Alle diesjährigen Preisträger für wissenschaftliche Nobelpreise stehen fest, alle sieben sind Männer. Nicht nur der Preis für Physik, auch der für Chemie hat mit Künstlicher Intelligenz zu tun.

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr zu einer Hälfte an David Baker (USA), zum anderen Teil an Demis Hassabis und John Jumper, die beide in Großbritannien arbeiten. Baker erhält den Preis für rechnergestütztes Proteindesign, Hassabis und Jumper für die Vorhersage der komplexen Strukturen von Proteinen durch Künstliche Intelligenz (KI). Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit.

Laut Akademie gelang Baker (62) das „fast Unmögliche“: die Entwicklung einer völlig neuen Art von Proteinen. „Ich fühle mich zutiefst geehrt“, sagte Baker, als er telefonisch zu der Preisbekanntgabe in Stockholm zugeschaltet wurde.

Hassabis (48) und Jumper hätten ein KI-Modell entwickelt, um ein jahrzehntealtes Problem zu lösen: die Vorhersage der Strukturen von Proteinen, hieß es weiter. Jumper zählt zu den wenigen Chemie-Nobelpreisträgern, die bereits vor ihrem 40. Lebensjahr mit der Auszeichnung geehrt werden. Der bislang jüngste Preisträger war im Jahr 1935 der damals 35-jährige Frédéric Joliot. 

Pioniere der KI-Welt

Hassabis ist der Chef der auf KI spezialisierten Google-Tochterfirma DeepMind. Jumper ist dort Seniorwissenschaftler. Er wurde kürzlich vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen in der KI-Welt gezählt. Hassabis hatte erst am Vortag seinem „guten Freund“ Geoffrey Hinton via X zu dessen Physik-Nobelpreis gratuliert: „Unglaublich verdient.“ Hintons Arbeit habe die Grundlagen für die moderne KI geleistet.

Hassabis und Jumper wurden konkret für die Entwicklung von „AlphaFold2“ geehrt: Das KI-Programm von DeepMind nutzt neuronale Netzwerke, um die dreidimensionale Struktur von Proteinen anhand ihrer Aminosäurenabfolge genau vorherzusagen. „AlphaFold2“ schneidet dabei fast genauso gut ab wie die Röntgenkristallographie, die fünf Jahrzehnte lang das gängige, aber aufwändige Werkzeug für die Erstellung von Bildern verschiedener Proteine war. 

Auch die Schaffung neuer Proteine – etwa mit besonderen Funktionen – blieb lange Zeit nur ein Wunschziel chemischer Forschung. Genau solche Proteine können mit der unter David Bakers Leitung entwickelten Software „Rosetta“ konstruiert werden – laut Nobelpreis-Komitee „ein Paukenschlag für die Forscher, die sich mit Proteindesign befassten“. Proteine mit neuen Funktionen zu erzeugen, könne zu „neuen Nanomaterialien, zielgerichteten Pharmazeutika, einer schnelleren Entwicklung von Impfstoffen, kleinsten Sensoren und einer umweltfreundlicheren chemischen Industrie führen – um nur einige Anwendungen zu nennen, die zum größten Nutzen der Menschheit sind“. 

Proteine aus dem Baukasten und KI-Modelle für Brettspiele 

Proteine sind die Bausteine des Lebens und gewöhnlich zusammengesetzt aus 20 verschiedenen Aminosäuren. Diese sind in unterschiedlicher Zusammensetzung zu langen Ketten aneinandergereiht, die die dreidimensionale Struktur bestimmen. Und diese beeinflusst wiederum die Funktion. 

Baker hatte „Rosetta“ Ende der 1990er Jahre entwickelt. Die Software konnte eine Proteinstruktur anhand ihrer Zusammensetzung vorhersagen – und umgekehrt anhand einer gewünschten Proteinstruktur die dafür notwendige Zusammensetzung ermitteln. Bakers Team entwarf zum Beispiel ein Gen für eine Abfolge von 93 Aminosäuren und schleuste es in Bakterien ein, die daraufhin tatsächlich dieses Protein produzierten. 

Hassabis begann schon als Jugendlicher mit dem Programmieren von Computerspielen und wandte sich dann der Künstlichen Intelligenz zu. 2010 gründete er das Unternehmen DeepMind mit, das KI-Modelle für Brettspiele wie Go entwickelte und 2014 an Google verkauft wurde. DeepMind erregte Aufsehen unter anderem, als die KI Go-Champions besiegte.

Freudengebrüll beim Anruf aus Stockholm

Baker wurde in den USA von dem berühmten Anruf aus Stockholm aus nächtlichem Schlummer gerissen. Nachdem er rangegangen und die Nachricht von seiner Auszeichnung gehört habe, habe seine Frau angefangen, vor Freude so laut zu schreien, dass er den Anrufer nicht sehr gut habe verstehen können, sagte Baker, als er bei der Preisbekanntgabe telefonisch zugeschaltet war. „Es war sehr, sehr aufregend. Es erweist sich, ein ziemlich einzigartiger, besonderer Tag zu werden.“

Die renommierteste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit insgesamt elf Millionen Kronen (rund 970 000 Euro) dotiert. 

Diesmal nur Männer

Alle sieben Preisträger der diesjährigen wissenschaftlichen Nobelpreise sind Männer. Die meisten forschten in den USA. Am Montag waren die Nobelpreisträger für Medizin verkündet worden: Die US-Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun werden für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der Genregulierung geehrt. Den Physik-Nobelpreis hatten am Dienstag zwei Wegbereiter Künstlicher Intelligenz zugesprochen bekommen: John Hopfield (USA) und Geoffrey Hinton (Kanada). 

Am Donnerstag und Freitag folgen die Bekanntgaben der diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur und für Frieden. Die Reihe endet am kommenden Montag mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschafts-Nobelpreis. Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.