Verboten, sagt das EU-Recht. Verboten gut, sagen die Sarden. Wer Casu Marzu kosten möchte, benötigt nicht nur starke Nerven, sondern auch einen robusten Magen – der Käse kommt mit Lebendeinlage.

„Auf der ganzen Welt, wird sehr viel verzehrt, doch ein richtiges Käsebrot, wird regelrecht verehrt“, heißt es in einem Lied von Helge Schneider. Vom Gouda bis zum Camembert, Greyerzer oder Harzer –  Käse ist nie gleich Käse. Er kann weich sein, er kann hart sein, nussig schmecken und sogar scharf, mit oder ohne Schimmel sein. Und er kann stinken, dass es einem die Fußnägel aufrollt. Aber gefährlich, das ist Käse eigentlich nicht.

Wäre da nicht der Casu Marzu aus Sardinien, der den Ruf hat, der gefährlichste Käse der Welt zu sein und mit diesem Titel seit 2009 im Guinness Buch der Rekorde steht. Für die Sarden ist der „verdorbene“ Käse eine Delikatesse und gilt als verboten gut. Hier scheiden sich die Geister. Nicht umsonst hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit die Herstellung untersagt, den Verkauf illegal gemacht. Denn der Käse hat sein ganz eigenes Innenleben: haufenweise Maden.PAID STERN 2020_17 Ta-Ta-Ta-Tarte 11.14

Casu Marzu oder das große Krabbeln

Die Käser dieser Welt scheuen die Käsefliegen wie der Teufel das Weihwasser. Haben die Larven erst einmal ihre Eier in den Laib gelegt, ist der Käse nicht mehr zu retten, ein verdorbenes Gut. Nur auf Sardinien wird ein anderer Ansatz verfolgt, dort werden die Tierchen als Veredler genutzt. Sie machen aus einem normalen Schafskäse den berühmt-berüchtigten Casu Marzu. Dafür wird der Pecorino oder Fiore, sobald er eine feste Form hat, teilweise entrindet und ein Stück der Käseoberseite entfernt. Danach wird er traditionell im Freien gelagert. Das lockt Käsefliegen an, die in den Laib ihre Eier legen. Sobald der Käse ausreichend befallen ist, wird der Deckel wieder aufgesetzt. In den folgenden Monaten reift der Casu Marzu.

Die Larven schlüpfen aus den Eiern, fressen und verdauen den Käse. Dadurch wandeln sich Geschmack und Konsistenz. Er bekommt ein kräftiges, scharfes, leicht gammliges Aroma, das mit dem von Gorgonzola verglichen wird. Die Säure, welche die Maden beim Verdauen ausscheiden, macht den Käse streichzart. Der Käse ist reif, wenn die Maden sich durch einen Großteil des Käses gefuttert haben. Wartet der Käser zu lang, ist der Laib ein Geschenk für die Tonne. Die Maden müssen noch leben, wenn es an den Verzehr geht. Auch sie gehören zum Geschmackserlebnis. Die Hirschhausen- Diät als App 14.05

Genussecht mit lebenden Maden

Casu Marzu hat eine lange Tradition, die seit Jahrhunderten besteht und auf das Hirtentum zurückgehen soll. Zu dieser Tradition gehört es auch, dass die Maden mit dem Käse gegessen werden. Die Fitness der Maden gilt als Qualitätszeichen. Wie gut es den Tieren geht, ist unter anderem an ihrer Sprungfähigkeit zu erkennen. Sie sollen bis zu 15 Zentimeter weit springen können, wenn sie Gefahr wittern – gerne auch einmal den Essern direkt ins Gesicht. Das ist nichts für zart besaitete Gemüter. 

Der Verzehr von Insekten liegt zwar im Trend, sie gelten immerhin als super Eiweißlieferanten, bei den Tierchen, die den Casu Marzu bevölkern, sieht die EU-Behörde aber eine Grenze überschritten. Das hat nichts mit Ekel zu tun, sondern mit dem Schutz der Gesundheit. Der Verzehr des Käses gilt als zu gefährlich. Denn Maden, die lebend verschluckt werden, können ernsthafte Schäden im Körper verursachen. Um zu Überleben knabbern die Würmer Magen- und Darmwände des Menschen an, im schlimmsten Fall verursachen sie Löcher. Die Folge: Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen, blutiger Durchfall. Augen zu und schnell runterschlucken ist daher keine Option. Die Maden müssen entweder sehr gut zerkaut werden oder als Käse-Maden-Paste aufs Brot aufgetragen werden.Burrata_12Uhr

Aber nicht nur die Möglichkeit des Madenbefalls im Magen-Darm-Trakt verursacht Schweißperlen auf den Stirnen von Lebensmittelwissenschaftlern. Sie bemängeln außerdem, dass über die Fliegen Bakterien wie Salmonellen in den Käse gelangen und die Maden, während sie sich durch den Käse arbeiten, Leichengifte produzieren. Um solche Gefahren auszumerzen, arbeiten Käseproduzenten inzwischen mit gezüchteten, keimfreien Käsefliegen. Der Appetit der EU auf den Madenkäse wurde dadurch allerdings nicht angeregt.

Offiziell darf’s ihn zwar nicht mehr im Handel geben, verkauft wird die ursardische Spezialität aber immer noch, allerdings unter der Hand und hochpreisig. Stilecht wird der Käse auf Pane Carasau, einem sardischen Fladenbrot, und Rotwein serviert.