Viele Menschen gucken Pornos, nur wenige sprechen darüber. Eine Doku folgt einer der erfolgreichsten Darstellerinnen und bietet Einblicke ins globale Business aus weiblicher Sicht.
„Comedy“, so nennt man im hiesigen Pornofilm-Business jene Dialogszenen, bevor es beim Dreh zur Sache geht. Ein Klempner mit Rohrzange, der nur mal eben die Klospülung reparieren will. Die Barbekanntschaft, die sich über ihren Ex beschwert. Oder der Typ mit der Ledermaske, der sich wundert, warum hier soviel Stroh liegt.
Alles Geplänkel, am Ende geht es nur um eines und das schon, seit die alten Römer Vulven, Hinterteile und Gemächte auf Vasen pinselten – um das „Rein-Raus-Spiel“, wie Anthony Burgess es in „Clockwork Orange“ nüchtern nannte. Um Sex, in diesem Fall um jenen vor der Kamera, der seinen Siegeszug in den 70ern antrat und sich in Zeiten der Digitalisierung zu einem milliardenschweren Geschäft entwickelt hat. Doch wie ticken eigentlich die Menschen, die vor und hinter der Kamera stehen, die überhaupt erst all das erstellen, was weltweit so intensiv geklickt wird?
„Let’s Talk About Porn“ lautet der Titel einer dreiteiligen Doku-Serie von Regisseurin Julia Krampe. Klischees zu hinterfragen, falsche Vorstellungen zurechtzurücken, Hintergründe aus der Welt des Pornos, das alles „vielschichtig, offen und ohne falsche Scham“, so lautet die, Verzeihung, Stoßrichtung dieser rbb-Produktion.
Ein Pornostart gewährt Einblicke in die Arbeit
Im Mittelpunkt der Serie steht Pornostar Jolee Love aus Berlin, der das Filmteam bei ihrer Arbeit mehr als nur über die Schulter schaut. Ihre Arbeit als Cam-Girl wird gezeigt, der Alltag zwischen der Installation eines neuen Computers und Bubba, ihrem liebenswert melancholischen Hund, der Dreh in Prag, bei dem erst noch ein Testergebnis abgewartet werden muss, bevor es zur Sache geht, der Besuch einer Pornomesse – und die Fahrt zur Frau Mama, die im Gegensatz zu Loves enttäuschtem Vater immerhin noch mit der Tochter spricht. Im Film mag die Comedy vor dem Koitus kommen, im wirklichen Leben hat eben auch das Vorspiel eine Vorgeschichte.IV Pornopositiv 9.43
Und so bieten Julia Krampe, Producerin Birgit Herdlitschke und Kamerafrau Susanne Erler einen überaus facettenreichen Einblick ins Pornobusiness und rollen nebenbei auch noch die Geschichte des deutschen Sexfilms auf. Historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen die Flensburger Pionierin Beate Uhse, später sind Gina Wild und Dolly Buster zu sehen, Teresa Orlowski, die sich bei Bela B und Farin Urlaub unterhakt, bis zum Status Quo anno 2024, mit Pornhub und OnlyFans, Lustery und MyDirtyHobby.
In einem alten Filmschnipsel sind Männer zu sehen, die gerade ein Kino betreten, um sich die 70er-Sexschnurre „Exzesse in der Frauenklinik“ anzuschauen. Ein Kamerateam fragt nach dem Grund. „Reine Neugierde“, brummt ein Mann mit Hut. Das mag skurril anmuten, dabei sind die Beweggründe damals wie heute nicht einmal so weit auseinander. Die erfolgreichsten Suchbegriffe auf Portalen wie Pornhub oder YouPorn: „Deutsch“ und „Amateur“. Vom „Schulmädchen-Report“ damals zur Sexcam der Schulzes von nebenan heute, dann vielleicht doch kein so langer Weg?
„Erfahrungen aus erster Hand“
„Die Serie kann nicht für alle Frauen der Branche sprechen, sie kann allerdings Aspekte aufzeigen, die bislang kaum in der öffentlichen Diskussion stattfinden“, erklärt die Regisseurin. „Ich will den Porno nicht ‚reinwaschen‘, ich möchte einen Impuls geben, neue Gedanken zuzulassen, die hoffentlich zu vielen angeregten Diskussionen über ein sehr kontroverses Thema führen.“
Es ist kompliziert, soviel steht fest. Umso interessanter – dabei auch unbestritten unterhaltsam – ist Krampes Blick über die Bettkante hinaus, der lange Weg vom „dänischen Western“ zum alles bestimmenden Algorithmus. Ihre Protagonistinnen, darunter neben Jolee Love auch Kolleginnen wie Hanna Secret, Maria Mia, Lou Nesbit und Paulita Pappel, die Pornowissenschaftlerin Madita Oeming, Szenegröße Micaela Schäfer, bieten Erfahrungen aus erster Hand.
So gelingt „Let’s Talk About Porn“ die Kombi aus Geschichtsstunde und Feature, aus Reality-Doku und unterhaltsamer Lehrstunde, unter den Erkenntnissen auch mal jene, die so schlicht wie zeitlos sind: Ein quietschendes Sofa ist und bleibt nun mal ein Abtörner.
Die dreiteilige rbb-Doku-Serie ist ab Samstag, 30. November 2024, 10.00 Uhr, in der ARD Mediathek abrufbar.