Nordrhein-Westfalens Krankenhäuser spüren den Reform-Druck. Ein neues Online-Tool zeigt, wo bestimmte Eingriffe künftig nicht mehr angeboten werden und welche Kliniken sie stattdessen vornehmen.

Ein roter Punkt auf der Landkarte – Symbol einer Niederlage: 600 Geburten pro Jahr hatte das Marienhospital in Oelde (Münsterland) beim Land Nordrhein-Westfalen beantragt – genehmigt wurden null. Das Klinikum Rheine an der Grenze zu Niedersachen dagegen wollte 2400 Entbindungen – und bekam 2551 zugewiesen. Sein Punkt ist deshalb blau. Grün steht für Krankenhäuser, die exakt das zugeteilt bekamen, was sie sich wünschten. Die häufigste Farbe auf dem „Interaktiven Dashboard“ der nordrhein-westfälischen Kliniklandschaft, das das Science Media Center in Köln heute für jedermann freigeschaltet hat, aber ist Gelb. 

Und das bedeutet: „teilweise genehmigt“. Die entsprechenden Krankenhäuser sollen also die jeweiligen medizinischen Maßnahmen und Eingriffe weiterhin vornehmen, doch in enger begrenzter Anzahl. Von der Allgemeinen Chirurgie bis hin zu den Wirbelsäuleneingriffen kann sich jetzt jeder Interessierte über die Zukunft der medizinischen Felder in den Kliniken seiner Region in bisher unerreichter Anschaulichkeit unterrichten.

Diese Steuerung der Angebote der jeweiligen Kliniken ist eine wesentliche Säule der Krankenhausreform des größten Bundeslandes, welches auch mit Abstand die meisten Krankenhausbetten unterhält. Ihr Architekt, Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und sein Expertenstab, haben das medizinische Angebot in so genannte Leistungsgruppen gegliedert. Deren Kapazitäten wollen sie gezielter lenken, mehr Effizienz und Qualität bei den Ergebnissen erreichen. Das Jahrhundertprojekt ist eine Pioniertat, der bundesweite Umbau der Kliniklandschaft wird sich an ihr orientieren – und auch messen lassen müssen.

Krankenhäuser: Das Ende des Gemischtwarenladens?

Seit Jahren schon hat sich gezeigt: Nicht jeder kann, nicht jeder sollte alles machen. Lange sind die Fehlanreize bekannt, die die Politik über die so genannten Fallpauschalen selbst geschaffen hat – und die es zum Beipiel attraktiv machen, Hüften einzusetzen, aber eher abschreckend, eine umfassende medizinische Versorgung für Kinder vorzuhalten. Die Leistungsgruppen und ihre Zuweisung durch das Land regeln daher, welche Behandlungen vor Ort in welcher Menge angeboten werden. Die Spezialisierung soll dadurch gefördert werden: Kliniken müssen eine Reihen von Mindestkriterien einhalten, um im Wettbewerb gegen womöglich überlegene Häuser mithalten zu können.

Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ist der Architekt der Krankenhausreformen seines Bundeslandes. Der als leutselig und bodenständig bekannte Sozialpolitiker hat viele überzeugen können

In Metropolregionen wie der an guten Kliniken reichen Stadt Essen hat sich das Prinzip bereits bewährt: Die Geburtshilfe wurde dort erfolgreich konzentriert, was sie stärkte, ausreichend Kapazität für die Ausbildung gewährleistet und mittlerweile auch weithin akzeptiert ist. In wichtigen Teilgebieten, wie der Schlaganfallversorgung oder der Allgemeinen Inneren Medizin, zeichnet sich ab, dass die Planung des Landes bemüht ist, eine flächendeckende Versorgung ausgewogen sicherzustellen. Denn während sich teilweise rote Punkte ballen, wo es ein Überangebot konkurrierender Kliniken gibt, steuern die Entscheider andernorts dagegen, wie das Science Media Center aus ersten Beispielauswertungen mit seinem neuen Tool folgert – wo Mangel herrscht, „müssen die Fallzahlen zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung erhöht werden, zum Beispiel an den Klinikstandorten ‚Evangelisches Krankenhaus Mettmann‘ und ‚Fachklinik 360°‘ (Ratingen). Hintergrund ist in diesem Fall die Schließung des St.-Marien-Krankenhauses Ratingen, wodurch umliegende Kliniken mehr Fälle übernehmen müssen“.

Krankenhausplanung ist Ländersache

Dass Nordrhein-Westfalen zum Vorreiter des Umsteuerns bei den Klinik-Zuschnitten werde würde, zeichnete sich seit Jahren ab. Minister Laumann hat das Reform-Projekt offensiv zu seiner Sache gemacht. Dabei tritt das Urgestein christdemokratischer Sozialpolitik mit robustem Selbstvertrauen auf. Laumann sagte kürzlich, seine Neuordnung könne „als Blaupause für die Krankenhausreform auf Bundesebene und die Planungen der anderen Bundesländer dienen“.

Einem verbreiteten Missverständnis zufolge lenkt „der Gesundheitsminister“, gemeinhin als „Karl Lauterbach“ verstanden, „das Gesundheitswesen“. Tatsächlich aber läuft es anders. Die Planung der Krankenhauslandschaft ist Ländersache, ebenso der Unterhalt der Häuser etwa in baulicher Hinsicht – eine Pflicht, der sie teilweise eher liederlich Genüge tragen.

Der Bund hingegen übt den größten Einfluss im Krankenhaus durch seine Hoheit über die Gesetzliche Krankenversicherung aus – er hat die Hand am Geldhahn der konkreten Behandlungsfälle, und er war es letztlich, der Hüften und Herzkatheter so übermäßig wertvoll gemacht hat, dass deutsche Patienten damit wesentlich stärker versorgt sind, als es gesund für sie wäre. Geschickt hat Laumann, der sich durch ein auch von seinen Kritikern respektvoll betrachtetes Talent auszeichnet, es vermocht, jedem der ungeheuer vielen Verbände, Dachverbände, Fachgesellschaften, Kammern, Gewerkschaften und Trägern, ob kirchlich, gemeinnützig oder kommunal, Gehör zu schenken und sie einzubinden. Der weniger volksverwurzelte Lauterbach hingegen hat sein Ohr bevorzugt an der Wissenschaft, einem Feld also, auf dem er äußerst sattelfest ist. Was folgt nun aus dem Gemenge für die Patienten in Nordrhein-Westfalen?

Klinik-Leistungen regional beschränkt

Im konkreten Beispiel, der Geburtshilfe in Oelde, heißt es, dass es einen Gewinner in der Nähe geben müsste – und so ist es auch. Das St. Franziskus-Hospital im nicht einmal 25 Kilometer entfernten Ahlen soll mehr Geburten betreuen als beantragt. Doch gibt es im Umkreis auch mehrere gelbe Punkte, was insgesamt einen Rückgang des Angebotes bedeutet. Allgemein bedeutet das nicht, dass Mangelversorgung droht – Nordrhein-Westfalen hatte über lange Zeit rund viermal so viele Krankenhäuser wie die benachbarten Niederlande mit ihrer ähnlich großen Bevölkerung.

Artikel regionale Kliniken 24 16.32

Sicher ist: Auf lange Sicht werden für viele Menschen längere Wege für planbare Eingriffe zur Norm werden – das Kleinstadt-Krankenhaus, das eine überschaubare Anzahl an Hüften implantiert, ist ja gerade nicht, was die Gesundheitspolitik für die Zukunft anstrebt. Der mündige Patient, so sieht man das mit einigem Recht, solle besser zum Qualitätsführer der Region reisen. So will Laumann auch ausdrücklich den „ruinösen Wettbewerb um Personal und Ressourcen“ zwischen Kliniken bekämpfen.

Indes zeichnet sich bereits ab, dass die nächste Zeit Stoff für ernste Kontroversen bietet, wie das Science Media Center am Beispiel der Schlaganfallversorgung aufzeigt: „Im Hochsauerlandkreis zum Beispiel haben zwei beantragende Kliniken durch die Bezirksregierung keine Genehmigung für die LG ‚Stroke Unit‘ erhalten: das St.-Vinzenz-Krankenhaus und die DGD Stadtklinik Hemer. Der Bezirksregierung zufolge erfüllten die beiden Kliniken entweder die Mindestkriterien nicht oder hatten keine Erfahrung in der speziellen Versorgung von Schlaganfallpatienten. Der bisherige Anbieter, das Karolinen-Hospital Hüsten (844 Fälle), wird für die Versorgung als ausreichend erachtet.“

Ob die Regierung damit richtig liegt, kann nur die Praxis zeigen.