Von New York bis nach Los Angeles, vom Mittleren Westen bis nach Florida: Angesichts einer Präsidentschaftswahl von historischer Tragweite haben am Dienstag viele Millionen US-Bürger ihre Stimme abgegeben. Beide Präsidentschaftskandidaten warben noch am Wahltag unermüdlich um jede Stimme. „Geht raus und wählt“, beschwor die Demokratin Kamala Harris die US-Bürger. Ihr republikanischer Rivale Donald Trump sprach vom „wichtigsten Tag in der amerikanischen Geschichte“.
Der Wahlkampf war von starken Spannungen zwischen den politischen Lagern geprägt. Die Sicherheitsvorkehrungen für Wahllokale und andere staatliche Einrichtungen wurden im Vorfeld des Urnengangs deutlich verstärkt.
Trotz der Angst vor Unruhen bildeten sich vor den Wahllokalen im ganzen Land lange Warteschlangen. „Ich habe an die Zukunft dieser Nation gedacht, und offen gesagt an die freie Welt“, sagte der 65-jährige New Yorker Brockett Within nach der Stimmabgabe im East Village.
„Wir brauchen nicht noch vier weitere Jahre mit hoher Inflation, hohen Benzinpreisen, Lügen“, sagte Darlene Taylor aus Erie, dem größten und wohlhabendsten Bezirk des Swing States Pennsylvania.
In Pennsylvania blieb nach einer Softwarepanne an den Wahlmaschinen ein Wahllokal zwei Stunden länger geöffnet als geplant. Ein Gericht im Bezirk Cambria billigte einen entsprechenden Antrag des Wahlvorstands. In dem Bezirk hatte Trump bei der Wahl im Jahr 2020 rund 70 Prozent der Stimmen erhalten.
Nach Angaben der Bundespolizei FBI gab es in einigen Bundesstaaten Bombendrohungen gegen Wahllokale. Von den Drohungen sei bislang keine glaubwürdig gewesen, erklärte FBI-Sprecherin Savannah Syms. Viele der Bombendrohungen seien offenbar in Form von E-Mails aus Russland eingegangen seien.
Zuvor hatten die Behörden im umkämpften Swing State Georgia erklärt, Bombendrohungen hätten kurzzeitig den Wahlablauf gestört. Der Wahlleiter von Georgia, Brad Raffensperger, erklärte, die Bombendrohungen seien aus Russland gekommen.
Angesichts der historischen Tragweite des Urnengangs riefen Barack und Michelle Obama ihre Landsleute ausdrücklich zur Stimmabgabe auf. „Geht raus und wählt“, sagte der Ex-Präsident in einem im Onlinedienst X veröffentlichten Video. „Wählt Kamala Harris und Tim Walz.“ Michelle Obama forderte auf X: „Wählt, als ob Euer Leben davon abhängt.“
Der Tag der richtungsweisenden Präsidentschafts- und Kongresswahl begann mit der Öffnung der Wahllokale in den ersten Bundesstaaten an der Ostküste um 06.00 Uhr (Ortszeit, 12.00 Uhr MEZ). Nach und nach folgten weitere Staaten. Vorab hatten schon mehr als 78 Millionen der insgesamt 244 Millionen wahlberechtigten US-Bürger ihre Stimme bei der Frühwahl in den Wahllokalen oder per Briefwahl abgegeben.
Der Enthusiasmus der Wähler sei „groß“, erklärte Trump. Er bat sie, „Ihre Stimme abzugeben, egal wie lange es dauert“. Nach seiner Stimmabgabe in Florida äußerte sich der 78-jährige Rechtspopulist „sehr zuversichtlich“, wieder ins Weiße Haus einzuziehen.
Er versicherte überdies, sollte er die Wahl verlieren, würde er seine Niederlage unter der Bedingung eines fairen Wahlverlaufs anerkennen. „Wenn ich eine Wahl verliere, wenn es eine faire Wahl ist, wäre ich der Erste, der das anerkennt“, sagte er und fügte hinzu: „Bislang denke ich, dass sie fair war.“
Seine Wahlniederlage gegen den gegenwärtigen demokratischen US-Präsidenten Joe Biden vor vier Jahren hat Trump allerdings bis heute nicht anerkannt. Er beteuert vor seinen Anhängern immer wieder ohne jegliche Beweise, der Wahlsieg sei ihm „gestohlen“ worden.
Nach der Wahl 2020 hatte Washington infolge Trumps unhaltbarer Betrugsvorwürfe einen Gewaltexzess erlebt. Eine aufgestachelte Menge stürmte am 6. Januar 2021 das Kapitol, den Sitz des US-Kongresses in Washington.
Mit Blick auf mögliche neue Gewaltausbrüche wurden in der Hauptstadt Washington die Sicherheitskräfte verstärkt, Kapitol und Weißes Haus sind mit Metallbarrieren gesichert, zahlreiche Geschäfte und Bürogebäude verrammelt. In mindestens drei Bundesstaaten – Nevada, Washington und Oregon – wurde die Nationalgarde aktiviert. Bei einer Rückkehr Trumps ins Weiße Haus befürchten viele, dass der Rechtspopulist der US-Demokratie schweren Schaden zufügen könnte.
Die 60-jährige Harris und Trump lieferten sich in den Umfragen seit Wochen ein Kopf-an-Kopf-Rennen, so dass mit einem äußerst knappen Wahlausgang gerechnet wird. Ergebnisse aus ersten Bundesstaaten werden nach 19.00 Uhr (Ortszeit Washington, Mittwoch 01.00 Uhr MEZ) erwartet. Es ist aber ungewiss, ob die US-Fernsehsender schon in der Wahlnacht einen Gesamtsieger ausrufen können.
Entscheidend für den Wahlsieg dürften die Resultate in den sieben Swing States sein, in denen das Rennen besonders eng ist. Laut der jüngsten Umfrage der „New York Times“ und des Siena Instituts liegt Harris zwar in vier der sieben wichtigen Bundesstaaten vorn – in Pennsylvania aber verlor sie demnach an Zustimmung, so dass sie dort zuletzt mit Trump gleichauf lag.
Die US-Bürger entscheiden zwischen zwei Kandidaten, die für völlig gegensätzliche politische Konzepte stehen. Harris steht mit beiden Beinen auf dem Boden der US-Verfassung und in der Tradition der US-Demokratie. Bei einer Rückkehr Trumps ins Weiße Haus befürchten viele, dass sich der Rechtspopulist über die Gewaltenteilung hinwegsetzen und damit der US-Demokratie schweren Schaden zufügen könnte.
In der Außenpolitik ist von Harris zu erwarten, dass sie am europafreundlichen Kurs des scheidenden Präsidenten Joe Biden festhält, während Trump den Nato-Beistandspakt wie auch die US-Militärhilfen für die Ukraine in Frage gestellt hat.