Justin Timberlake muss sich wegen seiner Promillefahrt vor Gericht verantworten. Es heißt, er habe einen Vergleich abgeschlossen. Warum es für ihn nicht mehr rund läuft.
Er war vermutlich nicht der Einzige, der an jenem Abend in Juni angetrunken durch die Hamptons gefahren ist. Die Häuser dort sind weitversprengt und fast jeder hat ein Auto, in das er auch nach drei, vier Drinks noch steigt, um schnell heimzukommen; merkt ja keiner, man darf sich nur nichts zuschulden kommen lassen. Justin Timberlake aber übersah nach einem Abendessen in Sag Harbor ein Stoppschild, dummerweise vor den Augen der Polizei, die ihn sogleich aus dem Verkehr zog.
Plötzlich gab es Bilder von ihm in Handschellen und ein Polizeifoto, auf dem seine Augen glasig waren. Von ein paar Martinis. Timberlake sehe aus, als würde er gleich einen Fluss weinen, „Cry Me A River“, ging es durchs Netz. So viel Aufmerksamkeit hatte der Sänger lange nicht mehr bekommen. Nicht für sein neues Album und nicht für seine Welttournee, die ihn in diesem Sommer auch durch Europa führte. Vor zehn Jahren war das noch ein bisschen anders – da war es ein Ereignis, ihn auf der Bühne zu erleben: In den USA galt Timberlake als der Größte, der perfekte Entertainer. Diesen Freitag aber muss er sich wegen seiner Promillefahrt in Sag Harbour vor Gericht verantworten. Dabei schien er doch immer alles richtig zu machen.Willkommen auf der Wache: Das Polizeifoto von Justin Timberlake, entstanden in Sag Harbor
© Sag Harbor Police Department / ZUMA Press Wire
Justin Timberlake hat einen Lebenslauf, der sich liest, als sei er im Windkanal der Unterhaltungsindustrie entstanden. Er war der Multifunktionsdarsteller, der nicht nur singen, sondern auch tanzen, moderieren und schauspielern konnte. Schon als Kind fuhr seine Mutter ihn zu jedem Vorsprechen, auch zu jenem für den „Mickey Mouse Club“, einer TV-Show für Kinder, in der er mit anderen Jungstars auftrat – wie Britney Spears und Christina Aguilera.
Auf Justin Timberlake konnten sich alle einigen
Dann, mit 14, wurde er für ‚N Sync entdeckt. Die Boygroup verkaufte allein in den USA mehr als elf Millionen Alben. Danach wollte er nicht, „dass mein Leben durch die Band definiert wird“, sagte er. Timberlake tat sich mit Timbaland zusammen, dem Hip-Hop-Produzenten, entwickelte seinen eigenen Stil, R&B gefärbten Pop, klang plötzlich sehr erwachsen und sexy – wie bei „SexyBack“. Gut, ihm fehlte die Tragik eines Michael Jackson oder die Exzentrik eines Robbie Williams. Aber er hatte den Charme eines jungen Mannes, den jeder mag: Ob Mutter oder Tochter, Vater oder Sohn – auf Justin Timberlake konnten sich alle einigen.
Und bald drehte er auch noch erfolgreich Filme, „The Social Network“ etwa, in dem er 2010 den Napster-Gründer und Facebook-Investor Sean Parker spielte, sehr lässig. „Man schaut ihm einfach gern zu und fragt sich, was Justin wohl als nächstes macht“, sagte der Regisseur David Fincher damals.
Der Mickey Mouse Club: Von 1989 bis 1994 treten Justin Timberlake (hinten rechts neben Ryan Gosling) und Britney Spears (vorn links) zusammen im US-Fernsehen auf
© Walt Disney Co./ Courtesy Everett Collection
Timberlake war mit 30 schon so lange im Geschäft, dass sie ihn in den USA einen „veteran“ nannten, einen alten Hasen – und so klang er manchmal auch. „Ich arbeite seit zwei Jahrzehnten“, sagte er vor 13 Jahren bei einem Interview mit dem stern, „also fast mein ganzes Leben. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen.“
Vielleicht ist das inzwischen das Problem: Er hat sich eingerichtet in seinem Entertainer-Dasein und das eigene Profil entschärft. Der macht alles – und nichts. Sollte man als nächstes eine Platte von ihm kaufen? Oder einen Film mit ihm gucken? Da kam er mit Filmmusik: Sein letzter großer Hit war „Can’t Stop the Feeling!“ aus „Trolls“ (2016). Dann holte ihn eine alte Geschichte ein.
Welch hübsche Geschichte, die beiden Jungstars!
Denn plötzlich gab es die „Free Britney“-Kampagne für Britney Spears. Timberlake, der seit 2012 mit der Schauspielerin Jessica Biel verheiratet ist, war einst mit ihr zusammen. Während er mit ‚N Sync unterwegs war, wurde Spears als Solokünstlerin berühmt. Ihr Image damals: lieb, gläubig, das jungfräuliche Mädchen von nebenan. Mit kurzen Röcken und sexuell angehauchten Songzeilen. Dann wurden Spears und Timberlake ein Paar – welch hübsche Geschichte, die beiden Jungstars!STERN PAID Britney Biografie
Doch die Beziehung scheiterte und die Boulevardpresse machte Spears dafür verantwortlich: Überall hieß es, sie habe Timberlake betrogen. Der machte sich öffentlich über sie lustig, in Interviews, in Songs. In „Cry Me A River“ verarbeitete er seine Trennung von Spears. Es wurde die Hymne des vermeintlich armen Ex-Freunds. Sie habe seine Liebe nicht verdient, sie habe gelogen und ihn betrogen. Er das Opfer, sie die Täterin. Das war plötzlich die öffentliche Meinung über sie.
In den vergangenen Jahren aber hat sich diese Meinung geändert: Die Öffentlichkeit blickte gnädiger auf Britney Spears. Man könnte auch sagen: Die Deutungshoheit über die öffentliche Erzählung wurde immer weiblicher. Die MeToo-Debatte und Spears‘ Memoiren haben dazu beigetragen. Dort schrieb sie etwa: „In den Medien wurde ich als Schlampe beschrieben, die Amerikas Goldjungen das Herz gebrochen hatte. Die Wahrheit: Ich hing wie betäubt in Louisiana fest, während er glücklich durch Hollywood tingelte.“
Großer Jeans-Auftritt: Britney Spears und Justin Timberlake als Pärchen 2001 bei den „American Music Awards“
© LUCY NICHOLSON / AFP
Angeblich soll Timberlake Spears dazu gedrängt haben abzutreiben, nachdem sie schwanger geworden war. Galt sie 2007 noch als die Verrückte, als sie sich vor den Augen aller Welt die Haare abrasierte, nahm man sie jetzt ernst. Hörte ihr zu. Und fing an, Timberlake zu hinterfragen. Warum hatte er sich damals als Opfer inszeniert, obwohl er keines war? Warum hatte er Spears immer wieder in den Dreck zu ziehen? War nicht sie das eigentliche Opfer?
Timberlake und Spears sind ein Paradebeispiel dafür, wie sich die Werte einer Gesellschaft wandeln – und mit ihnen das Image von Promis. Als nun im Juni Timberlakes „Mugshot“ kam, sein Polizeifoto, schrieben Spears-Fans in den Sozialen Medien Dinge wie: „Twitter trainiert seit fast 20 Jahren für die Verhaftung von Justin Timberlake.“ Ganz so weit wird es nicht kommen. Es heißt, Timberlake habe einen Vergleich abgeschlossen. Er muss nicht mit einer Anklage wegen Trunkenheit am Steuer rechnen, dafür wird er sich wegen eines Verkehrsverstoßes schuldig bekennen und eine Geldbuße zahlen. Die genaue Höhe wird der Richter während der Anhörung am Freitag festlegen.