Männer sterben in Deutschland im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen. Das liegt nicht nur an der unterschiedlichen Genetik.
Fünf Jahre – solange leben Frauen in Deutschland durchschnittlich länger als Männer. Konkret gehen die jüngsten Statistiken des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung davon aus, dass Jungen, die in diesem Jahr geboren werden, im Schnitt eine Lebenserwartung von 78,6 Jahren haben und Mädchen durchschnittlich 83,4 Jahre alt werden. Männer sterben also im Großen und Ganzen deutlich früher als Frauen. Und das ist keineswegs ein deutsches Phänomen, sondern zieht sich durch die meisten Länder dieser Erde. Aber warum ist das so?
Mögliche Gründe für die frühere Sterblichkeit des männlichen Geschlechts gibt es viele. Der US-Forscher Kenneth Walsh von der University of Virgina hat erst kürzlich den Risikofaktor Biologie in diesem Zusammenhang verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Gemeinsam mit einem Forschungsteam konnte der Wissenschaftler herausfinden, dass der nachweisliche Verlust des Y-Chromosoms mit zunehmendem Alter altersbedingte Krankheiten fördern kann und das Herz-Kreislauf-System schädigt.
Zum Verständnis: Jeder Mensch besitzt zwei Geschlechtschromosomen. Frauen haben zwei X-Chromosomen, während Männer über ein X- und ein Y-Chromosom verfügen. Das X-Chromosom ist nicht nur größer als das andere, sondern baut sich auch nicht ab. Dadurch – so die Annahme – haben Frauen schon rein genetisch bessere Voraussetzungen für ein längeres Leben. Ein ähnlicher Einfluss wird auch den geschlechtsspezifischen Hormonen nachgesagt, dafür gibt es allerdings bislang keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege.
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Die wichtigen Lehren der Klosterstudie
Also ist die Biologie schuld an der unfairen Verteilung der Lebensdauer zwischen den Geschlechtern? Das allein wäre wohl zu einfach. So lässt sich zum Beispiel auch kaum abstreiten, dass auch die Sozialisation und der Lebensstil einen erheblichen Einfluss auf die Lebenserwartung haben. Der Wiener Demokratieforscher Marc Luy hat mit der sogenannten „Klosterstudie“ nachweisen können, dass das Umfeld eine große Rolle bei der Frage spielt, wie alt wir werden.
Für die Metaanalyse hat sich der Österreicher die Daten von knapp 12.000 Mönchen und Nonnen angeschaut. Das Ergebnis: Die Mönche lebten nicht nur länger als die männlichen Zeitgenossen außerhalb des Klosters, sondern durchschnittlich auch fast genauso lange wie die Nonnen. Statt mehrere Jahre Unterschied in der Lebensdauer war es durchschnittlich nur noch ein Jahr, das die Frauen im Kloster länger lebten als die Männer.
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Es ist naheliegend, dass also auch der Lebensstandard von Männern, wenn sie nicht gerade im Kloster leben, dazu beiträgt, dass sie durchschnittlich früher sterben als Frauen. Und unzählige Statistiken geben einen groben Einblick in die vielfältigen Ausprägungen dieses Lebensstils: Männer trinken durchschnittlich mehr Alkohol, rauchen eher und ernähren sich ungesünder. Insgesamt sind Männer dem Risiko also eher zugeneigt als Frauen. Grund dafür ist das Zusammenspiel aus dem pushenden Hormon Testosteron und dem noch immer verbreiteten Rollenbild des „starken Mannes“.
Das Bild des starken Mannes
Das hat auch Auswirkungen auf das Gesundheitsverhalten von Männern. „Es scheint so, als würden viele Männer tatsächlich erst dann zum Arzt gehen, wenn sie den Kopf schon unter dem Arm tragen“, sagt Kai Meinig, Achtsamkeitstrainer und Meditationslehrer bei Headspace im Gespräch mit dem stern. Er selbst hat erst durch eine psychische Krise gelernt, auf seinen Körper zu hören – und möchte das nun anderen Männern (und Frauen) näherbringen.
Wie wichtig das ist, merkt er immer wieder: „Manche Männer erkennen erst gar nicht, dass sie beispielsweise an einer Depression leiden, weil sie davon überzeugt sind, dass ihnen „sowas” nicht passieren kann.“ Das könnte auch Ursache dafür sein, dass Männer seltener Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen als Frauen. Am größten ist der Gap bei der Krebsvorsorge. Im Jahr 2020 haben die gesetzlichen Krankenkassen 6,7 Millionen Untersuchungen bei Männern abgerechnet – und mehr als 35 Millionen bei Frauen.
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Dabei haben Männer rein statistisch betrachtet einen größeren Bedarf an Vorsorge- und Präventionsmaßnahmen als Frauen. Allein im Berufsalltag sind männliche Arbeitnehmer deutlich mehr Umweltgiften und körperlichen Belastungen ausgesetzt als ihre Kolleginnen. Laut der Weltgesundheitsorganisation ist auch das Suizidrisiko von Männern um 75 Prozent höher als das von Frauen. Der Grund: Sie lassen sich zu spät – oder gar nicht helfen.
Hoffnung auf ein längeres Leben
Kai Meinig hat eine Vermutung, woran das liegt: „Männer sollen die Zähne zusammenbeißen, keinen Schmerz zeigen, stark bleiben und so weiter. Diese ganzen stereotypen Vorstellungen machen es einem natürlich schwer, seine Grenzen zu spüren und anzuerkennen, sich verletzlich zu zeigen und sich Hilfe zu holen.“ Sein Lösungsansatz: Die richtige Balance im Leben finden, auf die Signales seines Körper hören und sie ernst nehmen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern wird sich dadurch aber wohl nicht gänzlich erhöhen lassen – aber Achtsamkeit kann trotzdem die Lebensqualität steigern. Was die Länge angeht, kommt es wie so oft auf einen Mix an. Männer müssen sich auf jeden Fall nicht machtlos ihrem Schicksal der früheren durchschnittlichen Sterblichkeit abfinden. Jeder kann seinen Lebensstil gesünder gestalten und die Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, die nötig sind.
Und selbst, was die Biologie angeht, gibt es gute Nachrichten aus der Wissenschaft: Die jüngsten Erkenntnisse von US-Forscher Kenneth Walsh zum Schwund des Y-Chromosoms sind eine gute Basis für Mediziner:innen, um an Lösungsansätzen für das Problem zu arbeiten.
So könnte in Zukunft zum Beispiel ein Medikament dafür sorgen, dass das Absterben der Chromosomen verlangsamt wird. Und es gibt sogar schon ein Medikament, das dafür geeignet wäre. Bevor es eingesetzt werden kann, braucht es aber noch einen Test – denn nicht alle Männer sind gleichermaßen stark vom Verlust der Y-Chromosomen betroffen. Ergo: nicht jedem Mann droht – rein biologisch betrachtet – das frühere Ableben.
Quelle: Klosterstudie,