Johann T. muss sich in seiner Beziehung verallgemeinernde Vorwürfe anhören, weil er ein Mann ist. Das schmerzt ihn. Julia Peirano rät ihm, auf eine andere Art mit seiner Freundin zu kommunizieren und persönliche Vorlieben konkret zu verhandeln.

Liebe Frau Peirano,

um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin konservativ-katholisch erzogen worden und finde das auch ganz gut so. Meine Freundin ist radikale Feministin. Kann das gut gehen?

Zu meinem Hintergrund: Ich komme aus einer eher klassischen Familie. Meine Mutter ist Hausfrau, mein Vater Polizist. Bei uns zu Hause ist meine Mutter für den Haushalt, Geborgenheit und Problemgespräche zuständig. Mein Vater verdient das Geld und kümmert sich um das Auto, Reparaturen und Büroarbeit. Beide sind sehr zufrieden damit und führen eine gute Beziehung.

Zum Hintergrund meiner Freundin: Sie wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf, die vom Vater meiner Freundin und anderen Männern schwer enttäuscht wurde. Ihr Credo: Eine Frau darf sich nicht von einem Mann abhängig machen und ihren Wert nicht in einer Beziehung suchen, sondern soll auf eigenen Beinen stehen.

Peirano: immer neue Partner 20.30Meine Freundin hat das von früh auf übernommen und hat mich zu Beginn der Beziehung erst mal lange „getestet“ und zum Teil auch „umerzogen“. Mittlerweile mache ich selbstverständlich die Hälfte der Hausarbeit. Aber ich kümmere mich lieber um Reparaturen als ums Kochen, meine Freundin mag gerne Kochen. Aber sie lässt es nicht zu, dass ich den Bohrer öfter in die Hand nehme als sie, um „alte Rollenbilder“ abzuschaffen.

Wenn ich sie im Restaurant mal einladen will, zückt sie vor mir das Portemonnaie. Überhaupt besteht sie auf getrennte Kassen und einer genauen Abrechnung, sodass jeder immer die Hälfte zahlt. Ich finde das etwas unromantisch, weil ich es schön finde, eine Frau auch mal einzuladen.

Ich finde es auch anziehend, wenn eine Frau sich weiblich kleidet und mal eine ausgeschnittene Bluse oder einen kurzen Rock trägt. Meine Freundin trägt, obwohl sie eine tolle Figur hat, immer Jeans oder Cargohosen und weite Oberteile. Wenn ich mal einer Frau hinterherschaue, die hohe Schuhe und enge Röcke trägt, heißt es gleich: „Du bist ein Chauvinist.“Peirano meine neue Flamme ist sehr unzuverlässig und läst mich zappeln 21Uhr

Wir waren zusammen in dem „Barbie“-Film und haben uns danach nur gestritten. Ich fand es nicht so lustig, dass Männer eine so lächerliche Figur abgegeben haben, es gibt ja auch ganz andere!

Meine Freundin hat über die Unabhängigkeit der Barbies triumphiert, aber ihr ging die Kritik am Patriarchat lange nicht weit genug. Sie sagt oft, dass sie sich auch eine Welt vorstellen könnte, in der die Frauen alle Ämter innehaben und sich nur einen Erzeuger für die Kinder aka einen Samenspender suchen und danach die Männer ausgedient haben. Ich finde das verletzend, denn ich bin auch ein Mann! Und das gerne. Und ich habe wohl weit mehr zu bieten, als sie impliziert.

Ich finde nur, dass Männer und Frauen gleichberechtigt, aber unterschiedlich sind und sein sollen. Männer sollen Frauen beschützen, Frauen können Männer ruhig ein wenig umsorgen. Ich mag Lederjacken und einen 3-Tage-Bart an mir und ebenso lange Haare und feminine Kleidung an einer Frau. Meine Freundin findet das sexistisch und wirft mir vor, ich sei in den 60er Jahren stehen geblieben.

Sie ist auch absolut gegen die Ehe, weil sie findet, dass die Ehe eine von den Kirchen erfundene Methode zur Unterdrückung der Frauen ist. Ich finde Heiraten schön und romantisch. Natürlich kann man einen Ehevertrag aufsetzen und regeln, wie man leben möchte. Aber mein Wunsch (und auch die Hoffnung meiner Mutter auf eine Hochzeit) wird einfach so abgetan.

Ich möchte jetzt nicht alles negativ darstellen. Meine Freundin ist sehr interessant, liebenswürdig und intelligent. Wir haben schon tolle Sachen zusammen gemacht (durch Lateinamerika gereist mit dem Motorrad, sind beide Skilehrer) und können uns auch gut unterhalten. Aber in letzter Zeit nimmt doch diese feministische Einstellung zu starke Züge an. Das liegt auch an zwei neuen (lesbischen) Freundinnen, die sie hat. Die beeinflussen sie gegen mich und nach den Treffen kommt sie erst mal nach Hause und prüft genau, ob wir auch wirklich gleichberechtigt putzen, arbeiten, reden. Und ich werde dabei oft angeklagt und frage mich, warum. Denn ich habe mir nichts vorzuwerfen.

Haben Sie ein paar Denkanstöße für mich?

Viele Grüße
Johann T.

Lieber Johann T.,

„Gegensätze ziehen sich an“, lautet ein altes Sprichwort. Paarforscher haben diese Redensart gründlich untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das nur auf die Anfangsphase einer Beziehung zutrifft. Danach nerven oder belasten einen die Unterschiede oft.

Es hört sich so an, als wenn auch Sie sich eine große Herausforderung gesucht haben, indem Sie mit einer Frau zusammen sind, die in vielen wichtigen Bereichen der Partnerschaft ganz andere Auffassungen und Überzeugungen hat als Sie. Das wird ja schon aus Ihrer beider Lebensgeschichten deutlich. Für die Mutter Ihrer Partnerin war es wahrscheinlich hart, so enttäuscht und im Stich gelassen zu werden, und daraus hat sie das Mantra der Unabhängigkeit entwickelt. Das – und auch ein Misstrauen Männern gegenüber – hat sie auf ihre Tochter übertragen.

Ich kann mir vorstellen, dass es Sie verletzt, dass Sie von Ihrer Partnerin nicht als Individuum gesehen werden, sondern dass sie Ihnen Vorbehalte (vielleicht auch Vorurteile) entgegenbringt, weil Sie zur Gruppe der „unzuverlässigen“ und „enttäuschenden“ Männer gehören. In einer Beziehung, insbesondere in einer Liebesbeziehung, geht es aber im Kern darum, den anderen so zu sehen, wie er/sie ist, mit allen Eigenschaften, Erfahrungen, Vorlieben, Wünschen und Sehnsüchten und ihn/sie nicht in eine Schublade zu stecken. Denn in einer Liebesbeziehung wollen wir uns offen zeigen können und angenommen werden.

Die Einsortierung in eine Schublade ist die erste Verletzung.BIo Julia Peirano

Die zweite Verletzung ist die, dass es in der westlichen Welt eine Maxime ist, dass jedes Paar für sich die Spielregeln der Beziehung selbst aushandeln darf. Wollen wir treu sein oder polyamor? Gehen wir in den Swingerclub oder kommt das nicht in Frage? Lassen wir uns den ganzen Körper voller Tattoos stechen oder ist das ein No-go?

Möchten wir Kinder bzw. Haustiere?  Wie ordentlich soll es bei uns sein? Leben wir im Bauwagen oder in einem Loft? Wer kocht bei uns, wer regelt die Finanzen, wer macht den Garten?

Diese und tausend weitere Themen sind Verhandlungssache und zwar die des Paares und möglichst von niemandem sonst. Diese Errungenschaft, dass ein Paar das alles selbst und bitte einvernehmlich entscheidet und sich von niemandem reinreden lässt, ist eine extrem wichtige Grundlage moderner Beziehungen.

Weder sollten die Eltern des Mannes sagen, ob, wann oder wer geheiratet wird noch sollten die Religion/die Familie/die Nachbarn/der Staat Vorschriften machen, ob das Paar vor der Ehe zusammen leben oder Kinder bekommen darf.

Und jetzt kommt Ihre Freundin mit Glaubenssätzen, die Sie nicht oder nur ansatzweise teilen, und verlangt, dass Sie Ihre Beziehung anhand dieser Glaubenssätze führen sollen. Also auf eine Ehe verzichten, weil das in den Augen Ihrer Freundin nicht feministisch ist. Keine kurzen Röcke und enge Blusen anziehend finden, weil das sexistisch ist.

An dieser Stelle würde ich sagen, dass mittlerweile ein Konsens der Feministinnen ist, dass es keinen Konsens über viele Themen gibt.Peirano September 4 2023 20.00

Einige Frauen tragen sehr knappe, sexy Kleidung und bezeichnen sich als Feministinnen. Andere tragen weite Kleider oder kleiden sich in einem ehemals als  „Männerkleidung“ bezeichneten Stil. Auch sie bezeichnen sich als Feministinnen. Der Feminismus ist so unterschiedlich wie die Frauen selbst. Der Konsens besteht darin, dass jede Frau selbst entscheiden darf, was sie gerne trägt und dass andere Frauen (und natürlich alle anderen Menschen) diese Entscheidung akzeptieren sollten.

Mein Ansatz zur Veränderung dieser Verletzungen in Ihrer Partnerschaft wäre, konsequent von der normativen Ebene (also der Ebene der Regeln und Prinzipien) auf die persönliche Ebene zu gehen. Wenn Ihre Freundin zum Beispiel sagt, dass die Ehe eine Institution des Patriarchats ist, könnten Sie fragen: Wie wollen wir beide denn unser Zusammenleben regeln? Was ist dir wichtig? Mir ist die Romantik wichtig, und ich finde eine Hochzeit romantisch. Wie wollen wir damit umgehen?

Oder: „Deine Freundinnen finden, dass Frauen ohne Mann besser dastehen. Was genau möchtest du mir jetzt damit sagen? Was glaubst du, wie ich mich fühle, wenn ich das von dir höre?“

Wenn Ihre Freundin Sie als Chauvinist bezeichnet, weil Sie bestimmte Kleidung attraktiv finden, könnten Sie sagen: Lass uns doch mal schauen, was gerade zwischen uns beiden passiert und mit unserer Vorstellung von Erotik. Das heißt, dass Sie sich verbal dagegen wehren, in eine Schublade gesteckt zu werden und stattdessen immer wieder auf die „Wir“-Ebene gehen. Ich habe den Wunsch, dich auch mal einzuladen, in einem kurzen Rock zu sehen, respektiert zu werden als Mann. Wie können wir das in dieser Situation gemeinsam hinkriegen?

Ich hoffe, dass diese mühsame, kleinschrittige Arbeit Ihnen beiden dabei hilft, einige Knoten zu lösen, die in Ihrer Beziehung entstanden sind.

Herzliche Grüße
Julia Peirano