Die Ausgangslage scheint nahezu aussichtslos zu sein. 16 bis 19 Prozentpunkte liegt die SPD hinter der Union. Die Aufholjagd soll jetzt Olaf Scholz starten, der das schon einmal geschafft hat.

Es ist ein holpriger Start in den Wahlkampf, den die SPD nach dem Ampel-Aus hingelegt hat. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat nun seinen Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur erklärt und sich für Bundeskanzler Olaf Scholz ausgesprochen. Der 66-jährige Regierungschef wird aller Voraussicht nach am Montag vom Parteivorstand nominiert. Scholz startet dann unter äußerst schwierigen Vorzeichen und mit weitem Rückstand auf seinen Herausforderer Friedrich Merz von der Union in einen Wahlkampf, in dem ihm nur drei Monate für die Aufholjagd bleiben.

Wie ist die Ausgangslage für Scholz

Sie könnte kaum ungünstiger sein. Scholz geht mit dem Ziel in die Wahl, die SPD wieder zur stärksten Partei zu machen und Kanzler zu bleiben. In den Umfragen ist er davon aber sehr weit entfernt. Die SPD hängt seit Monaten in einem Tief fest, aktuell bei 14 bis 16 Prozent. Damit liegt sie nur auf Platz 3 hinter Union und AfD. Der Rückstand auf CDU und CSU beträgt 16 bis 19 Prozentpunkte. Auch die persönlichen Werte des Kanzlers lassen Luft nach oben. Nach dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend von Donnerstag sind 20 Prozent mit seiner Arbeit zufrieden und 76 Prozent unzufrieden. Pistorius ist dagegen in der Umfrage der Einzige, mit dem eine Mehrheit der Befragten (61 Prozent) zufrieden sind.

Was ist mit dem Kanzlerbonus?

Von dem können Amtsinhaber im Wahlkampf oft profitieren, weil sie medial sehr präsent sind, Entscheidungen treffen und sich auf internationalen Bühnen profilieren können. Scholz ist nach dem Ampel-Aus aber Kanzler einer gescheiterten Regierung, die nur noch bedingt handlungsfähig ist, weil sie keine Mehrheit mehr im Parlament hat. Und große internationale Auftritte wird er abgesehen von einem EU-Gipfel am 19. und 20. Januar auch nicht mehr haben.

Was spricht überhaupt für Scholz‘ Kandidatur?

Er hat viel Regierungserfahrung. Vor seinen bisher drei Jahren als Bundeskanzler war er unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel sowohl Arbeitsminister als auch Finanzminister. Außerdem hat er sieben Jahre lang Hamburg als Erster Bürgermeister regiert und weiß daher auch sehr genau, wie die Länder ticken. Er steckt vom Ukraine-Krieg, über die Rente bis zur Wirtschaftslage tief in allen Themen und könnte über jedes einzelne lange Referate halten. 

Der Sicherheitspolitiker Pistorius hätte sich in vieles erst einarbeiten müssen – bei einem so kurzen Wahlkampf ist das ein Problem, weil das Risiko sehr hoch ist, öffentliche Auftritte zu verstolpern. Außerdem kann Scholz mindestens ein wichtiges Wahlkampfthema der SPD, den „Kurs der Besonnenheit“ im Ukraine-Krieg mit dem Nein zur Lieferung der Taurus-Raketen, möglicherweise glaubwürdiger vertreten als ein Verteidigungsminister, der sich die „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr zum Ziel gesetzt hat. 

Was spielt bei der Entscheidung noch eine Rolle?

Scholz ist der Kanzler und als solcher auch der „natürliche“ Kanzlerkandidat der SPD. Er hat sich bereits im Sommer quasi selbst gekürt. „Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden“, sagte er im Juli. Die Parteispitze stellte sich früh hinter ihn und bekräftigte diese Haltung nach dem Ampel-Aus und der Neuwahl-Entscheidung. 

Für eine Einwechslung von Pistorius hätte Scholz zunächst auf seine Kandidatur verzichten müssen, was gegen seine eigene Überzeugung gewesen wäre. Auch die Parteispitze hätte über ihren Schatten springen und sich korrigieren müssen.

Ist die Debatte über die Kanzlerkandidatur der SPD nun beendet?

Das hoffen Scholz und die Parteiführung. Garantiert ist das aber nicht. Sollten die Umfragewerte der SPD in den kommenden Wochen weiter sinken, könnte die Debatte vor dem Parteitag am 11. Januar neu aufflammen. Erst dann soll Scholz endgültig zum Kandidaten gekürt werden. Wenn er auch diese Hürde schafft, gibt es endgültig kein Zurück mehr. 

Gehen Scholz und die SPD jetzt beschädigt in den Wahlkampf?

Ja. Es ist der SPD nicht gelungen, die K-Frage im Einvernehmen zu klären. Das ist eine Bürde für den Wahlkampf. Pistorius bleibt aber zunächst der deutlich beliebtere Politik, was Scholz durch den ganzen Wahlkampf begleiten könnte.

Gibt es überhaupt eine Chance für eine Aufholjagd?

Wenn man Scholz auf die schlechten Umfragewerte anspricht, gibt er stets den Hinweis auf das Wahljahr 2021. Damals lag er zweieinhalb Monate vor dem Wahltermin noch rund 16 Prozent hinter Armin Laschet von der CDU. Nach einem unangebrachten Lacher Laschets im Flutgebiet im Ahrtal kippte die Stimmung. Die SPD gewann noch knapp mit 25,7 zu 24,1 Prozent gegen die Union. Scholz wurde Kanzler der ersten Ampel-Koalition mit Grünen und FDP auf Bundesebene. 

Diese Geschichte wird von ihm im Wahlkampf immer wieder zu hören sein. Die Ausgangslage war damals allerdings eine andere. Scholz war der Neue, auf den man noch neugierig sein konnte. Nun kennt man ihn deutlich besser und es gibt nach den Umfragen eine große Unzufriedenheit mit seiner Regierungsbilanz.

Mit welchen Themen will Scholz punkten?

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik und die Sozialpolitik werden eine große Rolle spielen: Sichere Rente, angemessener Mindestlohn, Steuerentlastung von 95 Prozent der Bevölkerung und der Ukraine-Krieg. 

Was passiert, wenn Scholz scheitert?

Sollte Scholz sein Ziel verfehlen, die SPD wieder zur stärksten Partei zu machen, dürfte seine Amtszeit irgendwann im Frühjahr oder Frühsommer enden. Er wäre dann zwischen drei und dreieinhalb Jahren im Amt – nur zwei seiner sieben Vorgänger und einer Vorgängerin blieben kürzer im Kanzleramt: Ludwig Erhard (CDU, 1963 bis 1966) und Kurt Georg Kiesinger (CDU, 1966 bis 1969). Sollte die SPD als Juniorpartner in eine neue Regierung eintreten, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Scholz einen Schritt zurücktritt und Minister wird. 

Was ist mit der Parteiführung?

Auch für sie könnte eine Wahlniederlage Konsequenzen haben, weil die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil, Saskia Esken und Matthias Miersch die Entscheidung für Scholz zu verantworten haben. Es kommt dann aber auf das Wahlergebnis an. Alles unter den 20,5 Prozent der SPD mit dem Kandidaten Martin Schulz 2017 wäre das schlechteste Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl. Im Moment liegt die Partei in allen Umfragen mindestens 4,5 Prozentpunkte darunter.