Die Polizei in Niedersachsen führt so viele Verfahren gegen Organisierte Kriminalität wie in kaum einem anderen Land. Innenministerin Behrens fordert einen neuen gesetzlichen Rahmen.

Niedersachsens Landesregierung will den Druck auf die Organisierte Kriminalität mit neuen Befugnissen und Strukturen weiter erhöhen. Innenministerin Daniela Behrens forderte bei der Vorstellung des Lagebilds für 2023 eine Ausweitung der rechtlichen Möglichkeiten für die Ermittler. Justizministerin Kathrin Wahlmann (beide SPD) kündigte an, die bisher drei Schwerpunktstaatsanwaltschaften Cybercrime zu einer Zentralstelle im Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg zusammenzufassen.

Dem Lagebild zufolge führte die niedersächsische Polizei im Jahr 2023 wie im Jahr davor 68 Ermittlungsverfahren zur Organisierten Kriminalität, hinzu kamen 16 Verfahren des Zolls und drei Verfahren der Bundespolizei. Das sei bundesweit der zweithöchste Wert, sagte Behrens.

Den Justizbehörden lagen 135 Verfahren zur Bearbeitung vor, 45 wurden gerichtlich erledigt. Bei beiden Werten handelt es sich laut Wahlmann um Höchstwerte. 

Allerdings brauche es rechtliche Anpassungen, um mehr Täter und ihre Netzwerke ausfindig zu machen, sagte Behrens. Dazu gehörten eine klare Regelung zur Speicherung von IP-Adressen, eine stärkere Regulierung verschlüsselter Messengerdienste und der gezielte Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Die Innenministerin mahnte: „Die Organisierte Kriminalität ist eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität unserer Gesellschaft.“

Die Kriminalitätsfelder

Insgesamt sprach Landespolizeipräsident Axel Brockmann von einem gleichbleibend hohen Niveau der Organisierten Kriminalität. Rund zwei Drittel der 68 polizeilichen Verfahren entfielen 2023 auf Drogendelikte – auch, weil der Kokainschmuggel aus Südamerika zunehmend über Nordseehäfen verlaufe. 

Einen deutlichen Rückgang gab es bei den Geldautomatensprengungen: Hier gingen die Fallzahlen von 68 auf 39 Taten zurück. In diesem Jahr könnte sich der Trend fortsetzen, bis Ende September wurden dem Lagebild zufolge erst 17 Taten registriert.

Im Bereich der Cyberkriminalität wurden vier Verfahren gegen 57 Verdächtige geführt. Dabei handelt es sich etwa um Erpressungstrojaner, Kinderpornografie und Fake-Shops. Justizministerin Wahlmann betonte, dass das Bedrohungspotenzial höher sei als der prozentuale Anteil der Verfahren. Weitere Kriminalitätsfelder der Organisierten Kriminalität sind unter anderem Wirtschaftsdelikte, Waffenhandel und Menschenhandel.

Die Täter

Die 68 Verfahren richteten sich gegen 736 Tatverdächtige aus 49 Staaten. Fast jeder Zweite von ihnen hat die deutsche Nationalität (43 Prozent). Unter den ausländischen Verdächtigen machten Albaner (10 Prozent) und Türken (9 Prozent) einen höheren Anteil aus. Brockmann zufolge unterschieden sich die Herkunftsländer 2023 nur geringfügig von denen des Vorjahres.

Die Finanzermittlungen ergaben im vergangenen Jahr einen geschätzten Ertrag der Kriminellen von rund 15 Millionen Euro – ein deutlicher Rückgang zum Vorjahr, als die Summe fast 120 Millionen Euro betrug. Allerdings wurde 2023 mit 2,9 Millionen Euro fast ein Fünftel des ermittelten Vermögens abgeschöpft, was einer deutlich höheren Quote als im Jahr zuvor entspricht (2022: 6,3 Millionen Euro). „Verbrechen darf sich nicht lohnen“, betonte Wahlmann.

Die Kritik

Die oppositionelle CDU kritisierte, angesichts steigender Kriminalitätszahlen fehlten der Justiz mehr als 165 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Zudem sei die abgeschöpfte Summe von weniger als drei Millionen Euro „geradezu ein Witz“, sagte der CDU-Abgeordnete Christian Calderone. „Wir brauchen im Land eine Zentralstelle, die mit Spezialisten ausgestattet auch Vermögenswerte im Ausland sicherstellen und verwerten kann.“

Die CDU forderte darüber hinaus, der Verfassungsschutz solle die Möglichkeit erhalten, die Organisierte Kriminalität zu beobachten, da Kriminelle bei Drogenrouten in Afrika „Hand in Hand mit Islamisten“ arbeiteten. Die Organisierte Kriminalität sei daher ein wichtiger Geldgeber für den islamistischen Terrorismus. Innenministerin Behrens sagte dazu, der Verfassungsschutz und die Polizei hätten unterschiedliche Aufgaben. „Der Verfassungsschutz ist kein Instrument der Kriminalitätsbekämpfung“, betonte sie. Die CDU übersehe dieses Trennungsgebot und vermische Aufgaben, die nicht zueinander gehörten.