Bei der Betriebsversammlung von VW kommt es nach den Sparankündigungen der Konzernspitze zu Protesten. Auf dem Parkplatz vor dem Werk erzählen Beschäftigte, wie sie die Lage sehen.

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Für Pressevertreter gleicht die Arbeit nahe des Volkswagen-Stammwerks in Wolfsburg am Mittwochvormittag einem Spießrutenlauf. Vor einem Zugangstunnel hat sich ein schwer bepacktes Kamerateam postiert, Journalisten mit Mikrofon oder Schreibblock in der Hand warten, um VW-Beschäftigte für ein Statement abzupassen.

Doch das ist gar nicht so einfach. Die meisten winken schon von weitem ab, auf Fragen zur aktuellen Stimmung reagieren manche gereizt. „Wie soll die schon sein!? Schlecht!“, blafft ein Mann mit geschultertem Rucksack und läuft kopfschüttelnd weiter. Ein anderer Werksmitarbeiter äußert sich zwar zunächst ausführlicher, widerruft seine Aussagen einige Stunden später aber wieder. Er fürchte arbeitsrechtliche Konsequenzen.

VW-Spitze irritiert mit „Familien“-Begriff

Die Verunsicherung in der VW-Belegschaft ist groß. Das ist an diesem heißen Sommertag in Wolfsburg zu spüren. Europas größter Autobauer hatte angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen. Auch Werkschließungen in Deutschland und betriebsbedingte Kündigungen werden nicht länger ausgeschlossen. Die mit dem Betriebsrat vereinbarte Beschäftigungssicherung, die betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 ausschließt, soll aufgekündigt werden. Erstmals seit 30 Jahren könnte es bei VW dann Entlassungen geben.

STERN Interview Dudenhöffer zu VW 22.36

Was die Beschäftigten davon halten, soll am Mittwoch eindrucksvoll auch auf der Betriebsversammlung deutlich geworden sein. Mit einem Pfeifkonzert habe die Belegschaft gegen die Sparpläne protestiert, sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Zuvor hatte die Konzernspitze ihre Pläne vor mehr als 16.000 Beschäftigten verteidigt – und dies unter anderem mit dem Wohle der „Volkswagen-Familie“ begründet. Eine Wortwahl, die viele Beschäftigte irritierte. Schließlich halte man als Familie vor allem in Krisenzeiten zusammen, so Cavallo. Sie kündigte harten Widerstand an und will Werkschließungen, Entlassungen und Lohnkürzungen nicht hinnehmen.

Schuld an der Krise bei Volkswagen seien nicht die Mitarbeiter, sondern die Konzernführung. „Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht“, sagte Cavallo laut Redemanuskript. Dafür dürfe man nun nicht die Belegschaft zur Verantwortung ziehen. Stattdessen appellierte sie an den Vorstand, seiner Verantwortung für die VW-Standorte gerecht zu werden.

„Wir haben eine unfassbar gute Technologie aufgegeben“

Eine Linie, die von der großen Mehrheit der Beschäftigten offenbar mitgetragen wird. Kritik an Daniela Cavallo ist an diesem Mittwoch vor den Werkstoren nicht zu vernehmen. Sie agiere glaubwürdig und habe die Belegschaft voll hinter sich, heißt es. Stattdessen werden vor allem Versäumnisse der Konzernspitze um Oliver Blume und dessen Vorgänger Herbert Diess angeprangert: „Es wurden ziemlich viele Fehlentscheidungen getroffen, wobei man natürlich im Nachhinein immer alles besser weiß“, sagt ein langjähriger Beschäftigter aus der Logistiksparte.

Golf Geschichte 15.55

Beispiel Elektromobilität. Diese sei zu „einseitig“ verfolgt worden, ohne sich die Weiterentwicklung bestehender Technologien zumindest offen zu halten. „Das Verteufeln unserer Dieselmotoren, die ja mit Abstand die effizientesten sind, verstehe ich nicht“, sagt der Beschäftigte. „Wir haben eine unfassbar gute Technologie einfach aufgegeben.“

Eine „verfehlte Produktpolitik“ führt vor dem VW-Werk auch ein Vertriebsmitarbeiter als Ursache für die Krise an. Es sei zu früh alles auf die E-Mobilität gesetzt worden, während Konkurrenten wie Toyota „erstmal brav die Füße still gehalten“ hätten. Dies bekomme Volkswagen nun vor allem beim Absatz zu spüren. „Anders als die Japaner haben wir keinen Hybrid-Kleinwagen anzubieten. Dabei wird genau das momentan gekauft“, so der Beschäftigte. Dies gelte gleichermaßen für die Produktpalette bei den Elektrofahrzeugen. Die Sparpläne der VW-Konzernspitze hält der Vertriebler dennoch für übertrieben. Schließlich werde VW auch in diesem Jahr „noch Milliarden verdienen“. Von roten Zahlen sei der Autokonzern weit entfernt.

Auch die Bundesregierung bekommt in den Gesprächen ihr Fett weg. Das ständige Hin und Her bei den Subventionen habe dem Konzern nachhaltig geschadet, moniert ein Werksmitarbeiter. „Erst wird die Elektromobilität massiv gefördert, dann wieder zurückgefahren, und plötzlich wundert sich jeder, warum keine E-Autos gekauft werden“.Das Dorf und die Fabrik     17.00

Hinter vorgehaltener Hand äußern manche aber zum Teil auch Verständnis für die Sparpläne. Werksschließungen möchte sich zwar kaum jemand ausmalen. Finanziell seien die Überlegungen aber durchaus nachvollziehbar. „Wir sind mit 10.000 Leuten nunmal für mehr Produktion ausgerichtet, aber im Augenblick sind nicht viele neue Projekte in der Pipeline. Das ist ein Pulverfass“, sagt ein älterer Mann um die 60 mit grauem Haar. Sorgen um seinen Job macht er sich deshalb aber nicht mehr. Er habe seine „Schäfchen im Trockenen“.

Für viele seiner Kollegen gilt das an diesem Tag nicht. Sie müssen hoffen, dass Betriebsrat und Konzernspitze nun zügig an den Verhandlungstisch treten. 

Mit Material von dpa