gehört, akribisch alte Protokolle gesichtet, verschiedenen Szenarien gedanklich durchgespielt. Letztlich gebe es elf mögliche Tatvarianten, die alle mit dem Tod von Sabine am 15. Dezember 1993 auf dem Reiterhof in Karlstadt-Wiesenfeld (Landkreis Main-Spessart) endeten, sagte Schuster. Fest stehe: Die Schülerin sei minutenlang von hinten am Hals attackiert worden, ein Sexualdelikt sei belegt. 

Für die Kammer gibt es nach Schusters Worten zahlreiche Indizien, die in ihrer Gesamtschau für den Angeklagten als Täter sprechen. Zum einen gebe es an fünf verschiedenen Orten DNA-Spuren des 48-Jährigen, unter anderem an Kleidungsstücken wie dem Slip des Mädchens und in einem Blutfleck vom Opfer. 

Nach Schusters Worten spricht auch das Verhalten des damaligen Jugendlichen nach dem Verbrechen für ihn als Täter. So habe er versucht, sich ein Alibi für die Tatzeit zu besorgen. Auch habe er die Örtlichkeiten auf dem Pferdehof sehr gut gekannt, und er habe ein sexuelles Motiv gehabt: „Das ergibt sich aus den Spuren.“

Andere Tatverdächtige

Nach der Tat hatten die Ermittler zunächst einen anderen Jugendlichen verdächtigt und später auch vor Gericht gestellt. Der Prozess endete mit einem Freispruch. Seither gab es immer wieder Spekulationen über mögliche Täter wie den damaligen Hofbesitzer. 

„Wir können die anderen Tatverdächtigen sämtlich ausschließen“, sagte der Vorsitzende Richter nun. „Eine andere Person kommt für die Tötung von Sabine nicht in Betracht“, schon gar kein mysteriöser Unbekannter, der zufällig an dem kühlen und windigen Abend auf dem Reiterhof war. 

Es seien keine anderen DNA-Spuren als die des Angeklagten am Opfer gefunden worden, andere infrage kommende mutmaßliche Täter hätten zudem entweder kein Motiv oder ein Alibi gehabt. Denkbar sei lediglich, dass jemand dem Angeklagten beim Wegschaffen der Leiche geholfen habe. 

Kein Wort des Angeklagten zum Verbrechen

Der Deutsche hatte sich in dem Prozess nie zur Tat geäußert, auch auf mehrmalige Bitten der Kammer hin nicht. „Wir hätten gerne gehört, was am Abend des 15. Dezember passiert ist“, sagte Schuster. „Sie sind heute nicht mehr der Junge, der Sie mit 17 waren!“ 

Sollte das Urteil irgendwann rechtskräftig werden, „gehe ich fest davon aus, dass Sie sich eher als Justizopfer fühlen, als sich mit Ihrer eigenen Tat auseinandersetzen“, sagte der Vorsitzende Richter zu dem 48-Jährigen. Womöglich verdränge der Angeklagte die Attacke auf das Kind oder verweigere aktiv den Zugriff auf seine Erinnerungen. 

Fest steht nach Ansicht der Kammer, dass die wehrhafte und selbstbewusste Sabine mit ihrem Mörder auf den Tennenboden der dortigen Scheune ging, um ihm bei der Versorgung von Tieren zu helfen – freiwillig. Was dann geschah, „bleibt zu nicht unerheblichen Teilen im Dunkeln“, sagte Schuster. Am wahrscheinlichsten sei, dass der damals 17-Jährige dort versuchte, Sabine zu küssen oder sich ihr in ähnlicher Absicht näherte, sie dies zurückwies und wohl dann aus Wut von dem Jugendlichen attackiert wurde. „Dass er einfach nur töten wollte, liegt fern.“