Nach über 50 Jahren sind The Jacksons wieder in der Stadt an der Isar. Dass Zeit vergangen ist, merkt man der Show an – weil die Stars so tun, als stünde sie seit Jahren still.

Ein Mann in Lederjacke, die Sonnenbrille in die Stirn geschoben, zoomt mit seinem Handy auf die Anzeige über dem Eingang des Circus Krone. Till Reiners kommt im November. Interessiert ihn nicht. Dann kommt eine WhatsApp rein, aus Versehen klickt er drauf, die Kamera geht aus und die Anzeige wechselt: Heute Abend The Jacksons. Aber er kriegt die Kamera nicht mehr schnell genug an. Kurzer Ärger, dann wieder Fokus. Er bleibt hartnäckig. 

So wie die meisten hier: Hartnäckig am Groove der Zeit. Immerhin wird das Konzert von Oldie Antenne präsentiert, überall stehen kleine Fähnchen mit dem Logo des Radiosenders, an denen man erstmal würdevoll vorbeikommen muss. Oldies? „Dabei sind das doch Klassiker“, sagt ein Mann in einer Harley-Davidson-Jacke. Eben. Über Dekaden bestimmten Mitglieder dieser Band ein ganzes Lebensgefühl. Funk, Soul, Blues. Jenseits von Hautfarben. Eigentlich eine Sensation. 

Sanitäter stützen einen Mann durch den Einlass, drinnen gibt es Popcorn, Cocktails und am Merchandise-Stand kann man E-Gitarren kaufen, die von den Jacksons unterschrieben sind. Viele Konzertbesucher haben dieses verstohlene Grinsen im Gesicht. Als würden sie das Leben heute austricksen. Indem sie ihre Jugend für einen Abend aufleben lassen. Boomers in the wild.

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Die Jacksons spielten schon 1972 im Circus Krone

Plötzlich glitzert da etwas auf der Bühne. Es sind die drei Jacksons, Marlon, Jackie und Tito. Inklusive einem Ersatz-Jackson, dem Sohn von Tito: Taryll. Hinter ihnen auf der Leinwand zeigen sie Shows vor riesigen Menschenmengen. Dagegen wirkt der fast ausverkaufte Circus Krone etwas unbedeutend. Aber dann diese Hüftschwünge, dann dieser Rhythmus, dann dieser Song: „Can you feel it“. Das Publikum kann. Die Zähne strahlen, die Outfits funkeln und die engen, schwarzen Lederhosen zwicken immer noch im Schritt. 

Schon am 4. November 1972 spielten die Jacksons hier im Circus Krone. Damals nannten sie sich noch Jackson Five, und es standen neben Tito, Jackie und Marlon auch Michael und Jackie Jackson auf der Bühne. Die Geschwisterband war zu diesem Zeitpunkt schon weltberühmt, Michael Jackson gerade 14 Jahre alt und schon seit sechs Jahren Lead-Sänger seiner Brüder. 

Der Vater der Jungs, Joseph Jackson, hatte eine Gitarre daheim in Gary, Indiana. Aber auch eine Regel: Die darf nur er selbst spielen. Tito Jackson, heute 70 Jahre alt, schnappte sie sich trotzdem, wenn der Vater arbeiten war und spielte darauf. Offenbar so leidenschaftlich, dass eine Saite riss. Sein Vater zog eine neue auf, gab seinem Sohn die Klampfe und sagte ihm: Ok, Junge, zeig mal, was du drauf hast. Der Vater erkannte das Potenzial seiner Söhne und formierte sie 1964 in einer Band: The Jackson Brothers. Die Besetzung: Neben Tito sangen Jackie (73) und Jermaine (70). Als sie irgendwann Michael Jackson singen hörten, verfrachteten sie ihn kurzerhand ans zentrale Mikrophon, Marlon (67) stellte sich wohl auch nicht schlecht an und wurde ebenfalls rekrutiert. 1966 entstanden so die Jackson Five. 

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Sie kamen bei dem legendären Motown Label unter Vertrag, das auch die Platten von Marvin Gaye, Stevie Wonder und Diana Ross herausbrachte. Und sofort stellte sich der Erfolg ein: Die ersten vier Singles stiegen nacheinander auf Platz eins der Charts ein. Gegenüber dem Guardian sagte Tito Jackson, dass er seinen Vater als „strengen Zuchtmeister“ empfunden habe. „Es gibt ein Lied von James Brown ‘Papa don’t take no mess’. Das war mein Vater“, sagt er. „Er hat uns dazu gedrillt, eine professionelle Gruppe zu werden.“  1976 trennten sie sich von Motown, die aber die Namensrechte behielten, sodass die Brüder sich fortan The Jacksons nannten. 1984 verließ Michael Jackson die Band, um seine Solokarriere zu verfolgen. Und wo wir schon bei Zahlen sind: Zwischen 1969 und 1989 verkauften die Brüder über 100 Millionen Platten.

Der Hüftschwung schwingt, nur fragt man sich schon: wieso

Die Trennung der Band ist schon 25 Jahre her. Auf den Plakaten zur Show wird mit dem Wort „Oldies“ geworben, die Jackons selbst nennen ihre Tour „Legacy“, also Erbe. Möglicherweise, so liest man in der Pressemitteilung zur Show, sei das die letzte Chance, die Band in Deutschland zu sehen. Vielleicht ist das so. Vielleicht auch nicht. Etwas nachdenklich macht das Ganze aber schon: Muss das denn sein, dass man bei einer Band, die Musikgeschichte geschrieben hat, in so eine Nostalgie verfällt, dass man sich selbst schon mal vorsichtshalber am liebsten in eine Vitrine stellen würde? Aber bevor hier die große Selbstarchievierung beginnt, kommt ein Beat. 

Der Mann mit Hut, Paillettenjäckchen, Leoparden-Print-Schuhen und Mundschutz scheint etwas zu fühlen. Mit seinem silbernen Handschuh wischt er sich ein paar Tränen aus seinem Gesicht. „Blame it on the boogie“, singen die Brüder auf der Bühne und machen dabei Bewegungen. Gut, es ist noch eine Choreografie. Der Hüftschwung schwingt, nur fragt man sich schon: wieso. Schließlich sind die Sänger auf der Bühne zusammen in etwa so alt wie Amerika. Und das soll nicht heißen, dass sichtbar alternde Menschen nicht auf Bühnen gehören. Wohl aber schon: Dass es etwas befremdlich ist, wenn man so tut, als würde man nicht altern. 

In der Pause, die die – na gut, nennen wir sie so – Oldies sich genehmigen, beginnt die Show in eine Dokumentation zu verschmelzen. Papa Joseph wird eingeblendet und erinnert sich an die Anfänge der Band. Damals als sie noch in einem Haus lebten, dass in etwa so groß war wie die Bühne. „And still today we‘re one big family“, singt es aus den Boxen. Während Erinnerungen vorbeifliegen. Die Familie mit dem olympischen Feuer, die Brüder schlafend auf einer Couch, die Jungs vor Ferraris am Meer. Eine ganz normale Dia-Show. Dann steht wieder Marlon Jackson auf der Bühne, der die Show trägt. Er erinnert sich an ein Treffen mit Jimmy Hendricks. „That was a great moment.“ 

Und es geht wieder los: „ABC“, singen sie, dazu laufen Cartoons über den Bildschirm. Von damals. Als die fünf noch die fünf waren. 

Die Tänze im Publikum sehen wesentlich weniger gewagt aus als die auf der Bühne. Ein Mann im Blumenhemd und Fedora auf dem Kopf schwingt die Arme und seine Hüften, fasst sich dann kurz ans Becken, winkt ab und beschränkt sich fortan aufs Kopfnicken. 

„Let me show you the way you go“, singen die Jacksons. Einen der ersten Songs, den sie selbst geschrieben haben, nachdem sie aus dem Motown-Deal in die künstlerische Freiheit entlassen wurden. Natürlich: ein Hit. Der Vierviertel-Takt gibt Halt. Die Zuschauer klatschen mittlerweile mehr, als dass sie tanzen. 

Sie tanzen, sie singen, sie sind gute Söhne

Beim Song „I’ll be there“ hat der Neffe, Taryll seinen großen Moment. Aus seinem Falsetto möchte man ihn fast heraushören, den Bruder, der fehlt. Ein bewegender Moment, vor allem weil sie hier so deutlich wird, die Lücke, die Michael Jackson’s Tod nicht nur in die Leben seiner Fans, sondern vor allem in die seiner Familie gerissen hat. 

Spätestens bei „Heartbreak Hotel“ fragt man sich, warum sich die älteren Herren auf der Bühne die Jogging-Runden noch antun. Man könnte die Songs doch auch anders performen, oder nicht? Irgendwie erinnert es in einem leicht melancholischen Anflug an die Art, wie Joe Biden Treppen hochjoggte. Klar, teilweise wirkt die Show, als hätten sie Spaß. Aber oft genug scheint es eher gequält. Tito versteckt sich am liebsten hinter seiner Gitarre. Und auch Jackie wirkt nicht mehr taufrisch. Man kommt nicht um den Gedanken herum, dass diese Senioren immer noch den Willen des Zuchtmeisters, ihres Vaters ausführen. Sie tanzen, sie singen, sie sind gute Söhne. 

Nur sind die glorreichen Zeiten offensichtlich vorbei. Die Bilder auf der Leinwand lassen die aus dem Saal fast traurig erscheinen. Wenn die alten Männer über die Bühne rennen, ihre kleinen Posen zeigen, die mit jedem Beat wechseln, dann wünscht man ihnen dabei vor allem eins: dass sie wirklich glücklich sind.