Nach einer ungewöhnlich hohen Zahl von Mpox-Fällen („Affenpocken“) und der Entdeckung einer neuen Subvariante erwägt die Weltgesundheitsorganisation die Ausrufung eines Gesundheitsnotstandes. Was das bedeutet.

Wie besorgniserregend die Lage vor Ort ist, zeigen allein die Zahlen. So verzeichnete die Gesundheitsagentur der Afrikanischen Union (Africa CDC) vom Anfang des Jahres bis Ende Juli 14.250 Fälle von Mpox – früher „Affenpocken“ – und damit bereits fast genau so viele wie im ganzen vergangenen Jahr. Aber auch da war bereits eine Steigerung gegenüber 2022 von fast 80 Prozent beobachtet worden. Seitdem steigen die Infektionszahlen exponentiell an.

So gut wie alle Fälle stammen derzeit noch aus der Demokratischen Republik Kongo, auch 450 der 456 tödlichen Erkrankungen, die allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres beklagt werden mussten. Erste Fälle treten inzwischen aber auch jenseits der Grenzen des Kongo auf, etwa in der Zentralafrikanischen Republik, in Ruanda und auch in Kamerun und Nigeria. Wie das Africa CDC jetzt in einem Briefing mitteilte, sind inzwischen 16 afrikanische Länder vom Mpox-Ausbruch betroffen und weitere 18 Länder des Kontinents davon bedroht. 

Wie Mpox („Affenpocken“) übertragen werden

Die Ansteckung erfolgt über engen Kontakt mit infizierten Tieren oder Menschen. Nach einer Inkubationszeit von 5 bis 21 Tagen können Krankheitssymptome auftreten, meist pockenartige Hautausschläge, entweder lokal oder auch am ganzen Körper. Die allermeisten Kranken haben das nach zwei bis vier Wochen überstanden. Doch gibt es auch schwere Verläufe mit hohem Fieber und Schwellungen der Lymphknoten und einem im schlimmsten Fall tödlichen Befall der Organe, insbesondere der Milz und der Leber. 

Als entscheidende Risikofaktoren sehen die afrikanischen Fachleute häufig wechselnde sexuelle Kontakte, Ko-Infektionen etwa mit HIV sowie Unterernährung und eine damit einhergehende Immunschwäche an. Oft erkranken Sexarbeiterinnen und deren Kunden oder auch Männer, die mit Männern Sex haben. Vor allem letztere Gruppe war in den westlichen Ländern während des Ausbruchs 2022 betroffen.

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Weil MPXV, so das Kürzel des Virus, zwar 1958 in einem dänischen Labor zuerst bei aus Singapur stammenden Affen entdeckt worden war, Affen in der Natur aber nicht die wichtigsten Träger dieses Virus sind, hat die WHO die lange übliche Bezeichnung „Affenpocken“ Ende 2022 durch das neutrale und inzwischen auch bei uns übliche „Mpox“ ersetzt. Vermutlich über heimische Nagetiere ist das Virus schon vor Jahrzehnten auf den Menschen übergegangen. Erste Fälle wurden in den 1970er Jahren in mehreren afrikanischen Ländern entdeckt. Auch Kinder waren oft betroffen, vermutlich weil sie beim Spielen den Erreger über Exkremente von infizierten Nagern aufnahmen. Sex ist also keine Voraussetzung für eine Ansteckung, wenn auch wohl der weitaus häufigste Übertragungsweg. Und jede neue Übertragung gibt dem Erreger die Chance, sich zu verändern und an neue Bedingungen anzupassen.

So lässt sich das Virus von seinem Erbgut her in zwei Gruppen aufteilen, die in der Fachsprache „Klade“ genannt werden. Diese – mit römischen Ziffern – als Klade I und Klade II bezeichneten Virenfamilien sind einander so ähnlich, dass die aus rund 200.000 genetischen „Buchstaben“ bestehenden Erbgut-Sequenzen von MPXV untereinander zu mehr als 99 Prozent identisch sind. Und auch die Ähnlichkeit zu anderen Pockenarten liegt bei über 90 Prozent. 

Doch auch der kleine Unterschied kann beträchtliche Folgen haben. Das gilt besonders mit Blick auf die Krankheitsverläufe. Viren der Klade II sind zumeist harmloser. Es waren solche Viren („Klade IIb“), die 2022 und 2023 zum großen Ausbruch in Westafrika und schließlich zu fast 100.000 Infektionen in insgesamt 116 Ländern weltweit geführt haben. Auch Deutschland war mit etwa 3800 Fällen betroffen, die meisten zwischen Juni und September 2022. Danach wurden die Mpox bei uns nur noch vereinzelt diagnostiziert. In Afrika allerdings traten neue Fälle immer wieder auch in größerer Zahl auf.

Derzeit kursieren gefährlichere Viren

Diesmal sind es die gefährlicheren Viren der Klade I, die in Afrika immer weiter um sich greifen. Im Kongobecken wurde für diese genetische Gruppe eine Sterblichkeit von gut 3 Prozent der Fälle beobachtet. In der Vergangenheit gab es aber auch schon Fallsterblichkeitsraten von knapp 11 Prozent. Bei der Klade II dagegen verliefen nur etwa 0,2 bis maximal 3,6 Prozent der Infektionen tödlich. Doch Viren verändern sich. Bereits im April hatten Proben aus der Kamituga-Bergbauregion im Osten der Demokratischen Republik Kongo Mpox-Erreger einer neuen Subvariante aus der Klade I zu Tage gefördert. Diese neue genetische Gruppe heißt jetzt „Klade Ib“. Nicht nur sind die von ihr hervorgerufenen Krankheitsverläufe generell ernster als bei der Klade II. Innerhalb der Klade I zeigen sich jetzt Mutationen in einer Region des Erbguts, die besonders Ansteckungen von Mensch zu Mensch befördert. Das Virus passt sich also immer weiter an seinen neuen Wirt an.

Schon 2022 war von einem portugiesischen Forschungsteam in dieser genetischen Region des Mpox-Virus eine sechs- bis zwölffach höhere Mutationsrate entdeckt worden, als es die Erfahrung mit solchen Pockenviren erwarten ließ. Mutationen erfolgen zufällig wie Schreibfehler, und oft übersteht das Virus solche genetischen Patzer nicht. Es kann dabei aber auch eine Mutante herauskommen, die einen evolutionären Vorteil trägt und beispielsweise leichter von Mensch zu Mensch übertragen werden kann als ältere Viren dieses Typs. Genau das scheint unglücklicherweise bei jener Klade Ib der Fall zu sein, die jetzt in Zentralafrika um sich greift. Aus der bekannten Mutationsgeschwindigkeit und im Vergleich mit früheren Proben, lässt sich vermuten, dass diese Subvariante von MPXV frühestens im Juli 2023 erstmals auftrat und sich seitdem verbreitet. 

WHO: Kommt es zu einem globalen Gesundheitsnotstand?

So ist es nur folgerichtig, dass Behörden wie das Africa CDC und auch die Weltgesundheitsorganisation die Entwicklung genau beobachten und Vorkehrungen für eine möglichst rasche Eindämmung treffen. Vor allem ein globales Übergreifen der Virusvariante aus der Klade Ib will die WHO jetzt verhindern und dafür unter Umständen auch einen globalen Gesundheitsnotstand ausrufen. Das ist die höchste Warnstufe, die ihr nach ihrer Satzung zur Verfügung steht, offizieller Name: „Public Health Emergency of International Concern“ (PHEIC), also ein Gesundheitsnotstand von internationaler Tragweite. Auch Covid-19 trug diesen offiziellen Status. 

Doch der ist keineswegs gleichbedeutend mit einer neuen Pandemie, sondern gibt der WHO vor allem die Möglichkeit, international koordiniert vorzugehen, um Schlimmeres zu verhindern. So sind der WHO-Generaldirektor und alle 194 Vertragsstaaten rechtlich verpflichtet, die empfohlenen Maßnahmen eines jeweils aus geeigneten Fachleuten besetzten Notfallkomitees umzusetzen. Sowohl die US-amerikanische Infektionsschutzbehörde wie auch ihr europäisches Pendant halten in ihren jeweiligen Regionen die Gefahr durch die neue Mpox-Subvariante derzeit für sehr gering. Doch wäre es grundfalsch, sich deshalb entspannt zurückzulehnen. Denn auch das Virus kennt keine Pause.

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Darum hat die WHO kürzlich einen strategischen Rahmen zur globalen Eindämmung und Kontrolle von Mpox für die kommenden Jahre bis 2027 vorgestellt. Einen wirksamen Impfstoff gibt es schon, auch wenn genaue Zahlen für ein solches vermeintliches Nischenprodukt fehlen. Ein neuerer Übersichtsartikel, in dem die bislang verfügbaren Studien ausgewertet wurden, kommt auf knapp 60 Prozent Schutz vor schweren Symptomen. Ernste Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Inwieweit durch den Impfstoff auch die Ansteckungsgefahr selbst reduziert wird, ist aber nicht klar. „Imvanex“ ist das einzige in der EU zugelassene Pockenvakzin, war aber beispielsweise beim Ausbruch 2022 nicht verfügbar. So musste auf ein eng verwandtes Produkt desselben Herstellers (Bavarian Nordic A/S) zurückgegriffen und unter dem Namen Jynneos aus den USA importiert werden. Aber auch diese Bestände waren wegen des plötzlichen weltweiten Bedarfs eng begrenzt. 

Solche Engpässe sollten sich nicht wiederholen. Zudem fehlt es an zusätzlichen Studien über die vermutlich nachlassende Wirkung der Impfstoffe. Bessere Vakzine sollten entwickelt werden und möglichst auch antivirale Medikamente, so die WHO in ihrem Vorsorgeplan. Immerhin wurde gerade ein PCR-Test vorgestellt, der bereits die neuen Viren der Klade Ib aus ihren genetischen Verwandten herausfischen und ihre weitere Verbreitung verfolgen kann. 

Ja, das alles kostet. Doch Mpox sind ein gutes Beispiel dafür, warum die Pandemievorsorge insgesamt eine unverzichtbare Investition in die Zukunft ist – und warum es sehr gefährlich werden kann, solche Investitionen auf die lange Bank zu schieben. Sind es morgen nicht die Mpox-Erreger, die uns überraschen, dann vielleicht die Vogelgrippe oder irgendein Virus, das derzeit noch niemand kennt. Der durch seine HIV-Forschung und die Corona-Pandemie weltweit bekannte US-Virologe Anthony Fauci hat das vor zwei Jahren in einem mahnenden Beitrag für das „New England Journal of Medicine“ einmal so zusammengefasst: „Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist … aber es ist nie vorbei.“