Was eine Krebsdiagnose für eine Familie bedeutet, weiß der Psychoonkologe Till Johannes Bugaj. Er hat Tipps für Eltern und erklärt, warum er Begriffe wie „kämpfen“ kritisch sieht.

Dr. Bugaj, als Psychoonkologe stehen Sie oft Menschen zur Seite, die gerade erfahren haben, dass sie Krebs haben. Wie reagieren die meisten auf so eine Nachricht?
In der Psychoonkologie gibt es diesen berühmten Satz des Soziologen Nikolaus Gerdes: „Eine Krebsdiagnose bedeutet einen unfreiwilligen Sturz aus der normalen Wirklichkeit.“ Viele Betroffene fühlen sich, als werde ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen. Ein Fall ins Leere, ein Gefühl von Lebensgefahr. Trotzdem muss ich sagen: Jeder „fällt“ auf seine Weise, jeder Mensch ist anders. Die meisten sind geschockt, andere reagieren wütend, gereizt, ängstlich oder depressiv.

Was bestimmt, ob jemand eher resigniert oder zum Kämpfer wird?
Wer schon vor der Diagnose sozial isoliert war, gerät möglicherweise stärker unter Stress. Denn stabile, wertschätzende Beziehungen zu anderen Menschen sind ein wichtiger Resilienzfaktor. Stark belastet sind auch Erkrankte, die sich um Kinder und gleichzeitig um ihre alternden Eltern kümmern. Dass sie „kämpfen“ müssten, können viele Krebspatienten übrigens nicht mehr hören. Es setzt sie unter Druck, wenn das ganze Umfeld erwartet, dass sie stark sind. In der Onkologie gibt es leider wahnsinnig viele Kriegsmetaphern.

Sie meinen Überschriften wie „Prinzessin Kate hat den Krebs besiegt“?
Genau, und der Krebs ist der Feind im eigenen Körper, den es zu bekämpfen gilt. Doch manche Erkrankte sind des Kämpfens müde oder trauen sich das nicht zu. Sie müssen nicht kämpfen und dürfen auch Schwäche zeigen.

Infokasten Experte Till Johannes Bugaj

Die Kinder von Prinzessin Kate, die ihre Chemotherapie gerade überstanden hat, sind sechs, neun und elf Jahre alt. Welche zusätzlichen Sorgen haben Eltern, die an Krebs erkranken?
Eltern wollen ihre Kinder so gut es geht vor dem Unheil dieser Welt beschützen und ihnen eine behütete Kindheit ermöglichen. Bekommen sie Krebs, drehen sich ihre Sorgen deshalb schnell um die Kinder. Vor allem der Gedanke, diese vielleicht nicht mehr aufwachsen zu sehen, ist etwas sehr Schmerzhaftes.

Was bedeutet eine Krebsdiagnose für den Partner oder die Partnerin?
Wir machen in der Psychoonkologie viel Angehörigenarbeit und führen häufig Paargespräche. Manchmal ist die Angst, dass der Tumor weiter wachsen wird, und das Ganze kein gutes Ende nimmt, bei Angehörigen größer als bei Erkrankten. Krebs erschüttert das ganze Umfeld und ist eine Familienangelegenheit.

Woran liegt das? Eine Herzerkrankung kann auch dramatisch enden …
Das stimmt, doch Krebs greift besonders stark in den Familienalltag ein. Auf die erkrankte Person kommen von jetzt auf gleich sehr viele Krankenhausaufenthalte zu, eine Chemotherapie oder eine Operation, dazu körperliche Veränderungen wie Haarausfall. Das macht etwas mit der Familie. Sie muss Abläufe neu organisieren, Aufgaben anders verteilen.

Wie erklärt man Kindern, dass die Mutter oder der Vater an Krebs erkrankt ist?
Kinder haben feine Antennen und merken, wenn die Eltern ängstlich oder verzweifelt sind. Spricht niemand mit ihnen, finden sie ihre eigenen, oft unguten Wege, mit der Situation zurechtzukommen. Manche entwickeln die Fantasie, sie seien schuld daran, dass Papa traurig ist. Jüngere Kinder entwickeln vielleicht Schlafprobleme, nässen plötzlich wieder ein oder essen nicht mehr richtig. Ältere entwickeln Schulschwierigkeiten, werden aggressiv oder ziehen sich zurück.Kate feiert Therapie-Ende 19.57

Man sollte ihnen also die Wahrheit sagen?
Unbedingt, sonst können massive Belastungen entstehen. Stellen Sie sich vor, das Kind erfährt von anderen, dass seine Mutter Krebs hat, etwa im Kindergarten. Das wäre sehr schlimm, weil es das Vertrauen in die Eltern beschädigt. Es ist verständlich, dass man Kinder schützen will, doch wir empfehlen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wer damit überfordert ist, kann Beratungsangebote nutzen, etwa in der Psychoonkologie von Kliniken oder Krebsberatungsstellen. Wir haben in Heidelberg das Projekt Ankker speziell für Kinder krebskranker Eltern.

Mutet man den Kleinen mit der Wahrheit nicht zu viel zu?
Die Sorge haben viele, und es ist in der Tat schmerzlich, mit Kindern über so etwas zu sprechen. Doch in solchen Gesprächen steckt immer die Botschaft: „Du bist mir so wichtig, dass ich mit dir darüber reden möchte. Und ich traue dir zu, mit mir darüber zu sprechen.“

Ein Kleinkind kann mit Krebs noch nicht viel anfangen …
Da reicht eine einfachere Erklärung. Zum Beispiel: „Mama ist krank“, „sie hat Aua“ oder „sie muss jetzt ins Krankenhaus“. Etwa ab dem Kindergartenalter raten wir dazu, die Dinge konkreter zu benennen, also zu sagen, dass es Krebs ist. Es gibt dazu wunderbare Bilderbücher. Wichtig ist auch, Kinder darauf hinzuweisen, dass die Krankheit nicht ansteckend ist. Ein Kleinkind denkt sonst, es könne durch den Kontakt zur Mama auch krank werden.

Gibt es noch etwas, das in einem solchen Gespräch wichtig ist?
Es muss nicht alles auf einmal gesagt werden, da sollten sich Eltern nicht zu viel Druck machen. Kinder müssen jedoch wissen, dass die Erkrankung nicht ihre Schuld ist. Manchmal sagen Eltern unbedacht Dinge wie: „Ich werde noch ganz krank, wenn du weiter rumlärmst.“ Kinder merken sich das und interpretieren es im Krankheitsfall möglicherweise rückwirkend – nämlich, dass sie nun die Schuld für die Krebserkrankung haben. Es ist wichtig, sie davon zu entlasten.Gesundheitsvorsorge Männer die Checkliste 07.03

Wann sagt man es ihnen am besten?
Den perfekten Zeitpunkt gibt es nicht. Wichtiger ist, überhaupt den ersten Schritt zu machen und die Fragen des Kindes in Ruhe zu beantworten. Hat man als Elternteil selbst keine Antwort, darf man das offen zugeben. Das ist besser, als etwas zu erfinden.

Wie nimmt man seinen Kindern Ängste, wenn man sich angesichts der Diagnose selbst fürchtet? Wie schafft man es, für die Kinder stark zu bleiben?
Man muss nicht stark bleiben, wenn man seinen Kindern erklärt, dass man Krebs hat. Eltern dürfen Schwäche zeigen und sollten ihre Tränen nicht um jeden Preis zurückhalten. Die Kinder denken sonst, sie müssten auch stark sein und dass Krebs nichts ist, worüber man weinen sollte. Es ist aber nun mal traurig, dass die Mama Krebs hat. Weinen Erwachsene, vermitteln sie den Kindern, dass es okay ist, Gefühle zu zeigen. Die Tränen sind dann wie eine Einladung für die Kinder, die eigenen Emotionen auszudrücken.

Übernehmen Sie als Psychoonkologe die Gespräche mit den Kindern?
Nein, es ist ganz wichtig, dass die Eltern das selbst tun. Denn es zeugt von Vertrauen. Aber selbstverständlich können sich Eltern vorab von Experten beraten lassen. Kolleginnen wie bei Ankker, die sich auf die Arbeit mit Kindern spezialisiert haben, liefern viele gute Impulse. Manchmal kann es etwa hilfreich sein, wenn Kinder das Gefühl bekommen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas für die Eltern tun zu können in dieser schwierigen Zeit. Ein Siebenjähriger etwa könnte an Tagen den Tisch decken, an denen die Mama morgens zur Chemotherapie muss. Handlungsfähig zu sein und etwas beitragen zu können, hilft manchmal gegen die Angst.

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Darf Raum für Freude bleiben?
Unbedingt. Kinder kranker Eltern brauchen gerade in dieser extremen Ausnahmesituation Inseln der Normalität und dürfen weiter spielen. Manche bekommen das Gefühl, sie dürften nicht mehr lachen, weil Papa Krebs hat. Das ist schlimm, denn Freude ist eine Ressource gegen Angst. Wir empfehlen auch dringend, den Kindern zu erlauben, mit anderen über die Erkrankung zu sprechen. Es ist für ein Kind sehr belastend, Geheimnisträger sein zu müssen. Deshalb sollte es mit der Oma oder dem besten Freund darüber reden dürfen.

Kann man Kinder darauf vorbereiten, wenn es keine Heilung gibt und Mama am Krebs sterben wird?
Das ist natürlich noch schwieriger. Aber wie gesagt: Kinder haben feine Antennen. Erfahren sie die Wahrheit nicht, wird sie sie dennoch belasten. Auch hier ist wichtig, die Botschaft altersgerecht zu verpacken und sie trotz aller Hemmungen auszusprechen: Die kranke Mama wird sterben. Das Kind hat ein Recht darauf, das zu erfahren.

Kann der Zusammenhalt in einer Familie durch eine Krebserkrankung wachsen?
Die Idee, Krebs vor allem als Chance oder wichtige Erfahrung zu betrachten, finde ich eher schwierig, denn jeder Patient würde gern auf diese Krankheit verzichten. Aber an einer Krebsdiagnose muss eine Familie keinesfalls zerbrechen.