Unsere Autorin hat sich an ein ostfriesisches Traditionsgetränk gewagt: „Ostfriesische Bohnsopp“, auch „Kinnertön“ genannt. Wie der schmeckt, schreibt sie hier. 

Wozu so manch urbaner Mensch wohl sagen würde „Hier möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen“, dem sage ich, dass er gern mein Phrasenschwein befüllen darf. Außerdem habe ich hier viele Jahre quick lebendig über dem Zaun gehangen. Ostfriesland, genauer: Emden. Hier beherrscht der Backstein das Stadtbild. Rostrote Häuser reihen sich aneinander wie Legosteine. Ohne Tamtam. Schlicht und einfach wie die Emder selbst. Hier spaziert niemand, hier schlendern alle. Dort, wo die A31 endet, beginnt der Tag mit Thiele Tee. „Der kommt hier nämlich wech“, wissen die Ostfriesen. Genau wie Otto Waalkes und Henri Nannen (geb. 25. Dezember 1913 in Emden; gest. 13. Oktober 1996 in Hannover), früher stern-Chef. Darauf sind die Emder stolz. Und nicht nur darauf. 

Blick auf das Emder Rathaus am Delft
© Fotomax

Weit entfernt vom metropolischen Geschehen schippern Fähren mit Touristen nach Borkum, Schiffe verladen E-Autos raus in die Welt – frisch aus dem VW-Werk gerollt. Hier fährt man mit dem Rad zum Außenhafen. „Schiffe gucken“ heißt das dann. Mehr braucht dieser Satz nicht, mehr braucht der Tag nicht. Tee gibt’s zu jeder Uhrzeit, einen im Tee nur nach Feierabend. Wichtig ist der Würfelkandis. Kluntje, sagt man hier. Der findet sich auch im ostfriesischen Traditionslikör wieder – aber dazu später mehr. Ein Schnuff Sahne im Tee ist auch nicht schlecht für Wölkchen auf der Teeoberfläche. Wolken kennen die Emder. Das Wetter in Ostfriesland kann launisch sein. Das liegt an der Nähe zur Nordsee. Hier kann einen der Wind schon mal um die Ohren peitschen. Ob sich das in den Gemütern der Emder widerspiegelt? Nur selten. 

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Ostfriesische Bohnsopp – was das ist

Die Emder sind robust, manchmal zurückhaltend, ja. Aber sie sind auch gesellig. Und Ostfriesenwitze? Findet hier niemand lustig, trotzdem geht kein Emder zum Lachen in den Keller. Ostfriesen lieben ihre Traditionen und Feste. Gründe zum Feiern gibt’s hier, klar. Man geht hier Boßeln, es gibt Kohlfahrten, Schützenfeste, Osterfeuer. Dann gibt’s auch gern mal einen „Klaren“, gemeint Schnaps. Bekommen Ostfriesen ein Kind, gibt es „Bohnsopp“, auch „Kinnertön“ genannt. Damit ist kein schlotziger Eintopf gemeint, sondern ein Gemisch aus Rosinen, dem besagten Kluntje und ostfriesischem Branntwein, manchmal auch mit Rum und Nelken. Angesetzt wird der Likör drei bis vier Wochen vor dem Geburtstermin. Die Rosinen müssen prall werden wie Kinderzehen, deswegen „Kinnertön“. Geschmacklos? Wohl kaum – sollte ich später feststellen. Getrunken hatte ich den Likör zurvor noch nie. Wird Zeit, dachte ich (auch wenn gerade niemand ein Kind bekommt). Und so wollte ich meine Freunde aus der Heimat ermutigen, sich mir anzuschließen. Die Reaktionen: „Bäh, wieso willst du das trinken?“ oder „viel Spaß, ich bin raus“. So schlimm? Was soll’s, ich pack das, dachte ich. Zur Not trinke ich auch allein, ihr Lappen – liebe Grüße an meine Freunde an dieser Stelle. Schließlich klingt die Zutatenliste doch gar nicht schlecht: Rosinen, Zucker und Rum.

In ortsansässigen Supermärkten wird man schnell fündig. Kleine Einmachgläser mit Tuch am Deckel, die mehr Lust auf Essiggurken als auf Likör machen, reihten sich in den Regalen der Spirituosenabteilungen aneinander. 7 Euro kostete die Alkoholsuppe. Wer sich Mühe gibt, setzt selbst an. 

Das Rezept: Was man braucht

250 g Rosinen100 g Kluntje1 Liter ostfriesischer Branntwein

Ostfriesischer Branntwein

Wer selbst ansetzen möchte, sollte wie folgt vorgehen:

Rosinen waschen, trocken tupfen und in ein großes Gefäß gebenKluntje hinzugebenOstfriesischen Branntwein hinzugebenDas Gefäß verschließen und so lange ziehen lassen, bis sich die Rosinen vollgesogen haben (das kann drei bis vier Wochen dauern)

Serviert wird der Likör in Gläsern mit einem kleinen Löffel.

Deutschland, deine Drinks: So schmeckt der ostfriesische Likör

Meiner Ungeduld geschuldet, kaufte ich mir im Supermarkt eine der Mischungen in Gefäßen, die Gurkengläsern anmuten. Als ich das Glas „Bohnsopp“ vor mir stehen sah, dachte ich: ‚Gut, sieht so aus, als hätte jemand Unmengen angerauchter Zigarettenstummel in einem Wassergefäß wochenlang ziehen lassen, aber kann ja schmecken‘. Zumindest roch der Likör nicht nach Nikotin, sondern süßlich. Mit skeptischem Blick nippte ich vorsichtig am Glas. Was dann geschah, übertraf meine Erwartungen. Eine Welle von süßlich-alkoholischen Aromen traf meine Geschmacksknospen, die sich zugegeben oft über derartige Nuancen freuen. Schon der Likör allein schmeckte stark nach Rosinen. Gar nicht mal so schlecht, dachte ich. Oder was Ostfriesen sagen würden, um ihre Begeisterung kundzutun: „He, wat mooi!“. 

Mit einem kleinen Löffel tauchte ich ab in die Tiefen des Likörglases, um Rosinen zu picken. Die Konsistenz der alkoholgetränkten Beeren war für meinen Geschmack gewöhnungsbedürftig, sehr weich und matschig. Nach purem Alkohol schmeckten sie auch. Wer mehr, als nur einen Schwipps möchte, sollte die auf jeden Fall essen. Ich ließ die restlichen am Boden des Glases liegen – heute nicht, dachte ich. Genüsslich trank ich den Likör aus. Weil’s mir schmeckte (zugegeben: und weil ich gern meine Freunde ärgere) werde ich die ostfriesische Tradition fortzuführen und freue mich schon auf das nächste Neugeborene im Freundeskreis. Zu jedem, der wie ich sich traut zu probieren, sage ich: Prost! Oder eben:“Ik segg van Proost!“

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