Das Problem an Luke Mockridge und Konsorten sei nicht der Rassismus, schreibt Kolumnist Stephan Anpalagan. Sondern: schlechtes Handwerk, intellektuelle Tiefflüge und Weinerlichkeit.

Der Bibelvers für diese Woche stammt aus dem ersten Petrusbrief Kapitel 3, Vers 10: „Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen.

Der Mann, der sich mit Humor und Komik bestens auskennt, wirkt nachdenklich. Man hört aus der Frage, die die Kollegen vom „Spiegel“ ihm stellen, die öffentlichen Debatten der vergangenen Jahre deutlich heraus:  Merken Sie, dass der Humor sich verändert hat, dass sich etwas verengt?“

Drei Jahre ist das Interview mittlerweile her und ich wüsste nicht, dass ich seitdem eine bessere Antwort auf diese Frage gehört hätte, als die von Otto Waalkes.

„Eigentlich nicht. Nein“, sagt er. 

Das sehe man auch an den Comedians, deren Erfolg weitgehend auf Tabubrüchen basiere. Es gebe frauenfeindliche Gags, die mit einer Inbrunst vorgetragen würden, dass er sich frage: Was ist denn da los?. Er finde es „erstaunlich, wie tief unter die Gürtellinie man gehen kann“. Irgendwann aber gehe es eben nicht noch tiefer, und dann werde es nur noch unangenehm.

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Otto Waalkes formuliert etwas, was einige in diesem Land möglicherweise als Überraschung empfinden. Das Gefühl scheint nämlich ein anderes zu sein. Nicht nur im Feuilleton etablierter Zeitungen heißt es seit vielen Jahren, dass sich der Meinungskorridor verengen würde. Dass man aufpassen müsse, was man sagt. Ein falscher Witz über Behinderte und zack: Shitstorm, Cancel Culture, Klappe zu, Affe tot, Zirkus pleite.

Natürlich geht es in dieser Kolumne um Luke Mockridge. Um seinen Witz über Behinderte. Um seine Klappe. Und um den Zirkus, der einen Umgang mit ihm finden muss.

Luke Mockridge: Schlechtes Handwerk, intellektuelle Tiefflüge und Weinerlichkeit 

Seit den 1970er Jahren wabert die Frage („Merken Sie, dass der Humor sich verändert hat, dass sich etwas verengt?“) in einer ähnlichen Form durch die deutsche Gesellschaft. Elisabeth Noelle-Neumann, die Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, nannte dies einst die „Schweigespirale“. Demzufolge würden sich Menschen, die ihre Meinung nicht von Zeitgeist und Mainstream repräsentiert sehen, immer weiter aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. In den 1990er und 2000er Jahren wiederum hatten die Leute Angst vor der „politischen Korrektheit“, die den Menschen ihren Mund und Comedians ihren Humor verbot. Seit den 2010er Jahren heißt dieselbe Furcht „Shitstorm“ und „Cancel Culture“. Mittlerweile macht man sich nicht einmal mehr die Mühe, die Angstmacherei aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen.

Kasten Anpalagan

Dabei ist der Raum desjenigen, was man sagen darf und womit man sein Geld verdienen kann, eher größer als kleiner geworden. Ganz unabhängig von der Qualität des Humors. Es ist ja nun wahrlich nicht so, dass Mario Barth, Oliver Pocher und Luke Mockridge am Hungertuch nagen würden. Der deutsche Komiker Christopher Nast, der sich “Chris Tall” nennt, rief zu Beginn seiner Karriere im Jahr 2015 bei „TV Total“ dazu auf, Witze über Behinderte, über Schwule und über Schwarze zu machen. Seine Frage nach jedem Gag über Minderheiten lautete: „Darf er das?“. Die Frage ließ er auf T-Shirts drucken und bot diese in seinem „Chris Tall Shop““zum Verkauf an. Zwei Jahre später, im Jahr 2017, rief er bei seinem Auftritt in Köln vor 12.000 Zuschauern: „Wir fackeln heute die Bude ab – also quasi ’ne Chris-Tall-Nacht!“.

Kristallnacht.

Der Mann spielte danach ausverkaufte Tourneen, drehte Filme, war in Fernsehshows eingeladen und synchronisiert aktuell Hollywood-Blockbuster wie „Borderlands“. Das Problem, das ich persönlich mit diesen Komikern habe, ist nicht einmal der Tabubruch. Es sind vielmehr das handwerkliche Unvermögen, der intellektuelle Tiefflug und die Weinerlichkeit, die mich verwundern.  Luke Mockridge ist ein hervorragendes Beispiel für all das.

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Wenn die „Cancel Culture“ schläft

Seine Witze über behinderte Sportler hat Mockridge nahezu vollständig von dem US-Comedian Shane Gillis geklaut. Seine Erklärung nach der öffentlichen Entrüstung lautete, er habe seine Witze über behinderte Sportler gemeinsam mit dem kleinwüchsigen Speerwurf-Weltmeister Mathias Mester entwickelt. Nur wenige Stunden nach dieser Erklärung distanzierte sich besagter Mester öffentlich von Mockridge und stellte klar, dass er mit Mockridge nicht an seinem Programm gearbeitet habe und dass er die diskriminierenden Äußerungen in Bezug auf die Paralympics „geschmacklos und grenzüberschreitend“ finde. Auch war Mockridges Beitrag in dem Podcast kein Ausrutscher. Bereits 2016 geriet Mockridge in die öffentliche Kritik, nachdem er Witze auf Kosten von Menschen mit Down-Syndrom gemacht hatte. Die „Cancel Culture“ muss diese Grenzüberschreitung wohl verschlafen haben.

Ich muss bei all dem immer wieder an Dieter Nuhr denken, der regelmäßig den Tabubruch zelebriert, um anschließend den öffentlichen Widerspruch zu beklagen. In einem Interview mit dem Fernsehsender „Phoenix“ bezeichnete er den „Shitstorm“ gegen sich als „humane Variante des Pogroms“. Der Mann, der unter anderem von den öffentlich-rechtlichen Beitragszahlungen der Bürger in diesem Land lebt und damit ein Vermögen gemacht hat, empfindet die öffentliche Kritik an seiner Person als „humane Variante des Pogroms“.

Pogrom.

Wer austeilt, insbesondere gegen Minderheiten, kann offensichtlich noch lange nicht einstecken. Das handwerkliche Unvermögen, der schlechte Humor und die Weinerlichkeit nach Kritik und Widerspruch sind wiederkehrende Elemente von Menschen, die mit Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Schwulenhass und der Entmenschlichung von Behinderten ihr Geld verdienen.

Die von Sat.1 nun vorerst abgesetzte Sendung mit Luke Mockridge heißt „Was ist in der Box?“. Wer nicht erst seit gestern im Internet unterwegs ist, kennt das Meme aus dem Film „Sieben“. Der Film endet mit einem Serienmörder, der den Kopf einer schwangeren Frau in einem Pappkarton versteckt und ihrem Ehemann, dem ermittelnden Detektiv, als Krönung seiner Taten übergibt. Der letzte Satz des verzweifelten Polizisten, dem die furchtbare Situation immer klarer wird, lautet: „What’s in the box?“

Die allermeisten Witze über Frauen, Behinderte, Schwule und Schwarze haben keinen doppelten Boden, keine tiefere Bedeutung. Sie regen nicht zur Reflektion an. Sie sind leicht verdientes Geld für Comedians, die diese Witze erzählen. Und sie sind humorvolle Entlastung für all jene, die sich von „Schweigespirale“, „Political Correctness“ und „Cancel Culture“ gegängelt fühlen. Die ihre Menschenverachtung als einen Akt des Widerstandes zelebrieren.

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Komiker, deren Erfolg weitgehend auf Tabubrüchen basiert, kommen naturgemäß irgendwann ganz unten auf der Skala moralischer Vertretbarkeit an. Irgendwann geht’s nicht noch tiefer. Irgendwann wird’s nur noch unangenehm.

Ich habe Otto Waalkes Worten nichts hinzuzufügen.