Kauft die dänische Großspedition DSV die bahneigene Schenker AG? Mitarbeiter fürchten um 5300 Arbeitsplätze in Deutschland und protestieren. Doch die Deutsche Bahn wird verkaufen.

High Noon am Heidenkampsweg, der B75: Schlag 12 Uhr mittags haben sich mehr als 70 Mitarbeiter vor dem Portal der Hamburger Niederlassung der Bahntochter Schenker AG an der großen Ausfallstraße gen Süden versammelt. Dem dichten Verkehr – auch ein LKW mit Schenker-Container ist darunter – hält man Protestschilder entgegen. Die richten sich gegen einen möglichen, ja wahrscheinlichen Verkauf ihres Unternehmens an den dänischen Wettbewerber DSV. Der ist wie Schenker selbst eines der größten Logistikunternehmen der Welt. DSV, so ist in Mitarbeiter- wie auch Gewerkschaftskreisen zu vernehmen, werde absehbar zahlreiche Arbeitsplätze abbauen, die Geschäfte fusionieren und rationalisieren. 5300 Jobs könnte man hierzulande verlieren, mehr als ein Drittel des Personalbestandes.

Die Zeit drängt – tatsächlich, wie eben bei High Noon, rückt der große Showdown im Bieterverfahren um die von der Bundesregierung dringend gewünschte Trennung der hoch verschuldeten Staatsbahn von ihrem einzigen gewinnbringenden Unternehmensteil, denn das ist Schenker, rasch näher. Binnen Tagen könnten die Würfel fallen.

So paradox es klingt: Die Bahn ist zu arm, um Profit zu machen. 33 Milliarden Euro Schulden stehen in den Büchern, fünf Milliarden mehr als noch 2019. Steigende Zinsen eskalieren die Krise. Eine Schuldenbremse, zur Verfassungsnorm erhoben, als das gerade dem Zeitgeist entsprach, ist dabei auch nicht ohne Einfluss. Schlicht gesagt: Man braucht die 14 Milliarden Verkausfserlös, auf die sich allem Vernehmen nach die Gebote der beiden verbliebenen Bieter CVC, einer Private-Equity-Company, und eben DSV, belaufen. Sehr dringend sogar.

Wird Schenker Opfer seines eigenen Erfolgs?

Die, die hier in Hamburg und zeitgleich auch an den übrigen Sitzen der von Essen aus geführten Schenker AG protestieren, wissen um die Lage. Doch – und auch das erscheint paradox, wenn man ein Bild vom konservativ-beharrenden Gewerkschafter im Kopf hat – sind sie überwiegend nicht gegen einen Verkauf an sich. Dass ausgerechnet die marode Bahn, die ohnehin niemand mehr wirklich mag und die selbst unter Zugführern per Ansage regelmäßig Gegenstand lakonischer Witze ist, in den gewinnträchtigen Logistik-Champion nachhaltig investieren würde, erwartet man nicht mehr – zugleich ist man gerade deshalb in Gefahr, weil man erfolgreich, also wertvoll ist.

Die Sorgen sind also groß, sehr groß.

Zahlreiche Mitarbeiter protestierten am 11. September 2024 vor dem Hamburger Firmensitz der DB Schenker AG gegen einen möglichen Verkauf ihres Unternehmens an die dänische Großspedition DSV
© Christoph Koch

Einer von Schenker, ein Spezialist für komplexe Geschäfte, lange schon dabei, hat das gerade dem Kanzler geschrieben – und nicht nur an ihn, sondern auch an Verkehrsminister Wissing, Wirtschaftsminister Habeck und Bahnchef Richard Lutz. Dabei hebt er hervor, „dass nicht Schenker das Problem ist, sondern die Versäumnisse der Infrastruktur-Politik der Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten sowie das schon seit Jahren vorliegende Missmanagement bei der Deutschen Bahn“. Er führt an, dass DSV bei Präzendenzfällen harsch und zum Nachteil der Belegschaften agiert habe: Im August 2019 übernahmen die Dänen etwa den Schweizer Logistiker Panalpina, es folgte ein Stellenabbau im gesamten Unternehmen und das Management wurde ausgetauscht. Im Mai 2020 schon ist das Logo der Panalpina vom Hauptsitz der vormaligen Zentrale in Basel verschwunden, die Traditionsmarke nur noch Geschichte.

Fairness erwarten die Schenkerianer überwiegend offenbar nicht mehr – immerhin haben sie ja dauerhaft die beste ökonomische Leistung innerhalb des DB-Konzerns erbracht. Doch fordern sie sie nun beherzt ein, zumal von der Politik: „Gerade vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung derzeit die Chip-Produktion in Deutschland mit zehn Milliarden Euro subventioniert – bei circa 10.000 neuen Stellen wird somit jeder Arbeitsplatz mit einer Million Euro subventioniert – fällt es uns schwer zu verstehen und zu akzeptieren, dass es bei dem Schenker-Verkauf nun um den allerletzten Euro geht und man bereit zu sein scheint, eine sehr große Anzahl von Mitarbeitern nach Ablauf der zwei Jahre Beschäftigungsgarantie in die Arbeitslosigkeit zu entlassen.“

Deutsche Bahn und Politik brauchen jeden Euro

Der allerletzte Euro – das bezieht sich auf die nach Insider-Angaben zu erwartende politische Präferenz für den Bieter DSV, von der auch dessen Konkurrent CVC auszugehen scheint. Denn auch der ist höhernorts vorstellig geworden, um Protest einzulegen – das eigene Gebot sei besser und flexibler, jedoch nicht angemessen gewürdigt worden, schrieb man nach Berlin. Und dieses Gemenge führt dieser Tage zur jüngsten und vielleicht erstaunlichsten Paradoxie: Verdi, die tonangebende Gewerkschaft bei Schenker, ist für CVC, den Finanzinvestor – also für ein Geschäftsmodell, das in Deutschland traditionell beargwöhnt, wenn nicht gar als Heuschrecken-Business geschmäht wird. Man sei sich bewusst, dass der Investor CVC einen zügigen Börsengang von Schenker anstreben werde und so etwas gewöhnlich mit Gewinnmaximierungs-Programmen einhergehe – doch sei man sich des in diesem Falle kleineren Übels sehr sicher.

„High Noon“ kam 1952 in die Kinos. Schenker war da bereits 80 Jahre alt und seit 1931 im Besitz der Bahn. 1991 verkaufte die Bundesbahn Schenker ein erstes Mal – an die Stinnes AG. Die wiederum schluckte man ein Jahrzehnt darauf dann ganz – seither gehört Schenker zur Deutschen Bahn. Der berühmte Titelsong von High Noon beginnt übrigens mit der Zeile: „Do not forsake me, oh my darlin“ – „Lass mich nicht im Stich“.

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