Die Prognosen der Ärzte waren düster. Doch Krystal Rivers gab nicht auf, heute ist sie eine der besten Volleyball-Spielerinnen der Welt und spielt bei Allianz MTV-Stuttgart.

Die Ärzte sagten dem Vater, er solle sich von seiner Tochter, die gerade wenige Stunden alt war, vorsichtshalber verabschieden. Es sei nicht sicher, dass sie die Nacht überstehe. Dass sie leben würde, daran hatten die Mediziner großen Zweifel. Doch Krystal Rivers, am 23. Mai 1994 in Birmingham, Alabama, in den USA geboren, hat überlebt, die ersten Tage nach ihrer Geburt, als sie mit schweren Fehlbildungen auf die Welt kam, und viele, viele Tage danach. Sie hatte einen Herzstillstand. Sie wurde 20 Mal operiert, als Baby und später, um ihre außerhalb des Körpers befindlichen Organe ins Innere zu verlegen und die daraus resultierenden Folgen zu behandeln. Ihre beiden Hüften wurden gebrochen, damit Hüftgelenkpfanne und der Oberschenkelknochen richtig zusammenwachsen können. Mit 19 Jahren wurde bei ihr Lymphknotenkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert.

Krystal im Alter von ca. vier Jahren
© Bildermacher-Sport Jens Körner

Sie hat all das überlebt und ist eine der weltbesten Volleyballspielerinnen geworden. Krystal Rivers ist, wie man im Sport sagt; eine „Unterschiedsspielerin“: Mit ihrer Sprungkraft, ihrem taktischen Gespür und ihrem Siegeswillen kann sie ein Spiel entscheiden. Vier Mal hat sie auf diese Weise den Bundesligisten Allianz MTV Stuttgart, bei dem sie seit 2018 unter Vertrag steht, zur Meisterschaft geführt. Sie sei das letzte Puzzlestück gewesen, das gefehlt habe, um nach vielen Enttäuschungen den Titel zu gewinnen, sagt die Sportdirektorin des Clubs, Kim Oszvald-Renkema. Nun hat die 30-Jährige ihr im wahrsten Sinne des Wortes bewegtes Leben aufgeschrieben. Das Buch trägt den Titel „Die Ärzte sagten: Du wirst niemals laufen können. Also entschied ich mich, zu springen.“

Sie haben ein Jahr bei einem Volleyballclub in Frankreich verbracht und leben seit 2018 in Stuttgart. Was war für Sie als US-Amerikanerin die größte Herausforderung?
Schaltwagen zu fahren. In den USA sind fast alle Autos Automatikwagen. 

Klappt das inzwischen?
Kann ich das, wenn ich irgendwo hin muss? Ja! Fahre ich gerne Schaltwagen? Nein!

Zur Person

Sie spielen seit 2018 bei Allianz MTV Stuttgart. Fühlen Sie sich dort zu Hause?
Ich habe mich in dem Moment, in dem ich in Stuttgart angekommen bin, zu Hause gefühlt. Die Fans, der Club, das Team – sie alle haben mich von Beginn an so behandelt, als wäre ich schon immer hier gewesen. Es gab Momente, in denen ich daran dachte, aufzuhören, was vor allem mit meiner Gesundheit zusammenhing. Mir ging es zum Jahreswechsel 2021/2022 sehr schlecht. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen: Ich spiele weiter, und ich bleibe. Und es war die richtige Entscheidung. 

Laura Ludwig Beachvolleyball 15.30

Wie oft sind Sie in den USA?
Eigentlich nur einmal im Jahr, aber in diesem Jahr war ich drei Mal dort. Zum einen, um meinen Neffen zu sehen, ich bin vor zwei Jahren nämlich Tante geworden. Zum anderen, weil meine Großmutter gestorben ist. Sie war meine wichtigste Bezugsperson. Ich bin bei ihr aufgewachsen, und sie hat mich geprägt.

Inwiefern?
Meine Grandma ist in einer Zeit aufgewachsen, da mussten Schwarze Menschen eigene Busse und Züge benutzen, selbst Hotels und Arztpraxen gab es damals nur für Schwarze. Meine Grandma wurde 1936 im Süden der USA geboren, die Sklaverei war abgeschafft, die Rassentrennung existierte aber weiter. 

Krystal Rivers mit ihrer Familie: Bruder und Eltern besuchen sie bei einem College-Spiel in den USA
© Bildermacher-Sport Jens Körner

Sie schreiben in Ihrem Buch, wie Sie mit Großmutter über jene Zeit gesprochen haben und sie Ihnen gesagt hat: „Halb so schlimm, Krystal. Es war halt so“. Hat diese Einstellung Ihnen geholfen, mit Ihren gesundheitlichen Einschränkungen und Horrordiagnosen wie der Krebserkrankung umzugehen?
Bevor ich das Buch geschrieben habe, dachte ich, dass dieser Wille, es zu schaffen, einfach in mir ist. Das stimmt auch. Die Ärzte haben bezweifelt, dass ich je würde laufen können. Nach jeder Operation haben sie gesagt, ich müsse mich schonen. Ich wollte diese Leier nicht hören. Beim nächsten Arztbesuch habe ich vorgemacht, wie ich ein Rad schlage. Ich habe diesen Willen aber auch, weil meine Grandma ihn mir vorgelebt hat. Das weiß ich jetzt. Wenn wir allein waren, hat auch sie gesagt: „Sei vorsichtig.“ Aber sobald andere Leute um uns herum waren, die das sagten, erklärte sie: „Lasst sie, wenn sie das will.“ Von da an habe ich nicht mehr aufgehört. Auch wenn ich keinen Erfolg hatte. Ich habe es erneut versucht. Das hört sich klischeehaft an, aber jeder Mensch hat Krisen und denkt, das Ende der Welt sei gekommen. Doch es gibt immer etwas, an dem man sich festhalten kann, es gibt immer einen Weg. Es ist schwer, das kleine Teil zu finden, um sich wieder aufrichten, aber es ist da. 

Während ihrer Kindheit hatte Krystal Rivers viele gesundheitlichen Probleme. Ihre Großeltern, vor allem ihre Grandma (l.), waren wichtige Bezugspersonen für sie
© Bildermacher-Sport Jens Körner

Sie sind also ein hoffnungsloser Optimist?
Ich bin optimistisch, ich bin aber auch realistisch. Das ist der Schlüssel für mich. Manchmal sage ich: „Oh, ich glaube ich werde krank.“ Dann sagen meine Mitspielerinnen: „Sag das nicht, dann wirst du es noch.“ Doch für mich ist das wichtig, ich muss mich darauf vorbereiten. Meine Ressourcen sind begrenzt, ich muss aufgrund meiner körperlichen Einschränkungen und Vorerkrankungen mit meinen Energien haushalten. Es ist aber auch wichtig, ein Unterstützungssystem zu haben. Das habe ich erst später erkannt. Lange Jahre habe ich mich nur auf mich verlassen, nach dem Motto: „Ich bin Krystal, und ich mache immer weiter.“ Aber die Reise kann einfacher sein, wenn es Menschen gibt, die einen unterstützen.

Sophia Flörsch Interview 18.45

Professionell unterstützen wie beispielsweise eine Psychologin?
Mentale Gesundheit ist wichtig, jeder sollte sich darum sorgen. Ich habe immer vieles mit mir ausgemacht, das ging eines Tages nicht mehr, und ich habe eine Psychologin aufgesucht. Ich hatte Angstzustände und Panikattacken. Das habe ich inzwischen im Griff, und ich muss auch keine Medikamente mehr nehmen. Manchmal sagen Menschen zu mir: „Krystal, du bist immer so stark.“ Nein, ich bin nicht immer so stark, ich habe meine Momente und meine Zusammenbrüche. Am Ende des Tages sind wir alle Menschen, und es ist gut, seine Gefühle zuzulassen. 

Sind Sie gläubig?
Nein. Ich bin keine Atheistin, ich glaube an etwas, aber ich bin nicht gläubig in dem Sinne, wie meine Großmutter es war. Sie war von ihrem Glauben bestimmt und stark eingebunden in ihrer Gemeinde. Ich bete manchmal, aber das ist keine alltägliche Routine.

Sie schreiben im Buch, Ihr Vorbild als Jugendliche seien die Williams-Schwestern gewesen. Die spielen aber Tennis, nicht Volleyball.
Ich war etwa zehn Jahre alt, als ich das Buch von Venus and Serena las, in dem sie unter anderem über das Gewinnen schreiben. Ich war begeistert, auf einen Schlag war Tennis mein Lieblingssport geworden. Bis ich 14 Jahre alt war, spielte ich Tennis, aber dann verließ der Trainer die High School, und ich habe aufgehört und mich auf Volleyball, das bis dahin mein Zweit-Sport gewesen war, konzentriert. 

Was ist so faszinierend an dieser Sportart?
Volleyball war nicht meine Lieblingssportart, bis es dann meine Lieblingssportart war. Ich habe so viel Zeit mit diesem Sport verbracht, so viele Erfolge errungen, und er hat mein Leben stark beeinflusst. Ich habe über den Sport viele Freunde gewonnen, und junge Mädchen schauen zu uns auf. Wer von Profi-Sport spricht, hat meistens die männliche Version im Kopf. Bei Volleyball, habe ich das Gefühl, ist das anders, da denkt man zuerst an die weibliche Variante. Wir hoffen, dass sich das Spiel weiter verbreitet und wir noch mehr junge Mädchen begeistern können.

Können Sie vom Sport leben?
Ich kann davon leben, aber das Geld reicht nicht, um damit in Rente zu gehen.

Krystal Rivers (r.) wurde mit ihrer Mannschaft Allianz MTV Stuttgart zum dritten Mal Deutscher Meister. Mit ihrer Mannschaftskollegin Simone Lee ist sie eng befreundet
© Bildermacher-Sport Jens Körner

Männer verdienen im Profisport weit mehr als Frauen.
Das ist definitiv unfair, vor allem wenn man die oft verwendete Rhetorik hinzufügt, dass Frauensport nicht so interessant sei. Wir investieren genauso viel Zeit, Mühe und harte Arbeit, um die bestmöglichen Wettkämpferinnen zu werden. Es ist großartig, dass Frauensport in den vergangenen Jahren an Popularität gewonnen hat. Man kann sehen, welchen Einfluss Frauensport bei den Olympischen Spielen dieses Jahr hatte. Aber die Realität ist, dass wir noch mehr tun können, um die Lücke zu schließen.

Europa erlebt seit geraumer Zeit eine Welle des Hasses gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Haben Sie selbst schon Rassismus erlebt?
Tatsächlich habe ich das hier in Deutschland schon erlebt, aber ich hatte das Gefühl, dass die Menschen nicht wissen, was sie sagen. Ich nehme das dann als „teachable moment“, als einen lehrreichen Moment, um den Menschen bewusst zu machen: „Hey, das kannst du eigentlich nicht sagen.“