Unser Autor kommt im 700-Seiten Werk der ehemaligen Kanzlerin nicht namentlich vor. Immerhin genauso oft wie Robert Habeck. Zum Glück steht er über solchen Dingen.
Der Wesenszug der Eitelkeit ist mir völlig fremd. Ich denke, das kann ich ganz generell für alle politischen Journalisten sagen. Wir riechen die Eitelkeit bei Politikern zehn Meter gegen den Wind, etwa bei Robert Habeck und Friedrich Merz, aber selbst sind wir dagegen immun. Wenn wir in Talkshows sitzen, dann nur, um uns in den demokratischen Diskurs einzubringen, also mit unserem bescheidenen Wissen Aufklärung zu betreiben, aber sicher nicht zur persönlichen Selbstdarstellung. Journalisten sind zurückhaltende, distanzierte Menschen.
Nur einmal weniger als Lindner
Wenn nun so ein Buch erscheint wie die Memoiren von Angela Merkel, dann fange ich persönlich nicht vorn an zu lesen, sondern hinten. Im Namensregister. Nicht aus Eitelkeit, um Himmels willen. Aus Interesse. Ich habe die ganze Kanzlerschaft Merkels als Journalist begleitet. Grob überschlagen habe ich in 16 Jahren mehr als 2000 Artikel geschrieben, in denen sie vorkam, den Namen Zehntausende Male in die Tastatur getippt. Ich war mit ihr auf Reisen, habe Interviews mit ihr geführt, Pressekonferenzen besucht, mit Kollegen über sie gefachsimpelt, meiner Familie von ihr erzählt, von ihr geträumt, nicht nur einmal. Was glauben Sie, wie oft mein Name im Register steht?
Keinmal.
Jetzt ehrlich, da stehe ich drüber, das dürfen Sie mir glauben. Sie erwähnt überhaupt nur einen Journalisten namentlich, den Kollegen Rainer Erlinger von der „Süddeutschen Zeitung“, der vor einigen Jahren einen Artikel über das Aufhören zur rechten Zeit geschrieben hat. Aber sonst? Niemand. Nicht einmal Giovanni di Lorenzo. Journalisten sind in Merkels Buch nur eine amorphe Masse. Ich denke, es ist Merkels Art, der Bescheidenheit unseres Berufsstandes Tribut zu zollen.
Unser Autor animierte Merkel zu einem berühmten Satz
Im Übrigen wird auch jemand wie Robert Habeck nicht erwähnt. Und Christian Lindner nur einmal. Wenn mich also jemand fragt, wie oft ich in Merkels Buch genannt werde, antworte ich: Genauso oft wie Habeck und nur einmal weniger als Lindner.
Wäre ich eitel, würde ich an dieser Stelle einen kleinen Einschub machen und auf Seite 518 verweisen. Es geht da um eine Pressekonferenz Merkels mit Österreichs Kanzler Werner Faymann wenige Tage nach ihrer Entscheidung im September 2015, die Grenze für Flüchtlinge aus Ungarn nicht zu schließen. Da fragt ein Journalist die Kanzlerin nach dem lauter werdenden Vorwurf, sie habe eine übertriebene Aufnahmebereitschaft signalisiert und dadurch „den Flüchtlingsstrom erst so richtig verbreitert“. Merkel gibt darauf eine längere Antwort, aus der ein Satz haften bleiben wird: „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt noch anfangen müssen, uns dafür zu entschuldigen, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“
Jetzt fragen Sie wahrscheinlich, wer dieser Journalist gewesen ist. Wissen Sie, das spielt im Grunde keine Rolle. Jeder Kollege, jede Kollegin hätte diese Frage stellen können, sie lag auf der Hand. Zufällig kam ich eben dran. Nur wenn ich sehr eitel wäre, würde ich sagen, ich habe Angel Merkel zu einem historischen, vielleicht nach „Wir schaffen das“ sogar zu ihrem zweitberühmtesten Satz animiert. Aber es liegt mir nicht, um so etwas großes Aufheben zu veranstalten. Ich habe nur meinen Job gemacht. Klar, wenn jemand jetzt das Merkel-Buch kauft und mich bittet, eine Widmung reinzuschreiben, komme ich dem nach.
Aber natürlich würde ich zu dem ganzen Thema niemals eine Kolumne schreiben.