Ein Windpark soll im Reinhardswald entstehen. Um „Grimms Märchenwald“ tobt seit Jahren ein Streit. Jetzt rollen dort die Baufahrzeuge an – trotz ungeklärter Rechtslage.
Der November ist im Fachjargon der Energieerzeuger auch als Monat der „Dunkelflaute“ berühmt-berüchtigt. So wird die Wetterlage genannt, in der es kaum Wind und Sonne für die Stromerzeugung gibt und Deutschland unter anderem auf Kohle zurückgreift.
Ausgerechnet in diesem Dunkelflauten-Monat fallen die Arbeiten für eines der umstrittensten Bauprojekte Deutschlands: Seit Beginn der Woche finden im Reinhardswald in Nordhessen Bodenarbeiten statt. Sie sollen das Areal für die Errichtung von Windrädern vorbereiten, von denen insgesamt 18 geplant sind. Und das, obwohl die juristischen Auseinandersetzungen um das Projekt noch nicht ausgestanden sind. Kritiker bemängeln die fehlende Rechtsgrundlage für die aktuelle Aktion.
Kommentar Doku Reinhardswald 19.20
Von insgesamt neun Verfahren, die am Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) noch offen sind, spricht beispielsweise der Hessische Rundfunk (HR). Unter anderem, so heißt es in mehreren Medienberichten, sind die Zufahrtswege zu den Windrädern noch nicht genehmigt. Auch über Klagen gegen die Genehmigung der Anlagen hat der VGH demnach noch nicht entschieden.
Windpark-Unternehmen sieht keine Probleme im Reinhardswald
Dennoch schickt der Projektierer seit diesem Montag Baufahrzeuge in den Wald, die das Erdreich aufwühlen. Gegenüber dem HR erklärt einer der Geschäftsführer der Windpark Reinhardswald GmbH, Grundlage für die Aktivitäten sei ein Rechtsgutachten, das der Projektierer selbst eingeholt habe. „Es gibt aus der rechtlichen Sicht dieser Kanzlei keine Themen, die dem entgegenstehen, die Anlagen hier zu errichten und zu betreiben“, sagte Ralf Paschold in dieser Woche der „Hessenschau“.
Das sieht der Bürgermeister der betroffenen Gemeinde Reinhardshagen ganz anders: Fred Dettmar fühlte sich an Methoden erinnert, die er offenbar sonst nur Menschen vom Kaliber eines Donald Trump zutraut: Die „Hessische-Niedersächsische Allgemeine“ zitierte den Lokalpolitiker mit den Worten, das Bauen ohne abschließendes Urteil verstoße „ganz böse gegen mein Rechtsempfinden“. Er fühle sich „an die Machenschaften des zukünftigen US-Präsidenten“ erinnert, so der Bürgermeister in einer Stellungnahme. Hier werde ein tausendjähriges Kulturgut von riesigen Maschinen geschleift. „Kein guter Tag für unseren Reinhardswald“, so Dettmar.
Windanlagen im Wald Interview mit Biologen 14.35
Bürgerinitiativen aus der Region und Umweltschützer gehen seit Jahren gegen das Projekt vor, sowohl mit Protestaktionen als auch vor Gericht. Sie fürchten, dass „Grimms Märchenwald“ unwiederbringlich beeinträchtigt wird und fragen sich, warum ausgerechnet im Namen des Klimaschutzes Wald zerstört werden soll. Befürworter argumentieren, es werde nur in Teilen des Waldes gebaut und auch nur an Stellen, an denen der Wald ohnehin zerstört sei, etwa durch den Borkenkäfer.
Das Thema hat sich längst auch zu einer ideologischen Auseinandersetzung entwickelt. Einer der Höhepunkte war 2022 eine Fernseh-Doku im Hessischen Rundfunk (HR), in der Kritiker des geplanten Windparks in die Nähe von Schwurblern und Reichsbürgern gestellt wurden. Der Wald ist ein Staatsforst, gehört also mehrheitlich dem Land Hessen. Jetzt sollen offenbar Fakten geschaffen werden, damit das Projekt vorankommt – Rechtslage hin oder her.
Wegen der ganzen Verzögerungen sei das ursprünglich auf 120 Millionen Euro Gesamtinvestitionen taxierte Vorhaben jetzt schon rund 50 Prozent teurer, rechnete Projektierer Paschold in dem HR-Beitrag vor. Das liege unter anderem auch am Ukraine-Krieg und der Inflation.
Nun wird also gebuddelt und Erde bewegt. Wenn alles so läuft, wie es sich der künftige Windparkbetreiber vorstellt, sollen die Fundamente für die Windräder bis Mitte nächsten Jahres fertig sein und die Anlagen Ende 2026 ans Netz gehen.
Diese sollen dann dazu beitragen, Hessen mit Strom zu versorgen – wenn nicht gerade wieder Dunkelflaute herrscht.
Quellen: Hessischer Rundfunk („Hessenschau“), „HNA„, „HNA„, „Frankfurter Rundschau„, Agora Energiewende