Zum 80 Geburtstag des Hollywood-Schauspielers Udo Kier: seine besten Bilder von Fotograf Jan Riephoff

Um die Jahrtausendwende war in einer Hamburger Spelunke namens „Tschüß mach’s gut“ ein Mann vom Barhocker gefallen. Ein anderer Gast versuchte daraufhin, die Schnapsleiche mit einem Schluck Rotwein wiederzubeleben, was einigen griesgrämigen Rockern am Tresen missfiel und schnell eine brenzlige Situation hervorrief. Gerade als einer zudreschen wollte öffnete der Besoffene am Boden die Augen und sagte: „Udo Kier, der größte Schauspieler der Welt. Ich muss im Himmel sein!“

Der Gag dieser Anekdote: Der Kneipengast war tatsächlich Udo Kier, der in Hamburg weilte und wie so oft mit seinem Fotografenfreund Jan Riephoff um die Häuser gezogen war. Von all den anderen großen Namen Hollywoods, zu denen er zweifelsfrei gehört, unterscheidet ihn Wesentliches: Der Mann, der in über 250 Kinofilmen spielte, ist stets der „Kölsche Jung“ geblieben, trotz maximaler Exaltiertheit, auf seine besondere Weise bodenständig.

Aus den Trümmern von Köln auf die große Leinwand

Udo Kiers Leben hatte bereits als Drama begonnen, in den Trümmern der zerbombten Rheinmetropole Köln, wo er und seine Mutter wenige Stunden nach seiner Geburt verschüttet worden waren. Dort sollte er auch Rainer Werner Fassbender in einer Arbeiterkneipe kennenlernen, der ihn entdeckte, aber nicht als Schauspieler, sondern als Schönheit. Sie machten Fotos des jungen Kier und verhökerten diese. Jahre später sollten sie auch miteinander drehen und in Schwabing eine WG teilen. Unter den wichtigsten Regisseuren der atemberaubenden Karriere die Udo Kier nimmt er aber keinen vorderen Platz ein. Da stehen ganz andere Namen: Andy Warhol, Lars von Trier, Christoph Schlingensief, Werner Herzog, Gus van Sant. 

In den Siebzigern wurde Udo Kier neben Alain Delon und Helmut Berger als einer der drei schönsten Männer Europas gehandelt, die alle um die Gunst des homosexuellen Starregisseurs Lucchino Visconti buhlten. Kier ist der Einzige, der heute noch lebt und immer noch Filme dreht. Die ganz großen Hauptrollen in bedeutenden Filmen hatte er hingegen nie. Aber nach diesen Maßstäben sollte man dieses Lebenswerk nicht betrachten.

Udo Kier galt als einer der schönsten Männer Europas

Udo Kier war immer eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur wegen seiner Schönheit, den bestechend einnehmenden Augen, sondern aufgrund seines Selbstverständnisses. Kier war nie Kunstschaffender, er war und ist sich selbst das Kunstwerk. Die unzähligen Fotografien, die es von ihm gibt, sind Teil seines Schaffens, hat er doch stets eine ganz eigene Idee, sich zu zeigen. Am nachhaltigsten bleibt vermutlich seine Mitwirkung an einem der bedeutendsten Fotoprojekte des Starfotografen Steven Meisel, der 1992 mit Superstar Madonna den gigantischen Fotoband „Sex“ inszenierte. Kier ist neben Isabella Rosselini und Naomi Campbell einer der Hauptprotagonisten des Projekts und auch der mit den gewagtesten Aufnahmen. Er ist in Lack und Leder zu sehen und in homoerotischen Szenen mit nackten Jünglingen, die er auf allen Vieren an Leinen führt. 

Er ist ein Meister der Pose

Udo Kier war immer ein Meister der Pose, und galt auch deshalb in den USA als Gegenentwurf zu all der bundesrepublikanischen Biederkeit, er ist der Deutsche mit Appeal. Man weiß um seine Lust am Exzess und an der Grenzüberschreitung, wer ihn privat kennt, weiß aber auch um seine eiserne Disziplin, ohne die diese Karriere niemals möglich gewesen wäre. Zudem ist Kier aber auch ein guter Typ, ein freundlicher Mensch. Zu seinen Ritualen gehört es, sich an jedem Filmset erst einmal mit den Leuten aus den Gewerken bekannt zu machen – auch als Strategie: „Schließlich sind die Leute an den Scheinwerfern verantwortlich, dass ich in einem guten Licht erscheine“, scherzt er. 

„Natürlich stehe ich gerne im Licht, im Schatten sieht mich doch keiner“, sagt Kier im Arte-Porträt „Der wunderbare Udo Kier“ des Dokumentationsfilmers Jobst Knigge. 

Arte Doku

Udo Kier kann alles, er kann auch Trash. Viele Male spielte er Adolf Hitler, dem er nicht im Ansatz ähnlich sieht. Ein Höhepunkt seines Schauspiels erlebt man in David Schalkos TV-Serie „Altes Geld“, und ganz besonders in einem Film, der ihm recht sicher persönlich am Herzen lag. In „Swan Song“ von 2021, in dem er einen früheren Starfrisör spielt, der noch einmal sein Altersheim-Dasein verlässt und in einem Schwulenclub aufblüht.

Er ist sich selbst ein großes Kunstwerk

Alles, was Udo Kier umgibt, hat Anspruch, hat Stil. In seinen Häusern in Hollywood oder in Palm Springs, wo er eine frühere Bücherei ausgebaut hat, sind Werke bedeutender Künstler, darunter Wegbegleiterinnen wie Rosemarie Trockel oder Sigmar Polke. Er sammelte bereits Mid Century-Möbel, als das noch nicht angesagt war. Kiers Aura fordert aber auch die Menschen um sich heraus. Als er einmal in München für den Polizeiruf drehte, ließ er sich von der englischen Automobilfirma Bentley mit einer drastischen Limousine ausstatten, mit der er zu den Drehs kutschiert wurde. Zum Schluss lud er Schauspielkollegen wie Edgar Selge, Sunnyi Melles oder Michaela May in seine mehrstöckige Präsidentensuite im Palace Hotel und begrüßte sie mit zwei nackten Boys in der Sauna sitzend. Natürlich war auch diese Inszenierung am Ende ein Foto-Shooting und Kunstprojekt.

Wo Udo ist, da herrscht Auftrieb, da ist auch Show. Als er einmal in Hamburg ausgehen wollte, bestand er darauf, dass seine Gesellschaft an fünf Herren, mit denen er durch die Nacht zog, in Fracks antanzen, er selbst hatte sich einen besonders spektakulären vom Modemacher Bent Angelo Jensen anpassen lassen. Unweigerlich wird man zu seinem Nebendarsteller, aber auch zu einer Art „Partner in Crime“. Dieses Kunst-Konzept, das sein Leben ist, hat er auch zu Ende gedacht. Schon Anfang 50 mietete er sich für 3000 Dollar im Monat eine Grabstelle neben Regielegende Cecil B. DeMille. Möge sie noch lange leer bleiben.