Wie er’s macht, er macht’s falsch: Olaf Scholz spricht ein Machtwort in der Migrationspolitik – das der SPD aber nicht in den Kram passt. Und nun? Stehen alle blöd da. 

Na bitte, er kann’s ja doch: das Machtwort. Nur seinen eigenen Leuten recht machen, das kann Olaf Scholz nicht. Das Verhältnis zwischen Scholz und seiner SPD ist offenkundig gestört, wie der Eklat um den Kanzlerklartext exemplarisch zeigt. Besonders irritierend ist jedoch, wie wenig Kanzler und Kanzlerpartei dafür tun, diesem fatalen Eindruck etwas entgegenzusetzen. 

Aber eins nach dem anderen.

Seit Wochen wird in der SPD erbittert über den Kurs in der Migrationspolitik gestritten, insbesondere Parteilinke stören sich an der härteren Gangart, die mit dem „Sicherheitspaket“ beschlossen werden soll. Dem Kanzler dürfte das ausgeprägte Unbehagen seiner Genossen nicht entgangen sein, schließlich ist er der Adressat mehrerer Brandbriefe, in denen ihm recht unverblümt vorgeworfen wird, rechte Narrative zu reproduzieren. Das allein ist ein bemerkenswerter Vorgang. Es brodelt in der SPD. Und ihr Kanzler? Brodelt ungeniert zurück. 

Olaf Scholz: Diesen Klartext will die SPD dann doch nicht

Am Dienstag meldeten sich erneut mehrere Genossen kritisch zu Wort, denen auch das nunmehr abgeschwächte Maßnahmenbündel zu weit geht. Scholz veranlasste das intern zu einem Machtwort, das einige als Drohung mit der Vertrauensfrage verstanden, immerhin wolle der Kanzler notfalls „von meinen Möglichkeiten Gebrauch machen“, wie er dem Vernehmen nach sagte. Die Botschaft war unmissverständlich: Ich habe die Faxen dicke – wir machen das jetzt. 

Die Episode lässt tief blicken, in vielerlei Hinsicht. 

Scholz scheint völlig das Gespür für seine Genossen abzugehen. Unzählige Male hat die SPD von ihm eingefordert, die Rolle des Mittlers und Moderators abzustreifen und mehr Führung zu zeigen; im kräftezehrenden Ampel-Miteinander endlich einen sozialdemokratischen Ton zu setzen. Jetzt spricht Scholz das lang ersehnte Machtwort – aber ausgerechnet bei einem Thema, das seine Partei null mobilisiert oder begeistert, sondern schwer polarisiert. Das ist mindestens unsensibel, mitunter ungeschickt: Ein Streit- und Reizthema durch ein „Basta!“ abzuwürgen, dürfte die Skeptiker in der SPD weder beruhigen noch überzeugen, möglicherweise erst recht ihren Kampfgeist wecken, gegen den Kanzlerkurs aufzubegehren. Juso-Chef Philipp Türmer ruft schon zur Standhaftigkeit auf. 

Interview Türmer 6.02

Allerdings ist die Empörung über Scholz‘ Ansage ebenso fragwürdig – und ein bisschen scheinheilig. Der Kanzler zeigt Führung, aber in die falsche Richtung? Das kann’s auch nicht sein. „Olaf, du sagst doch immer: Wer bei mir Führung bestellt, kriegt Führung“, wurde dem Kanzler einmal in einer Fraktionssitzung vorgehalten. „Dann schlag doch mal häufiger auf den Tisch. Er schlägt schon nicht zurück.“ Nun fliegt dem Kanzler der Tisch regelrecht um die Ohren, weil er draufgeschlagen hat – es den Genossen aber nicht in den Kram passt. Nach dem Motto: Wenn Klartext, dann bitte nur an die Koalitionspartner. 

Was bleibt? Ein Kanzler-Klartext, der offenbar noch kryptisch genug war, um ihn falsch verstehen zu können: Hat er jetzt mit der Vertrauensfrage gedroht oder nicht? Und verzweifelte Spitzengenossen, die irgendwie versuchen wieder einzufangen, was nicht mehr einzufangen ist. Der interne Schlagabtausch wird zur „lebhaften Debatte“ geschminkt, der Widerstand gegen das Sicherheitspaket als „überschaubar“ bezeichnet – und legitime Kritik damit zur Nichtigkeit geschrumpft. Im Ergebnis stehen sowohl der Kanzler als auch die Kanzlerpartei blöd da.