Nach dem verheerenden Dauerregen stehen Tausende Menschen von Polen über Tschechien, Rumänien bis nach Österreich vor den Trümmern ihrer Existenz. Eine Wasserwalze kommt auch nach Deutschland.
Die Hochwasserlage in gleich mehreren Ländern bleibt kritisch – und die Opferzahlen steigen: Bei den verheerenden Regenfällen von Polen bis Österreich sind mindestens elf Menschen ums Leben gekommen. In weiten Teilen des riesigen Katastrophengebietes ist auch zu Wochenbeginn noch kilometerweit Land unter. Straßen und Felder sind überschwemmt, Keller und Häuser vollgelaufen, Dämme und Deiche teils zerstört.
Entspannung gab es nur vorübergehend, als der Regen mancherorts für einige Stunden nachließ: Die Meteorologen sagten weitere Niederschläge voraus, und auch in Deutschland müssen sich die Menschen an Oder und Elbe auf die Wasserwalze aus Zuflüssen in angrenzenden Ländern einstellen.
Stundenlang um Hilfe geschrien
Dramatische Szenen spielten sich in Untergrafendorf in Niederösterreich an einem Bach ab, der zu einem reißenden Fluss geworden war. Eine Frau rettete sich vor den plötzlich steigenden Wassermassen in den ersten Stock ihres Hauses, aber ihr Mann schaffte es nicht. Sie habe stundenlang um Hilfe geschrien, sei aber nicht gehört worden, schilderte ein Polizeisprecher. Die Leiche ihres Mannes (70) wurde später gefunden, es war das dritte Todesopfer in Österreich. Insgesamt gab es in Rumänien, Polen, Tschechien und Österreich in den vergangenen Tagen mindestens elf Tote zu beklagen.
Innenstadt sieht aus wie nach Bombenexplosion
In Polen sieht ein Teil der Fußgängerzone der Kleinstadt Klodzko rund 100 Kilometer südlich von Breslau (Wroclaw) aus wie nach einer Bombenexplosion. In den Läden im Erdgeschoss sind Schaufenster und Türen herausgerissen. Drinnen sind Regale umgestürzt, lose Kabel hängen herum. Zertrümmerte Rohre liegen in einer Pfütze aus trübem Wasser. Dort war die Glatzer Neiße, ein Nebenfluss der Oder, über die Ufer getreten.
Am selben Fluss liegt die Kleinstadt Nysa, wo das Wasser in die Notaufnahmestation des örtlichen Kreiskrankenhauses eindrang, wie die Nachrichtenagentur PAP berichtete. Insgesamt 33 Patienten wurden mit Schlauchbooten in Sicherheit gebracht, darunter Kinder und Schwangere.
Angesichts der schweren Verwüstungen im Südwesten Polens hat die Regierung für die Hochwassergebiete in Niederschlesien, Schlesien und Oppeln den Katastrophenzustand ausgerufen. Er gibt den Behörden mehr Befugnisse, Anordnungen zu erlassen, da die bürgerlichen Freiheiten und Rechte vorübergehend eingeschränkt werden.
Breslau denkt an Oder-Hochwasser 1997
In Breslau, rund 170 Kilometer östlich der Grenze zu Deutschland, scheint am Montag die Sonne. „Die Oder hat nur ein bisschen mehr Wasser als sonst“, sagt der Reporter vom polnischen Fernsehen TVP. Doch die Stadt wappnet sich: Eine Flutwelle strömt bereits aus den kleineren Nebenflüssen in die Oder und wird Breslau voraussichtlich am Mittwoch erreichen. So schlimm wie beim Oder-Hochwasser 1997 soll es aber nicht werden. Damals war ein Drittel der Stadt überflutet.
In Sachsen richtet sich der bange Blick auf Tschechien und die Elbe. Wassermassen aus dem Nachbarland erreichen mit Zeitverzögerung Deutschland. In Dresden ist der Wasserspiegel der Elbe schon mehr als viermal so hoch wie der dortige Normalstand von 1,42 Metern, im Tagesverlauf wird mit einem Überschreiten der Sechs-Meter-Marke gerechnet. Bei der Jahrhundertflut 2002 waren es 9,40 Meter.
Jahrhunderthochwasser in Tschechien
Der tschechische Regierungschef Petr Fiala sprach schon von einem Jahrhunderthochwasser an vielen Flüssen im Osten des Landes. Das ist ein Hochwasser, wie es statistisch gesehen nur einmal in 100 Jahren vorkommt.
In der drittgrößten Stadt Ostrava, wo Oder und andere Flüsse zusammenfließen, ist die Lage kritisch: „In mehreren Stadtteilen ist es offensichtlich zu Deichbrüchen gekommen“, sagte Umweltminister Petr Hladik nach einer Krisensitzung. Die Bewohner wurden teilweise mit Schlauchbooten und Hubschraubern in Sicherheit gebracht. Katastrophenhelfer versuchten, die Bruchstellen in den Deichen mit Steinen auffüllen. Die Bergbau- und Industriestadt knapp 280 Kilometer östlich von Prag hat rund 285.000 Einwohner. Ein Kraftwerk musste abgeschaltet werden. Strom- und Mobilfunknetze und die Trinkwasserversorgung fielen vielerorts aus.
In Litovel an der March (Morava) waren nach Einschätzung der Behörden rund 80 Prozent des Stadtgebiets überflutet. Die Bürgermeisterin der ebenfalls stark betroffenen Stadt Jesenik, Zdenka Blistanova, sagte im Fernsehen: „Es war eine Apokalypse, überall ist Schlamm, alles ist zerstört.“ Seit Ende vergangener Woche sind in den östlichen Sudeten bis zu 500 Liter pro Quadratmeter Regen gefallen. In Bergen im Norden des Landes sind es 300 bis 400 Liter, in anderen Gebieten Tschechiens bis zu 200 Liter pro Quadratmeter gewesen. Das ist nach Behördenangaben mehr als sonst in mehreren Monaten fällt.
Sechs Tote in Rumänien
In Rumänien war vor allem der Osten des Landes betroffen. Im Karatenland waren über das Wochenende sechs Menschen ums Leben gekommen. Rund 6.000 Bauernhäuser wurden vom Hochwasser erfasst, viele liegen in abgelegenen Dörfern. Menschen kletterten auf Hausdächer, um nicht von den Fluten mitgerissen zu werden. Hunderte Feuerwehrleute waren im Einsatz.
In Österreich bleibt es dramatisch
Im österreichischen Katastrophengebiet Niederösterreich regnet es nach einer nächtlichen Pause wieder heftig. „Es ist nicht vorbei, es bleibt kritisch, es bleibt dramatisch“, sagte die Ministerpräsidentin Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner.
„Es besteht höchste Dammbruchgefahr“, hieß es von den Behörden. Mehr als 200 Straßen in Niederösterreich waren gesperrt, 1.800 Gebäude geräumt worden. Es gab auch Stromausfälle. In Niederösterreich waren in den vergangenen Tagen regional bis zu 370 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen – ein Mehrfaches der üblichen Monatsmenge.
In Wien gibt es noch große Probleme im öffentlichen Verkehr. Am Wienfluss, der sonst als Rinnsal, seit Sonntag aber als reißender Fluss mitten durch die Stadt geht, gab es leichte Entspannung.
Bayern vorsichtig optimistisch
In Bayern gab es keine Entwarnung, aber vorsichtigen Optimismus. Der Hochwassernachrichtendienst (HND) erwartet mit dem regnerischen Start in die Woche erneute Anstiege der Wasserstände, etwa an der Donau bei Passau oder der Isar bei München. Ein Hochwasser wie im Juni in Bayern sei aber nicht zu befürchten, hieß es.