Erstmals liegt die AfD bei einer Landtagswahl auf Platz eins – prompt kündigt ihr Landeschef Höcke an, auf andere Parteien zuzugehen. Das Land könnte auf Regierungsunfähigkeit zusteuern.
Bei der Landtagswahl in Thüringen ist die AfD von Björn Höcke mit großem Abstand stärkste Kraft geworden. Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF schafft sie es erstmals seit ihrer Gründung 2013 bei einer Landtagswahl auf Platz eins.
Aussichten auf eine Koalition hat die in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD kaum, alle anderen Parteien haben eine Zusammenarbeit mit ausgeschlossen. Das Land steuert auf eine extrem schwierige Regierungsbildung zu. Ein Bündnis aus CDU, BSW und SPD, das als mögliche Option gilt, kommt nach Hochrechnungen bislang nicht auf eine Mehrheit der Landtagssitze.
Die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow rutscht mit deutlichen Verlusten auf den vierten Platz. Die SPD schafft den Einzug in den Landtag, die Grünen verpassen ihn. Auch die FDP fliegt aus dem Parlament.
Hochrechnung: Grüne und FDP fliegen aus dem Landtag
Den Hochrechnungen zufolge steigert sich die AfD auf 32,8 bis 33,4 Prozent (2019: 23,4 Prozent), die CDU verbessert sich auf 23,8 Prozent (21,7). Aus dem Stand schafft das BSW 15,5 Prozent – und lässt damit die Linke, von der es sich abgespalten hat, hinter sich: Diese stürzt dramatisch ab und kommt nur noch auf 11,9 bis 12,9 Prozent (31,0).
Starke Verluste verbuchen die Parteien der Berliner Ampel-Regierung: Die SPD liegt mit 6,0 bis 6,1 Prozent nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde (8,2) und steuert auf ihr bislang schlechtestes Ergebnis in Thüringen zu. Die Grünen, bislang ebenfalls an der Landesregierung beteiligt, ziehen mit 3,3 bis 3,4 Prozent laut der Hochrechnung ebenso wenig in den Landtag in Erfurt ein wie die FDP, die auf 1,2 Prozent (5,0) abstürzt.
Die AfD erhält demnach 32 Sitze (22). Die CDU kommt auf 23 Sitze (21), das BSW laut Hochrechnung auf 15. Die Linken haben noch 12 Mandate (29). Die SPD stellt laut Hochrechnung 6 Abgeordnete (8). Damit hätten CDU, BSW und SPD zusammen 44 Sitze – einer weniger als für eine Mehrheit nötig.
Rund 1,66 Millionen Menschen waren zur Abstimmung aufgerufen. Die Wahlbeteiligung liegt laut den Hochrechnungen bei 73,5 bis 74,0 Prozent. 2019 waren es 64,9 Prozent.
Ramelow: Werde Regierungsbildung unterstützen
Die bisherige rot-rot-grüne Minderheitskoalition, die auf eine Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen war, hat keine Chance auf eine Neuauflage. Ramelow, der den Freistaat seit zehn Jahren regiert, sieht die Aufgabe zur Regierungsbildung nun beim CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt. „Der im demokratischen Spektrum, der die meisten Stimmen hat, der muss die Gespräche beginnen, der muss einladen. Ich werde alle dabei unterstützen, die helfen, dass wir zu einer demokratischen Mehrheit im Parlament bekommen“, sagte der Linken-Politiker in der ARD.
Die Suche nach einer Regierungsmehrheit dürfte kompliziert werden. Die CDU schließt laut einem Bundesparteitagsbeschluss eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken aus. Möglicherweise drohen Verhältnisse, bei denen sich eine Minderheitsregierung von anderen Parteien unterstützen lassen müsste. Trotz der einhelligen Ablehnung der anderen Parteien kündigte AfD-Spitzenkandidat Höcke an, zu Gesprächen über mögliche Koalitionen einladen zu wollen.
BSW könnte maßgeblich sein
Das BSW könnte eine wichtige Position einnehmen. Bundes-Parteichefin Wagenknecht, die selbst nicht zur Wahl stand, hatte die Absicht geäußert, an möglichen Koalitionsverhandlungen teilnehmen zu wollen. Sie hoffe, dass das BSW gemeinsam mit der CDU und nach bisherigem Zahlenstand auch mit der SPD eine gute Regierung in Thüringen bilden könne, sagte Wagenknecht am Wahlabend.
Die Parteigründerin war einst SED-Mitglied und galt später als Ikone der kommunistischen Plattform in der Linken – was vor allen CDU-Politikern Bauchschmerzen macht.
CDU-Spitzenkandidat und -Landeschef Mario Voigt kündigte an, auf die SPD und deren Spitzenkandidaten Georg Maier zugehen zu wollen. Zum BSW sagte er: „Wir werden auch dort gesprächsoffen sein.“ Wagenknecht bekräftigte ihre Bedingungen für einen Einstieg ihrer Partei in eine Landesregierung. Viele Menschen bewege das Thema Frieden zutiefst und sie lehnten es ab, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, wie von der Bundesregierung beabsichtigt, sagte sie bei einer Wahlparty in Erfurt. Eine Landesregierung müsse diesen Wunsch der Menschen berücksichtigen und sich auf Bundesebene dafür einsetzen.
Scharfe Töne im Wahlkampf
Die Stimmung im Wahlkampf war aufgeheizt. Ein Streitpunkt war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und Deutschlands Rolle als Kiews Verbündeter.
Gewinnt die AfD in Thüringen mehr als ein Drittel der Landtagsmandate, hätte sie eine sogenannte Sperrminorität: Entscheidungen und Wahlen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, müssten ihre Zustimmung finden. So werden etwa die Verfassungsrichter von den Parlamenten mit Zweidrittelmehrheit gewählt.