Man nehme einen Bestseller, verfilme ihn in acht Teilen, fertig ist der Stoff zum Bingen? Wenn es so einfach wäre. „Achtsam morden“ startet angemessen blutig und wird dann immer zäher.

Schöne Einstellungen, cineastische Perspektiven, ein bisschen Off-Text und tolle Typen. Taschen voller Geld und Drogen, nackte Haut, Waffen, Handgranaten. Dann diese Motorsägen. Und was ist eigentlich mit dem Häcksler? Das knallt, das hat Tempo und anscheinend auch noch eine gute Prise Humor mit passenden Pointen. 

Leider handelt es sich hierbei nur um den Trailer von „Achtsam morden“.

Wer sich via Netflix an das ganze Drama herantraut, sollte Geduld mitbringen, Ausdauer und Nachsicht. Oder sich stattdessen vielleicht doch lieber bis zum Dezember gedulden. Aber der Reihe nach.

Karsten Dusses Romane wurden in 26 Sprachen übersetzt

Mit seinem Buch „Achtsam morden“ landete Karsten Dusse vor fünf Jahren einen Überraschungserfolg. Als Dreh- und Sachbuchautor hatte der Mann aus Essen, Jahrgang 1973, sich warmgelaufen. Ursprünglich als Rechtsanwalt in Miet- und Eigentumsrecht unterwegs, entwickelte er Fernsehformate wie „Millionärswahl“ (ProSieben), schrieb für „Ladykracher“ und Stoffe wie „Halbwissen eines Volljuristen“. 

STERN PAID 39_22 Karsten Dusse Stirb achtsamer 18.30

Mit dem Roman über den Anwalt, der Achtsamkeit lernt – und dabei über Leichen geht – gelang ihm ein Volltreffer. Fünf Bücher sind es mittlerweile, übersetzt in 26 Sprachen – Bestseller-Autor in Großbuchstaben. Und die Verfilmung seines Stoffes damit nur eine Frage der Zeit.

Achtsamkeits-Seminar oder die Ehe ist durch

Eine Frage, die Netflix jetzt beantwortet. Die Story ist bekannt. Gestresster Anwalt erhält Ultimatum von seiner Frau. Achtsamkeits-Seminar oder die Ehe ist durch. Die Tochter sieht er dann womöglich auch nur noch alle vierzehn Tage. Also begibt dieser Anwalt sich in die Praxis eines mentalen Entschlackungs-Gurus und lässt sich in puncto Achtsamkeit mal so richtig durchcoachen. Alles gut und schön, wenn da nur nicht diese Mandanten wären, von denen die meisten soviel auf dem Kerbholz haben, dass nicht mal Petrocelli, Rolf Bossi oder Christian Schertz sie raushauen könnten.

Aber es gibt ja Björn Diemel, gespielt von Tom Schilling, und der verdreht das Recht so elegant, dass er eine große Karriere vor sich haben könnte. Gäbe es da nicht die Sache mit der Achtsamkeit. Und der Leiche im Kofferraum.

Acht Episoden umfasst nun diese Staffel, inszeniert haben die Regisseure Max Zähle, Martina Plura und Boris Kunz, die Drehbücher für die Filmadaption stammen von Doron Wisotzky, Anneke Janssen und Michael Kenda. Emily Cox ist als Diemels Gattin Katharina zu sehen, ebenfalls im Cast u.a. Sascha Alexander Gersak, Britta Hammelstein, Murathan Muslu und Johannes Allmayer. Und Marc Hosemann, dem eine entscheidende Position zufällt.

„Achtsam morden“ wird zur gedehnten Geduldsprobe

Da ist also viel Kompetenz und Talent versammelt, aber an irgendeiner Stelle scheint dieses Projekt buchstäblich in Sirup getreten zu sein. Die Dialogszenen, der Plot, die Dramaturgie verdichten sich im Laufe der Episoden zu einer gedehnten Geduldsprobe. Dabei fängt alles überaus solide an. Wie Diemel/Schilling in diesen Fall hineingerät, die Art und Weise, wie er das Problem namens Dragan löst, die herrlich morbide Szene mit dem Laubhäcksler am See. Wobei… Häcksler, Leiche, Blutfontänen, war da nicht mal was? „Fargo“?

Einmal durchcoachen bitte: Diemel (Tom Schilling) findet bei Joschka Breitner (Peter Jordan) ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie

Fast unbemerkt mäandert das Ganze bald Richtung Dialog-Drama, endlose Gespräche, die die Dinge kaum vorantreiben. Zudem durchbricht Diemel/Schilling nicht nur die vierte Wand und spricht gefühlt in jeder dritten Szene mit dem Zuschauer, sondern versteigt sich zudem in endlosen Off-Erklärungen. Die Szenerie wirkt, als hätte man das Ganze in Musterhäusern gedreht, alles vom gesprengten Auto bis zum durchwühlten Schreibtisch sieht drapiert aus, auf dem Kommissariat der Muff wie in einer mittelmäßigen „Tatort“-Folge aus den Zehner Jahren. 

Marc Hosemann ist on fire

Die Gangster sollen ordentlich Böse-Blicke-Drama versprühen, würden aber nicht mal Justus, Peter und Bob in die Flucht schlagen. Die Ausnahme ist Marc Hosemann, dessen Spiel zwischen Grimm und Grinsen an Ralf Richter denken lässt, der einzige, der dem Ganzen den so nötigen Biss verleiht und on Fire ist. Aber sonst? Dabei haben wir noch nicht mal vom Achtsamkeitscoach gesprochen, der sich immer wieder ins Geschehen einmischt, umkränzt von einer teletubbigen Weichzeichner-Wolke. Ächz. Seufz. Stöhn. Gleichmäßig atmen…

Vier weitere Bücher gibt’s noch. Man kann also nachbessern

Wer den Trailer gesehen hat, wird womöglich auch an „Dexter“ gedacht haben, an das Konzept des Undercover-Killers, kompetent im Umgang mit Motorsäge, Plastikfolie und Gaffa-Tape. „Achtsam morden“ löst das leider kaum ein, zieht sich stattdessen über acht Teile, denen gegen Ende ganz kontrazyklisch auch noch der letzte Rest an Tempo ausgeht. 

Aber wer weiß – es gibt ja noch vier weitere Bücher aus Dusses Serie. Macht potentiell vier weitere Staffeln, da könnte man sicher ein wenig nachbessern. Apropos Dexter: Auf den dürfen sich Fans im Dezember freuen, da nämlich startet eine kaum für möglich gehaltene, neue Staffel. „Dexter: Original Sin“ wird ab dem 13. Dezember 2024 auf Paramount+ verfügbar sein. „Achtsam morden“ startet am 31. Oktober auf Netflix.