Vor 35 Jahren brachten DDR-Bürger ihren Staat zu Fall. Bürgerrechtler und die vielen DDR-Flüchtlinge und Ausreisewilligen haben dazu beigetragen, sagt einer, der dabei war.
Die Friedliche Revolution vor 35 Jahren ist aus Sicht von Sachsen-Anhalts Aufarbeitungsbeauftragtem Johannes Beleites auch dank der großen Zahl von DDR-Flüchtlingen und Ausreisewilligen geglückt. Vor und nach 1989 habe es den Konflikt gegeben zwischen Bürgerrechtlern und Ausreisewilligen, wer sich die Lorbeeren der Friedlichen Revolution anstecken könne. „Die Bürgerrechtler bildeten die Spitze des Revolutionszuges, aber sie sind ein kleines Häufchen gewesen, die Flüchtlinge haben die kritische Masse gebracht“, sagte Beleites der Deutschen Presse-Agentur. „Sie hatten nichts zu verlieren.“Für Dienstag hat Landtagspräsident Gunnar Schellenberger zu einer Feierstunde eingeladen, unter anderem Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Beleites sind dabei. Der Titel lautet: „35 Jahre Friedliche Revolution. Protest gegen die SED-Diktatur. Flucht über die Prager Botschaft. Mauerfall“. Zum 3. Oktober richtet Sachsen-Anhalt in der Botschaft ein Fest aus.
Genschers berühmter Satz auf dem Balkon
Auf dem Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag überbrachte Außenminister Hans-Dietrich Genscher Tausenden auf dem Gelände zusammengepferchten DDR-Bürgern die erlösende Nachricht: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“ Der Rest des Satzes ging am 30. September 1989 im Jubel unter. Am 9. Oktober gingen in Leipzig bei der bislang größten Montagsdemonstration 70.000 Menschen auf die Straße. Es setzte sich der Ruf „Wir sind das Volk – keine Gewalt“ durch. Anfang November wurden die Grenzen geöffnet.
Dass die Feierstunde in Magdeburg kurz nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen stattfindet, lässt Beleites nach Verbindendem zum Hier und Jetzt suchen. Dazu gehöre die Notwendigkeit des Miteinanders, sagte er. „Die Friedliche Revolution wäre nicht friedlich geblieben, wenn es nicht beide Seiten geblieben wären.“ Dass die Russen in den Kasernen geblieben seien, schien klar, dass Polizei, Stasi und Kampfgruppen ihre militärische Macht nicht genutzt hätten, sei bei den großen Demonstrationen in Leipzig unwahrscheinlich gewesen. Auch die Bürgerrechtler, zu denen Beleites zählt, hätten ihre Forderungen härter durchsetzen können. Man müsse dankbar sein, dass alle besonnen geblieben seien.
Mehr Gespräche in der Gesellschaft
Beleites setzt auch heute auf mehr Gespräche in der Gesellschaft, zwischen allen Gruppen. „Auch die äußeren Enden müssen gesprächsfähig sein“, sagt der 57-Jährige. Das gesamte Spektrum im Landtag gehöre genauso wie Gruppen außerhalb des Parlaments dazu. Nötig seien Orte für den Dialog. Beleites sieht die Kirchen als möglichen Ort, wie einst die Nikolaikirche in Leipzig. Die Offenheit dazu fehlt ihm dort: „Die Kirchen beziehen Position und grenzen sich ab, statt ihre Türen für alle zu öffnen.“
Johannes Beleites ist seit dem 8. April 2024 Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt. Er engagierte sich schon als Jugendlicher in den 1980er Jahren in der oppositionellen kirchlichen Umwelt- und Friedensbewegung. Ab 1982 verfolgte ihn die Stasi aktiv, Beleites erhielt zunächst keine Zulassung zum Abitur. Er wurde Elektromonteur und studierte erst nach 1990 Jura in Göttingen und Berlin. Beleites setzte sich nach der friedlichen Revolution für die Aufarbeitung des Unrechtsregimes in der DDR ein. Er war freier Mitarbeiter in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sowie in der Abteilung Bildung und Forschung der Gauck-Behörde. Er forschte und publizierte zu verschiedenen Aspekten der DDR-Geschichte.