Der erste Auftritt der DFB-Auswahl 64 Tage nach dem bitteren EM-K.o. entzückt die deutschen Fans. Fünf Tore und viel Spielfreude machen Lust auf mehr. Vielleicht schon am Dienstag gegen Holland?
Berauscht von einem Gala-Auftritt erhoben sich die Fans von ihren Plätzen und feierten Florian Wirtz und Co. euphorisch nach dem höchsten Sieg unter Bundestrainer Julian Nagelsmann. Fünf Tore und sehenswerter Tempo-Fußball – die deutsche Nationalmannschaft hat den EM-Schwung bestens in die Nations League übertragen. Das 5:0 (1:0) gegen Ungarn war ein brillanter Auftakt und macht Lust auf das Topspiel in der Gruppe 3 gegen Erzrivale Holland am Dienstag (20.45 Uhr/RTL) in Amsterdam.
Auch ohne die vier zurückgetretenen DFB-Größen Toni Kroos, Manuel Neuer, Ilkay Gündogan und Thomas Müller begeisterte das deutsche Team beim höchsten Sieg unter Bundestrainer Julian Nagelsmann in der mit 49.235 Zuschauern ausverkauften Düsseldorfer Arena.
Nagelsmann sprach von einem „sehr guten“ und „dominanten“ Spiel. Einzig in der ersten Halbzeit vermisste der Bundestrainer ein wenig „den Killerinstinkt“. Die Entwicklung der Nationalmannschaft stimmt ihn aber sehr zufrieden: „Wenn die Chemie stimmt, und die ist außergewöhnlich seit drei, vier Monaten. Dann haben wir auch die Chance, sportlich besser zu werden.“
Niclas Füllkrug (27. Minute) und die blendend harmonierenden Jungstars Jamal Musiala (58.) und Wirtz (68.) legten vor. Bayern-Youngster Aleksandar Pavlovic (77.) mit seinem ersten Länderspieltor und Elfmeterschütze Kai Havertz (81.) vollendeten. Es war sogar noch mehr drin: Havertz traf noch zweimal die Latte (33./72.). „Oh, wie ist das schön“, sang das Publikum gut zwei Monate nach der Heim-EM. Fünfmal erklang die Torhymne „völlig losgelöst“.
Füllkrug schwärmt von den DFB-Jungstars
„So souverän zu starten mit so einer Ernsthaftigkeit und die Euphorie aus der EM so mitzunehmen, da bin ich stolz auf die Mannschaft und froh drüber“, sagte Torschütze Füllkrug im ZDF und schwärmte vom Top-Duo Wirtz/Musiala: „Das macht schon Spaß. Das ist schwer zu stoppen. Wir sind echt glücklich, die beiden Jungs auf dem Niveau in unserer Truppe zu haben. Das ist ein Geschenk und da werden alle deutschen Fans die nächsten Jahre viel Spaß daran haben.“ So sah es auch Nagelsmann: „Wenn beide Lust haben und richtig Gas geben, ist es schon schwer. Das ist sehr gut anzuschauen.“
Immer wieder wurde die deutsche Elf angetrieben vom neuen Mittelfeldstrategen Pascal Groß auf der Position von Kroos. Das verjüngte Team um den neuen Kapitän Joshua Kimmich und die neue Nummer eins Marc-André ter Stegen funktioniert auch ohne Kroos und Co.
„Natürlich in der neuen Rolle hofft man schon auf einen Sieg. Ich fand die erste Halbzeit schon sehr gut, da hätten wir höher führen können. Dass wir so aus der Pause kommen, war nicht zu erwarten“, sagte Kapitän Kimmich und ergänzte mit Blick auf die vier namhaften Rücktritte: „Vermisst haben wir sie auf jeden Fall. Es ist leider und zum Glück so im Fußball, dass man immer irgendwo auch ersetzbar ist. Natürlich ist die Erfahrung schwer zu setzen.“
Neue Ära mit sechs Veränderungen in der Startelf
Die neue Ära begann mit gleich sechs Veränderungen in der Startelf im Vergleich zum bitteren Viertelfinal-K.o. bei der Heim-EM gegen den späteren Europameister Spanien. Im Blickpunkt stand dabei Pascal Groß, der den zurückgetretenen Weltmeister Kroos in der Schaltzentrale ersetzte und dabei einen starken Eindruck hinterließ.
Der Neu-Dortmunder war bis zu seiner Auswechslung nach einer Stunde sehr präsent im Mittelfeld, leitete das Führungstor von Füllkrug ein und lieferte auch die Vorlage zum Kopfball von Havertz an die Latte (33.). Nebenbei war der 33-Jährige auch der Mann für die Standards.
Neuer-Nachfolger ter Stegen strahlte wie gewohnt viel Ruhe aus, hatte aber nur wenig zu tun. Für Gündogan war Füllkrug ins Team gerückt, wodurch Havertz etwas zurückgezogen wurde.
Gut 20 Minuten benötigte die veränderte DFB-Auswahl, um nach einem zerfahrenen Beginn auf Touren zu kommen und das Publikum mitzureißen. Dann wusste die Nagelsmann-Elf vor allem durch ein schnelles Umschaltspiel mit tiefen Läufen zu gefallen, was der Bundestrainer bei der EM noch bemängelt hatte. Gerade die beiden Zauberer Wirtz und Musiala prägten mit einem berauschenden Auftritt einmal mehr das Offensivspiel.
Vier weitere Topchancen in der ersten Halbzeit
Einziges Manko war die Chancenverwertung – zumindest in der ersten Halbzeit. So hatte Havertz neben seinem Kopfball an die Latte kurz vor der Pause eine weitere Riesenchance liegen gelassen (45.). Dazu kam Füllkrug zweimal aussichtsreich zum Abschluss, doch der Leipziger Keeper Peter Gulacsi und dessen Kollege Willi Orban entschärften die Schüsse des zu West Ham United gewechselten Torjägers (20. und 32.).
Bei seinem 14. Tor im 22. Länderspiel musste Füllkrug derweil den Ball nur noch über die Linie drücken. Den Rest hatten zuvor Groß, Wirtz und David Raum in einer feinen Kombination erledigt.
Erst rettet Andrich, dann trifft Musiala
Der Chancenwucher in der ersten Halbzeit hätte sich fast gerächt, als der eingewechselte Bendeguz Bolla die Riesenchance zum Ausgleich hatte (56.). Doch Robert Andrich verhinderte mit einer großartigen Rettungsaktion Schlimmeres. Es sollte eine Schlüsselszene des Spiels sein. Die anschließenden zwei Ecken der Ungarn brachten nichts ein, vielmehr entwickelte sich daraus ein Konter, den Musiala nach langem Pass von Wirtz vollendete, woraufhin das Düsseldorfer Publikum „völlig losgelöst“ war und auch die La Ola durch die Arena kreisen ließ.
Nachdem auch Wirtz seine starke Leistung mit einem Tor aus der Distanz krönte, war das deutsche Fußball-Fieber 64 Tage nach dem Ende der EM-Träume endgültig wieder geweckt. Die DFB-Auswahl spielte sich regelrecht in einen Lauf. Havertz hatte mit einem weiteren Lattentreffer erneut Pech (72.), dafür traf der eingewechselte Pavlovic nach einer weiteren Vorlage von Wirtz. Der Münchner hatte die EM noch wegen einer Mandelentzündung verpasst.
Für Havertz sollte es aber auch noch ein Happy End geben. Nachdem der Ex-Leverkusener selbst gefoult worden war, verwandelte er anschließend den Elfmeter eiskalt. Kurz darauf kam auch der Stuttgarter Angelo Stiller noch zu seinem Debüt im DFB-Team.