Das Innenministerium in NRW rückte für die AfD die Vornamen Verdächtiger heraus. Ein Skandal. Andere Länder weigern sich. Warum das richtig ist.

Barakat H. kam mit einem Freund vom Sport. Als sie die S-Bahn-Station Reeperbahn verließen, näherten sich den beiden zwei Polizisten, wollten ihre Ausweise sehen und wühlten in ihren Sporttaschen. Für Barakat H. war das nichts Neues. Der gebürtige Togolese ist schwarz. Er könne nicht mehr zählen, wie oft die Polizei ihn schon ohne ersichtlichen Anlass kontrolliert habe, sagte er der „taz“. „Ich als Weißer werde nie kontrolliert, außer ich bin mit Schwarzen unterwegs“, ergänzte sein Freund. 

Barakat H. zog vors Verwaltungsgericht Hamburg und bekam 2020 recht. Ohne konkreten Verdacht dürfe die Polizei Menschen nicht einfach so kontrollieren. Nicht mal an einem als „gefährlich“ eingestuften Ort (AZ: 20 K 1515/17). Das Oberverwaltungsgericht hob die Entscheidung 2022 wieder auf (AZ: 4bf10/21). Ein „Gefahrenverdacht“ reiche für eine Kontrolle. 

EuGH kritisiert Racial Profiling

Fast zeitgleich kritisierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland in einem anderen Fall scharf (AZ: 215/19). Deutsche Gerichte hätten die Klage eines Mannes nur abgewiesen, weil es „vermeintlich kein ausreichendes Interesse an einer Entscheidung gegeben habe“. Der EuGH verurteilte auch die Schweiz und stellte klar: Racial Profiling verstößt gegen das Diskriminierungsverbot. Die Hautfarbe allein kann, darf und soll also kein Grund für die Polizei sein, Menschen zu kontrollieren. 

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Viel geändert hat sich offenbar trotzdem nicht. Das legt jedenfalls eine Studie der Polizeiakademie Niedersachsen nahe, die jetzt vorgestellt wurde. Das Ergebnis: Die Arbeitsprozesse bei der Polizei begünstigten Rassismus. Die Professorin Astrid Jacobsen begleitete mit ihrem Team etwa ein Jahr lang Polizeibeamte bei ihren Einsätzen. Beamte würden, weil sie keine anderen Kriterien hätten, auf Erfahrungen und polizeilich erstellte Lagebilder zurückgreifen, um Menschen anlasslos zu kontrollieren. 

Wenn es in Lagebildern hieße, dass es junge Albaner seien, die am Bahnhof Kokain verkauften, würde die Polizei sich auf Personen konzentrieren, die migrantisch aussähen. Das berge die Gefahr eines Tunnelblicks und der selbsterfüllenden Prophezeiung. Jede einzelne erfolgreiche Kontrolle bestätige das Verdachtsschema. Böse Absicht war für die Forscher bei den Polizisten indes nicht erkennbar. Sie hätten „keine Erkenntnisse zu Diskriminierungen gewonnen, die absichtsvoll und einstellungsbasiert“ gewesen seien. „Daraus den Schluss zu ziehen, dass es sie nicht gibt, wäre unzulässig.“

NRW nennt Vornamen nach AfD-Forderung

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten. Im Nachbarbundesland Nordrhein-Westfalen beugte sich das CDU-geführte Innenministerium unter Herbert Reul vor wenigen Tagen einer Anfrage der AfD und rückte die Vornamen Verdächtiger von Gruppenvergewaltigungen heraus. 2023 nahm die Polizei 209 Anzeigen wegen Gruppenvergewaltigungen auf. Von 155 Tatverdächtigen hatten 84 keinen deutschen Pass. Darunter elf Syrer, acht Kosovaren und sieben Afghanen. 71 Tatverdächtige – darunter auch einige Frauen – sind deutsche Staatsbürger. 25 davon können als türkische oder arabische Namen gelesen werden. Die Absicht ist klar. Die AfD will nachweisen, dass viele Täter aus Migrantenfamilien stammen.

Die Frage nach dem Namen ist eine nach der Abstammung. Kommt jemand aus einer Migrantenfamilie oder aus einer Familie die zu den so genannten Biodeutschen gehört? Der Verdacht: Migrantenfamilien vermitteln ihren Kindern nicht die richtigen Werte, deshalb vergreifen sich die Männer an Frauen. Mit der Migration wandere Kriminalität ins Land ein. Dabei werden die meisten Migranten eben nicht kriminell. Kriminalität ist zudem eine soziale Frage. Und bei Sexualstraftaten gehört zur bitteren Wahrheit, dass sie meistens hinter verschlossenen Türen stattfinden. In der Familie oder im familiären Umfeld. Die wenigsten dieser Taten werden angezeigt.

Für die Kriminalitätsbekämpfung bringt das Wissen um die Vornamen rein gar nichts. Die Frage danach hat nur ein Ziel: politisches Kapital daraus zu schlagen. Der Verfassungsschutz verdächtigt die AfD rechtsextrem zu sein. Das Oberverwaltungsgericht in Münster, also ausgerechnet in NRW, wo das Innenministerium nun die Vornamen rausgerückt hat, hält diesen Verdacht für gerechtfertigt. Dass die AfD Vornamen wissen will, ist also wenig verwunderlich. Der Skandal ist, dass das Innenministerium die Namen herausgibt.

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Niedersachen und Berlin weigern sich

Zum Glück weigern sich andere Bundesländer. Im Mai scheiterte der niedersächsische AfD-Abgeordnete Stephan Bothe vor dem Staatsgerichtshof mit der Forderung, dass die Landesregierung die Vornamen deutscher Tatverdächtiger der Silvesterkrawalle von 2022/2023 herausgeben solle. In mehreren Orten waren Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte angegriffen worden. Die Polizei ermittelte 35 Tatverdächtige, die meisten davon – 19 Männer – waren Deutsche. Der AfD reichte die Auskunft nicht, sie wollte die Vornamen wissen. Die Landesregierung lehnte das ab. Der Staatsgerichtshof gab ihr Recht. In der aufgeheizten Stimmung könne nicht ausgeschlossen werden, dass Verdächtige Opfer von Gewalt würden. Für Verdächtige gelte die Unschuldsvermutung. Vornamen seien darüber hinaus nicht aussagekräftig. Ermutigt durch diese Gerichtsentscheidung weigert sich jetzt auch der Berliner Senat, die Vornamen von Verdächtigen an die AfD herauszugeben. Die Partei wollte die Vornamen derer wissen, die an den Silvesterausschreitungen 2022/2023 beteiligt gewesen sein sollen. Die AfD zieht gegen die Weigerung vor Gericht. 

Und Barakat H. muss – das zeigt die neue Studie aus Niedersachsen – leider auch in Zukunft damit rechnen, kontrolliert zu werden, ohne dass es einen Anlass gibt. Wegen seiner Hautfarbe.