Nie zuvor hat das Lastenrad das Bild der Groß- und Kleinstädte mehr geprägt. Darin werden Kinder, Einkäufe und sogar Hunde transportiert. Nur ein Hype oder echte Transportlösung?

Sie heißen Bakfiets, Muli oder Urban Arrow: Lastenräder sind das neue Auto – zumindest in Großstädten wie Hamburg. Grund genug, sich die umweltfreundlichen Fortbewegungsmittel mal genauer anzusehen. Meine Familie und ich haben das „Transporter2 65“ von Riese&Müller einem Langzeittest unterzogen. Der deutsche Fahrradhersteller ist auf E-Bikes, Cargo-Bikes und Falträder spezialisiert. Ursprünglich wurde das Unternehmen mit Sitz und Produktionsstätte in Mühltal 1993 von Markus Riese und Heiko Müller als Garagenfirma gegründet.

Die Fortbewegung in Hamburg zur Rush Hour ist anstrengend: verstopfte U-Bahnen, verspätete Busse, Autos, die so langsam fahren, dass man als Spaziergänger schneller ist. Einzig das Fahrrad verspricht ein einigermaßen reibungsloses Fortkommen. Was macht man aber, wenn man ein Kind hat? Unsere Tochter ist vier Jahre alt, ab und an fährt sie schon eigenständig mit ihrem Rad. Morgens aber muss es meist schnell gehen: aufstehen, frühstücken, anziehen, manchmal gerät die Familienharmonie schon durch die einfachsten Dinge in Gefahr. Der Transport in die Kita sollte daher mühelos und ohne größere Dramen gelingen. Scheint bei anderen Eltern gut zu funktionieren, sie transportieren das Kind mit dem Lastenrad. Eine Alternative auch für uns?

Das „Transporter2 65“ ist keinesfalls ein Schnäppchen: mit voller Ausstattung, also Transportbox, Sitzbank für zwei Kinder, Verdeck, Ladegerät, Schlosskette und zwei Schlüsseln kommt man auf den stattlichen Preis von 7128,30 Euro. Dafür gibt’s auch schon einen gebrauchten Kleinwagen. Auch die Konkurrenzmarken liegen im höheren Preissegment. Bakfiets gibt’s ab 5500 Euro, Urban Arrows ab 6000 Euro. Je nach Ausstattung kommen noch einige Hundert Euro hinzu. Lastenrad 13.50

Doch wie schlägt sich das Lastenrad in der Großstadt? Taugt es tatsächlich als Auto-Ersatz? Und funktioniert das als Familie mit Kind?

Was taugt ein Lastenrad?

Um es vorwegzunehmen, mit technischen Details halte ich mich nicht gerne auf. Stimmt das Gesamtkonzept inklusive Praxistauglichkeit und spaßigem Fahrerlebnis, bin ich schnell begeistert. Erster Eindruck: Der eingebaute Motor hat es in sich und schnurrt wie ein Kätzchen. Die Unterstützung ist spürbar und macht das Fahren tatsächlich zu einem Vergnügen. Andere Fahrerinnen und Fahrer monieren mitunter, dass man das Rad nicht selbst reparieren kann und dafür spezielle „Vertragswerkstätten“ ansteuern muss. Betrifft mich persönlich aber gar nicht, weil ich nicht mal einen platten Reifen flicken, geschweige denn etwas an der Lenkung modifzieren könnte.

Apropos modifizieren: Nach etwa 100 Kilometern hatten wir den ersten Bug. Es klapperte, das Rad fuhr nicht mehr wie gewohnt. Etwas hatte sich verzogen. „Ist normal“, sagte unser zuständiger Fahrradklempner. „Bei neuen Fahrrädern muss man in einigen Fällen nachjustieren.“ Gut, dass wir von dem zuständigen Fahrradladen nicht allzu weit wegwohnen. Problematisch wird es allerdings, wenn man doch Strecke machen muss, um Ersthilfe fürs Rad zu erlangen.

Ein anderer Punkt, den man berücksichtigen muss, ist der Platz, den man für ein Lastenrad benötigt. Wir haben Glück: Zu unserer Wohnung gehört eine Garage, zu klein für ein Auto, aber genau richtig für das Lastenrad – auch wenn wird dort erstmal Platz schaffen mussten. Man hamstert doch recht viel über eine gewisse Zeit. 

Die erste Fahrt

Die erste Fahrt ist etwas wackelig: Da der Schwerpunkt sich wegen der Transportbox nach vorne verlagert, muss man erstmal die Balance finden. Der Wechsel zurück zum normalen Fahrrad, ist aber auch schwierig, weil der Schwerpunkt dann wieder weiter hinten liegt. Es braucht einen guten Gleichgewichtsinn und ein Talent für die Balance. Wie bei allem im Leben. 

Es dauert nur wenige Minuten, und ich bin startklar für das Lastenrad. Anders unsere Tochter, die beäugt das neue Gefährt erstmal skeptisch. Was war falsch mit dem Kindersitzaufsatz auf Mamas Fahrrad, moniert sie. Oder mit dem Auto, das taugt doch prima zum Transport, und dabei läuft noch „Bibi und Tina“ in Endlosschleife? Dass Mama schweißnass und außer Puste mit 20 Kilo auf dem Gepäckträger in der Kita ankommt – oder gar keine Lust auf Kinderlieder-Beschallung im Berufsverkehr hat, ist dem Kind erstmal herzlich egal.

Aber dann lässt sie sich doch überreden, und wir treten die erste Fahrt mit Fracht (dem Kind) an. Die Box ist mit einer seitlichen Tür ausgestattet, die unserer Tochter das Ein- und Aussteigen erleichtert. Sie liebt es, die Türe mit flinken Handgriffen selbst aufzumachen. Keine Sorge, von innen kann sie die Tür nicht aufschließen, sie ist natürlich angeschnallt. Der Fußraum kann für größere Kinder für die Beine oder als gesonderter Stauraum für Taschen und Einkäufe genutzt werden. 

Das Kinderverdeck ist bereits montiert, an den Seiten kann man die Kunsstofffenster mit einem Reißverschluss öffnen und mit einem Klettverschluss am Dach befestigen. Aber wehe, ich mache das falsch. Meiner Tochter ist es nicht recht, dass ich nur eines der beiden geöffnet habe, sie möchte vollen Durchzug. Also halte ich an der Straßenseite an, steige ab, heble den Mittelständer mit Aufbockhilfe aus und öffne das zweite seitliche Fenster. Kind glücklich, und die Fahrt geht weiter. Auf einer viel befahrenen Straße, auf der wir normalerweise im Stau feststecken würden, düsen wir einfach an den Autos vorbei. Meine Tochter winkt mit einem breiten Lachen auf dem Gesicht jedem Fahrer zu. Ein Glücksgefühl überkommt mich, endlich sind wir schneller als die Autofahrer, juhu!

Vor der Kita können wir – und etwa 20 weitere Eltern – das Lastenrad ohne Probleme parken und mit einem Bäckerschloss abschließen, das wirklich so heißt, weil man es nur für wenige Minuten abstellt, beispielsweise um kurz Brötchen zu holen. In meinem Fall müsste es also Kitaschloss heißen. Wenn man länger parkt, gibt es auch ein Kettenschloss, dass man an einen Baum oder einem Pfosten befestigen kann. Sicherheit geht vor. „Na, seid ihr jetzt auch im Lastenrad-Game?“, fragt mich eine Mutter. „Wir versuchen es zumindest“, antworte ich ihr und gebe das Kind bei der Erzieherin ab. STERN PAID 15_24 5 Radtypen 12:00

Die Ausstattung

Rückweg, diesmal ohne Fracht. Das macht wirklich Spaß, und statt bisher 15 Minuten mit dem Auto benötigen wir nur noch exakt sechs Minuten für einen Kitaweg, wenn die Ampeln alle grün zeigen. Zurück zu Hause schaue ich mir die Details des Fahrrads genauer an: Im Kinderverdeck ist ein kleines Netz, in das ich meinen Schlüssel, mein Handy oder die Picasso ähnlichen Gemälde meiner Tochter nach der Kita verstaue. 

Für E-Bike-Fahrer wahrscheinlich nichts Neues, aber ich bin Ersttäterin: Das Rad ist mit einem kleinen Display ausgestattet, auf dem ich sehen kann, wie schnell ich fahre, wie viel Strecke ich schon insgesamt gemacht habe und wie lange mein Akku noch hält. Besonders wichtig für die Fahrt in die Kita: Die Uhrzeit wird angezeigt – und je nachdem, wie spät wir dran sind, müssen wir mehr oder weniger in die Pedale treten. Ich fahre im Schnitt etwa 25 Kilometer pro Stunde, mein Mann fährt eher gemütlicher mit 15 Kilometern pro Stunde, ich lasse mir ein Rennen mit konventionellen Rädern selten entgehen. Der Fahrtwind und die mühelose Fortbewegung verschaffen mir außerdem ein Freiheitsgefühl, das man so selten in der Großstadt verspürt. 

Der Akkuladestand wird prozentgenau angezeigt, rutscht dieser unter die 30-Prozent-Marke fange ich das Schwitzen an, ob ich die Strecke überhaupt noch schaffe. Liegen geblieben bin ich noch nie, und in wenigen Stunden ist der Akku auch schon wieder vollgeladen. Außerdem kann ich zwischen verschiedenen Unterstützungs-Modi wählen: Eco, Auto, Sport oder Turbo. Je höher die Leistung, desto schneller wird der Akku leer. Wir laden etwa einmal die Woche, wenn wir nur den Weg zur Kita (sechs Kilometer Roundtrip) zurücklegen. Fahren wir längere Strecken, erhöht sich die Ladefrequenz. Minimalistisches Design, bequemer Sitz und breiter Lenker: Das Lastenrad „Transporter2 65“ von Riese&Müller macht optisch was her.
© Riese&Müller

Das Rad muss auch schön sein

Das Rad fährt sich wie ein bequemes Hollandrad mit einem breiten Lenker und komfortablen Sitz, nur ist man natürlich mit dem Motor-Antrieb schneller unterwegs als mit einem konventionellen Drahtesel. Gut zu wissen: Lenkrad und auch Sitz lassen sich variabel einstellen, sodass mehrere Personen das Rad abwechselnd fahren können. Natürlich spielt in der Großstadt auch die Optik eine gewisse Rolle, das Rad muss schon auch schön sein. Ich bin große Verfechterin von Minimalismus, deshalb hat mich der weiß lackierte Rahmen und die in schwarz gehaltene Ausstattung schnell überzeugt. Kein Schnickschnack, das gefällt mir.

Viel zu schnell rennt die Zeit im Alltag mit Job und Kind, und ich eile schon wieder zur Kita. Stress, die Uhr zeigt, dass ich bereits zehn Minuten zu spät dran bin. Als ich ankomme, bettelt mich meine Tochter förmlich an, dass ihre Freundin mitfahren soll. Kein Problem, sage ich, schließlich hat die Sitzbank zwei Plätze und zwei Sicherheitsgurte. Ich stelle fest, dass zweimal 20 Kilogramm doch etwas beschwerlicher sind, aber auch diese Herausforderung ist in Windeseile bewältigt. Die Kinder lachen, mein Haar weht im Fahrtwind, ich fühle mich wie in einem „Grace Kelly“-Film. Ach, Bewegung kann so schön sein.

Fazit

Für diejenigen, die es sich finanziell leisten können, bietet ein Lastenrad eine nachhaltige und flexible Lösung für den städtischen Alltag. Wobei es auf dem Markt sehr viele Alternativen gibt, die je nach Ausstattung auch kostengünstiger sind. Es lohnt sich, einen Preisvergleich zu machen und nach Leasing-Optionen Ausschau zu halten, beispielsweise über den Arbeitgeber und Jobrad. Machen Sie auf jeden Fall vor dem Kauf eine Probefahrt. Die eiserne Regel lautet: Nie ein Lastenrad kaufen, ohne es Probe gefahren zu haben.

Nach über 650 Kilometern Fahrt können wir sagen, für unsere Bedürfnisse passt das Rad: starker Motor, lange Reichweite und coole Details wie die Tür an der Transportbox und ein Display, das alle Fahrtinfos zusammenfasst. Und das Hauptargument: Wir lassen seitdem das Auto stehen – und überholen dabei alle anderen, die im Großstadtdschungel feststecken. Natürlich fiel der Test jetzt in die Sommerzeit, interessant wäre es zu sehen, ob wir auch durch Regen und Matsch mit dem Lastenrad fahren würden. Für diejenigen, die am Tag viel zu viel sitzen, ist die Bewegung auf dem Rad eine Wohltat. Und der Spaß kommt dabei auch nicht zu kurz. Sogar mein Mann, der eher ein Bewegungsmuffel ist, begeistert sich für das Lastenrad jeden Tag mehr. Wir nennen das Rad mittlerweile nur noch liebevoll „Lasti“. Und auch das Kind bekommt seine tägliche Portion frische Luft.

Transparenzhinweis: Das Lastenrad wurde von der Firma Riese&Müller für den Test-Zeitraum zur Verfügung gestellt.