Die ehemalige Grünen-Parteichefin Ricarda Lang will nach ihrem Rücktritt zeigen: Sie hat die Kritik an ihrer Politik verstanden. Geht es ihr dabei um mehr als Worte?
„Ich hoffe, sie nehmen mir das nicht übel“, sagt Caren Miosga, bevor sie ein Video von Ricarda Lang aus dem März 2023 einspielen lässt. Darauf zu sehen: Die damalige Grünen-Chefin, die eine politische Niederlage mit schwülstigen Worten als Erfolg verkaufen will. Gerade kam Lang aus einer 48-stündigen Verhandlung zum beschleunigten Autobahnausbau, den vor allem die FDP wollte. Lang sagte: „In Zukunft soll in Deutschland kein Kilometer Autobahn mehr gebaut werden, ohne dass dieser Platz auch genutzt wird für die erneuerbaren Energien.“ Die Liberalen bekamen ihre Autobahnen, die Grünen ein paar Solaranlagen daneben.
Lang, die vor einem Monat den Parteivorsitz aufgab, sitzt nun im Studio bei Miosga – und grinst schon verschämt, als die Moderatorin von ihr wissen will: „Wie ist das denn, das nachher zu sehen?“ Lang antwortet: „Ja, peinlich!“ Heute schäme sie sich für das, „was ich da so vor mir hingeredet habe“.
Wenn Ricarda Lang derzeit in Talkshows auftritt, dann übt sie sich in Selbstgeißelung. Sie habe nun verstanden, dass es dem Vertrauen in die Demokratie schade, wenn Politiker sprächen wie Roboter. „Wir müssen aufhören, in Sprechblasen zu reden“, sagt Lang. STERN PAID Jahresendheft IV Ricarda Lang 8.20
Ricarda Lang wünscht sich eine Zeitmaschine
Unterstützung erhält sie am Talk-Tisch von Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der bekannt ist für kontroverse Statements: Dem SZ-Magazin zeigte er im Wahlkampf 2013 den Mittelfinger, seine Parteifreunde nannte er einmal „Heulsusen“. Steinbrück sagt: „Diese Aussagen waren Klartext, aber sie sind mir alle um die Ohren geflogen.“ Heute würden Politiker „unangenehme Wahrheiten“ kaum noch aussprechen, aus Angst vor dem nächsten Shitstorm.
Bei Miosga wünscht sich Lang gar eine Zeitmaschine. „Was wäre eigentlich passiert, wenn ich mehr darüber gesprochen hätte, was eigentlich Sache ist in diesem Land?“, fragt die ehemalige Grünen-Chefin. „Vielleicht hätte es drei böse Anrufe aus der Partei gegeben, aber ich hätte auch vielen Leuten aus dem Herzen gesprochen.“ So ähnlich äußert sich Lang, seitdem sie ihren Rückzug ankündigte. Sie gesteht offenherzig Fehler in ihrer Kommunikation ein und erntet dafür viel Applaus – nicht zuletzt von Moderatorin Miosga, die lobt: „Sie reden ja nach ihrem Rücktritt so viel freier.“
Es ist dann auch nicht Miosga, sondern „Welt“-Journalist Robin Alexander, der zu bedenken gibt: Nicht nur die Kommunikation zähle, sondern auch, ob Politiker tatsächlich die von der Bevölkerung benannten Probleme angehen könnten. „Die Leute haben das Gefühl, das Problem Migration kann oder will die politische Mitte nicht lösen. Das ist ein gefährlicher Eindruck.“ Gäbe es hier nach der Bundestagswahl keine Fortschritte, „wird es in vier Jahren eine andere Antwort darauf geben“.
Jetzt will auch Miosga zum Thema Migration wissen: „Ist es wichtiger, wir bleiben bei grüner DNA, oder gehen wir ein paar Schritte weiter, um zu verhindern, dass alles nach rechts geht?“ Da sagt Lang dann doch wieder etwas, das sie womöglich vor einem Jahr ähnlich formuliert hätte: Es gäbe bei diesem Problem keine „einfachen Lösungen“, man dürfe den „Rechtsstaat nicht schleifen“. So klingt grüne Parteilinie.
„Also bei der Migration würden sie nichts ändern?“, hakt Miosga nach. „Doch“, antwortet Lang, man müsse jetzt einfach beschlossene europäischen Kompromisse umsetzen. An dieser Stelle darf man sich fragen: Wie weit trägt Langs Bekenntnis, Probleme in Zukunft offen anzusprechen, wenn sie zu ihnen keine innovativen Lösungen präsentieren kann? Parteien und Gefühle 17.00
„Nächste Regierung darf sich nicht durchwursteln“
Zum Ende der Sendung geraten Alexander und Lang dann noch einmal aneinander. Lang sagt, sie bekomme da etwas noch nicht ganz zusammen: Im Wahlkampf würden alle Parteien Unterschiede hervorheben, von „großen Richtungsentscheidungen“ sprechen. Und später all das wieder fallen lassen, um durch „komplizierte Kompromisse“ Koalitionen zu bilden, durch die sich kaum etwas ändere.
Da fällt Alexander ihr ins Wort: „Das ist doch die Entschuldigung, die Olaf Scholz uns seit Monaten erzählt, warum es mit der Ampel nicht lief!“ Dabei sei eine Einigung in der Ampel doch kaum schwieriger gewesen als in der letzten Merkel-Regierung mit den Ego-Männern Horst Seehofer und Sigmar Gabriel. „Vielleicht sollte die nächste Regierung also tatsächlich mal etwas anders machen!“, sagt Alexander.
Lang räumt versöhnlich ein: „Dass die nächste Regierung sich nicht einfach durchwursteln kann, das stimmt komplett.“ Bleibt nur noch die Frage, was Ricarda Lang grundsätzlich anders machen würde als bisher – von einer deutlicheren Sprache einmal abgesehen.