Den ersten sprichwörtlichen Höhepunkt hat „Polaris Dawn“ bereits erreicht, nun steht ein besonders heikler Teil der privaten Weltraummission bevor.

Der höchste Punkt der Mission ist erreicht, nun stehen bei den vier Privat-Astronauten der Mission „Polaris Dawn“ die Außeneinsätze in dafür erstmals genutzten Raumanzügen an. Die Besatzung werde am Donnerstag um 8.23 Uhr MESZ den Ausstieg aus dem Crew Dragon versuchen, teilt das Raumfahrtunternehmen SpaceX mit. Falls erforderlich, gebe es tags darauf, am Freitag, den 13., zur gleichen Zeit eine Ersatzmöglichkeit.

Riskant früh?

Astronauten auf der Raumstation ISS bekommen üblicherweise mehrere Wochen Zeit bis zu einem Außeneinsatz, damit sich der Körper an die Bedingungen gewöhnen kann und das Risiko für Fehler sinkt. Zum „Polaris Dawn“-Ausstieg am dritten Flugtag sagt der deutsche Raumfahrer Reinhold Ewald, ein so früher Außeneinsatz sei eigentlich nur zu verantworten, wenn alle Beteiligten sich gut fühlten, auch die im Raumschiff bleibenden. 

Europas früherer Raumfahrtchef Jan Wörner erinnert an den historisch ersten Ausstieg des Russen Alexej Leonow 1965. Leonow passte bei seiner Rückkehr zunächst nicht durch die Luke, weil sich sein damals ebenfalls neuer Raumanzug wie ein Ballon aufgebläht hatte. 

Man könne sich das Gefühl beim Aussteigen ins Weltall kaum vorstellen, sagt der ehemalige Präsident der europäischen Raumfahrtbehörde Esa. „Plötzlich ist nichts mehr unter einem. Außen weit entfernt die Erde oder sogar nur der Weltraum.“ 

Vorbereitung läuft schon

Vorbereitend durchlief die „Polaris Dawn“-Crew einen sogenannten Pre-Breathe-Prozess. Dabei wird dem Blut langsam Stickstoff entzogen, damit das Gas keine Bläschen in Gewebe und Blutkreislauf bildet, wenn sich der Druck ändert.

Die Außeneinsatz-Phase ist der riskanteste Zeitraum der gesamten Mission, ähnlich wie bei Außeneinsätzen an der Raumstation ISS, wie der ehemalige Astronaut Ulrich Walter erklärt. Anders als bei Einsätzen an der ISS schwebten die Laien-Raumfahrer Jared Isaacman und Sarah Gillis bei ihrem jeweils 20-minütigen Ausflug aber zumindest nicht frei im Weltraum, sondern seien die komplette Zeit über Fußschlaufen an einer Art Leiter befestigt.

Daher benötigten sie auch keinen gesonderten Bagpack mit Atemluft, sondern würden über einen Schlauch vom Crew Dragon aus versorgt, sagt Walter, Professor für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München. Ein weiterer Unterschied ist demnach, dass das Raumfahrzeug anders als die Raumstation keine Schleuse für Ausstiege besitzt. 

Einfach raus ins All

„Direkt auszusteigen ist die einfachste technische Lösung, das wurde schon in den 1960er Jahren bei der Sojus so gemacht“, so Walter. Für die im Crew Dragon bleibenden Privat-Astronauten bedeutet das, dass sie ebenfalls in ihre Raumanzüge schlüpfen müssen, weil sie dem Vakuum des Weltraums ausgesetzt sind und es keine Atemluft mehr in der Kabine gibt. „Man muss ein bisschen mehr Sauerstoff und Stickstoff mitnehmen, der danach wieder in die Kapsel gepumpt wird, davon abgesehen ist das Vorgehen nicht kompliziert.“

Das Fehlen der Schleuse bedeutet auch, dass Weltraumstrahlung durch die offene Luke strömen und möglicherweise Elektronik beschädigen könnte. Walter zufolge ist das bei „Polaris Dawn“ aber kein Problem: Zum einen gebe es in 700 Kilometern Höhe weitgehend nur die weniger schädliche solare und keine energiereichere galaktische Strahlung. „Außerdem wird die Klappe an der Luke so gestellt, dass sie wie ein Schutzschirm wirkt und die von der Sonne kommende Strahlung abfängt.“

Zone mit dem meisten Schrott

Ein weiterer Unterschied zwischen den „Polaris Dawn“-Ausstiegen und solchen an der ISS liegt im höheren Risiko für Mikrometeoriten. „In 700 bis 800 Kilometern Höhe ist der meiste Weltraumschrott unterwegs, mehr als in den etwa 400 Kilometern Höhe der ISS“, erklärt Walter. „Die Gefahr für einen Einschlag ist da, die Wahrscheinlichkeit dafür bleibt aber sehr, sehr gering.“

Schutz bietet die acht mal vier Meter große Kapsel im Zweifelsfall wenig – und neben wenig Platz auch keinen Komfort: Geschlafen wird in den Sitzen, die Toilette ist nur mit einem Vorhang abgetrennt. Die vier Privat-Raumfahrer seien wie die Astronauten der Raumfahrtagenturen gründlich auf Klaustrophobie getestet worden, sagt Walter. Und so anstrengend der Ausflug auch sei: „Letztlich ist es so ähnlich wie zu viert fünf Tage in einem Campingbus zu sitzen.“ 

Laien als Raumfahrer

Das wirklich besondere an „Polaris Dawn“ sieht der Raumfahrtexperte darin, dass keiner der vier Menschen an Bord ein herkömmlich ausgebildeter Raumfahrer ist. „Isaacman ist zwar schon mal geflogen, aber er ist eigentlich wie auch Kidd Poteet nur Jetpilot.“ Die beiden Frauen hätten gar keine entsprechende Ausbildung. 

„Für mich ist das ein Zeichen für Fortschritt in der Raumfahrt: Die Technik ist so einfach zu bedienen, dass man keine herkömmlich ausgebildeten Astronauten dafür braucht“, betont Walter. „Es gab auch mal extra ausgebildete Fahrstuhlführer – bis die Technik so fortgeschritten war, dass jeder einen Aufzug bedienen konnte.“ 

Ziel: mehr Weltraumtourismus

Den Sinn der Mission sieht der Raumfahrtexperte daher auch weniger in den Experimenten, von denen nichts Großartiges zu erwarten sei. „Es geht um Weltraumtourismus“, sagt er. „Es geht darum, den Leuten zu zeigen, dass auch Menschen wunderbar fliegen können, die keine erfahrenen Astronauten sind.“

Astronaut Ewald geht davon aus, dass auch der Außeneinsatz keine zentralen Erkenntnisse bringt. „Weder wird die Nasa ermutigt, ihre Sicherheitsstandards zu senken, noch werden wir durch den mutigen Selbstversuch mehr über Strahlenschäden beim Raumflug oder die Zuverlässigkeit der neuen Anzüge erfahren“, meint der 67-Jährige. 

Weit höher als die ISS

Wenige Stunden nach dem Start am Dienstag hatte die privat finanzierte Weltraummission für insgesamt sechs Erdumrundungen ihre maximale Höhe von 1.400 Kilometern erreicht, wie SpaceX beim Kurznachrichtendienst X mitteilte. Das sei die größte Entfernung von Menschen zur Erde seit den letzten Apollo-Missionen zum Mond in den frühen 1970er-Jahren. Die ISS befindet sich in etwa 400 Kilometern Höhe. 

Der milliardenschwere Unternehmer Isaacman führt die bis zu fünf Tage dauernde Mission in Abstimmung mit SpaceX-Gründer Elon Musk, der am Boden bleibt. Mit Isaacman und der SpaceX-Angestellten Gillis waren der ehemalige Jetpilot Kidd Poteet und die SpaceX-Mitarbeiterin Anna Menon an Bord des Crew Dragon mit einer Falcon-9-Rakete vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral an der Westküste Floridas aus ins All gestartet.