In der Regierung tragen die Grünen zahlreiche Verschärfungen in der Asylpolitik mit. Hunderte Parteimitglieder fordern nun einen Kurswechsel.

Ein Abschiebeflug nach Afghanistan, ein geplantes Sicherheitspaket, und verstärkte Grenzkontrollen: In einer aufgeheizten Migrationsdebatte versucht die Regierung aus SPD, FDP und Grünen, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Doch an der grünen Basis regt sich nun Widerstand gegen diesen Kurs. 

„Statt Humanität und Menschenrechte in den Vordergrund zu stellen, setzt Deutschland verstärkt auf Abschottung, auf Zäune und sogar auf Abkommen mit autoritären Regimen, die die Würde von Schutzsuchenden mit Füßen treten“, heißt es in einem offenen Brief an die Parteispitze. Das stehe im Widerspruch zu den Werten der Menschenrechte, die die Partei stets hochgehalten habe. 

Seit der Brief am Dienstag veröffentlicht wurde, haben bereits mehr als 1300 Parteimitglieder unterschrieben. Die Unterzeichner bemängeln, dass es nach dem islamistischen Attentat von Solingen nicht um die Bekämpfung des Islamismus gehe,  sondern stattdessen Abschiebungen als „Allheilmittel“ propagiert würden. Der eingeschlagene Kurs bekämpfe Geflüchtete und stärke letztlich die Islamisten, heißt es in dem Brief.

Für viele Grüne ist Migration nicht irgendein Thema

In den vergangenen Jahren haben die Grünen an der Regierung zahlreiche Verschärfungen in der Asylpolitik mitgetragen, manche Abgeordnete unter größten Schmerzen. Seit dem islamistischen Attentat von Solingen, bei welchem drei Menschen starben, hat die Debatte eine neue Intensität erreicht. 

Kurz darauf hat Deutschland erstmals seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wieder Straftäter in das Land abgeschoben. Das Kabinett hat sich auf ein Sicherheitspaket mit verschärften Regeln geeinigt, das am Donnerstag in den Bundestag eingebracht wird. Und die Regierung lud Union und Ländervertreter zum Migrationsgipfel, um Zurückweisungen an der Grenze zu diskutieren.

Kommentar Merz hat überzogen, 20.35

Die Spitzengrünen, so scheint es, wollen unter allen Umständen dem Eindruck entgegentreten, dass man ein entschlossenes Vorgehen in der Sache verhindere. Dass viele Grünen-Mitglieder davon enttäuscht sind, war fast schon zu erwarten. Für viele von ihnen ist Migration nicht irgendein Thema. Zahlreiche Personen sind im Zuge der Flüchtlingskrise in die Partei eingetreten, manche von ihnen waren selbst in der Flüchtlingsrettung aktiv.

Mitinitiator sieht „zynischen Wettlauf in die Unmenschlichkeit“

Enad Altaweel, Sprecher der Berliner Grünen für Vielfalt und Antidiskriminierung, ist in Syrien aufgewachsen und hat den Brief mit initiiert. „In der aktuellen Debatte wollen uns viele weismachen, dass die Entrechtung von Schutzbedürftigen alle Probleme lösen könnte“, sagt der 27-Jährige. „Doch das ist nichts anderes als ein zynischer Wettlauf in die Unmenschlichkeit.“ 

Der Brief fordert deshalb einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien und die Rückkehr „zu einer Asylpolitik, die auf Schutz und Integration setzt, anstatt auf Abschottung und Kriminalisierung“. Der eigenen Parteispitze wird vorgeworfen, einem Rechtsruck in der Gesellschaft nichts entgegenzusetzen. Stattdessen folge man einem Diskurs, „der sich gegen die Sicherheit von Menschen wendet“. Man erwarte, dass die „Grundsätze, auf denen unsere Partei basiert, in der Regierungsarbeit konsequent verteidigt werden“. 

Bei den Grünen stehen empfindliche Debatten an. Die Dresdener Stadträtin Susanne Krause wird auf der Plattform X deutlich: „Wenn wir – wenn IHR! – nicht langsam die Kurve kriegt, zurück zu der Partei, die Menschen- und Freiheitsrechte hochhält, habt ihr mich bald verloren.“ Es ist eine unmissverständliche Drohung.