Sie haben sich im Studium kennengelernt, sich aber über eine Firmengründung und drei Kinder aus den Augen verloren. Besteht für die entfremdete Beziehung noch eine Chance? Julia Peirano macht Johannes T. Hoffnung.

Liebe Frau Peirano,

ich bin 38, meine Frau 37, wir haben drei Kinder (Tochter, 7, und Zwillinge, 4).

Wir haben uns im Studium kennengelernt und sind schon seit zwölf Jahren zusammen. Ich habe BWL und Informatik studiert und dann eine Firma gegründet (Softwareentwicklung, seit drei Jahren Anwendungsentwicklung für künstliche Intelligenz). Meine Frau hat nach dem Studium im Marketing gearbeitet, ist dann aber nach der Geburt unserer Tochter erst mal zwei Jahre in Elternzeit gegangen und ist, als die Zwillinge kamen, ganz zu Hause geblieben. Sie macht das im Großen und Ganzen auch gerne, ist ein sozialer Mensch mit vielen Freundinnen und Bekannten. 

Ich habe nicht geahnt, dass meine Firma so schnell groß werden würde, mittlerweile habe ich 60 Mitarbeiter. Am Anfang hatte ich einen Partner, aber nachdem er Geld veruntreut und Entscheidungen hinter meinem Rücken getroffen hat, musste ich einige Jahre lang juristisch gegen ihn vorgehen, bis er endlich aus dem Unternehmen geschieden ist und ich die Schäden, die er verursacht (auch einen gewaltigen Imageverlust), wieder in Ordnung gebracht habe. Das alles spielte sich von 2017–2022 ab. Ich habe mir große Sorgen um das Unternehmen gemacht, hatte ständig Termine mit Anwälten, Notaren, dem Finanzamt, unzufriedenen Kunden.

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Meine Frau hatte damals unsere kleine Tochter und hat öfter angemerkt, dass sie sich vernachlässigt fühle. Ich habe das so nicht richtig verstanden, da ich an den Wochenenden zu Hause war und mich um alles gekümmert habe. Wir haben damals ein Haus gekauft, das unter Denkmalschutz steht, und haben es für uns umfassend umgebaut und saniert. Das habe ich ihr abgenommen, wie wir es abgesprochen hatten. Und ich habe, soweit es ging, am Wochenende Urlaube geplant, unsere Buchhaltung und Büroarbeit erledigt, weil das meiner Frau überhaupt nicht liegt, und natürlich mit unserer Tochter etwas unternommen, damit meine Frau mal Zeit für sich hatte.

Es war rückblickend eine sehr stressige Zeit, ich war ständig auf der Überholspur. Ich habe nur wenig geschlafen (5–6 Stunden pro Nacht maximal), weil ich morgens um 5 laufen gegangen bin. Das war die einzige Freizeit, die ich hatte. Wir haben als Familie zusammen Zeit verbracht, aber da gab es auch schon oft Spannungen zwischen uns. Sie warf mir vor, dass ich mich beruflich verwirklichen könne und sie zu Hause festsitze. Ich fühlte mich angegriffen und sagte ihr, dass wir das zusammen so entschieden hätten und sie auch arbeiten gehen könne.

Dann warf sie mir vor, wie unrealistisch das sei, da ich nie zu Hause wäre und sie mit allem allein dastünde. Mit drei Kindern arbeiten gehen könne sie sich nicht vorstellen. Einmal war ich in China, als sie eine Fehlgeburt hatte, ein anderes Mal musste ich sie mit 40 Grad Fieber alleine lassen, weil ich eine Geschäftsreise hatte. Das war für uns beide furchtbar.

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Kurzum: Sie war sehr unzufrieden, und ich befand mich täglich in einem Kampf um unsere Existenzgrundlage. Denn unser Leben spielte sich auf einem hohen Niveau ab mit Haus, einem Pferd, Putzhilfe, 2–3 Urlauben im Jahr, zwei Autos und Markenkleidung. Meine Frau hat sehr viel Geld ausgegeben und sich auch ohne mein Einverständnis einen Hund gekauft (ich verabscheue Hunde).

Ich habe ihr das relativ sachlich, aber innerlich gereizt, öfter vorgerechnet und sie gefragt, ob sie bereit wäre, auf kleinerem Fuß zu leben. Ich fühlte mich angegriffen, weil sie meinen Einsatz nicht wertgeschätzt hat und oft, wenn ich über meine Arbeit geredet habe, abgeblockt hat. Einmal meinte sie, dass meine „dämliche Arbeit eh unser Leben dominiere“, und deshalb wolle sie in den wenigen Momenten mit mir zu Hause nichts davon hören. Wenn ich nach Hause komme, ist sie oft schon vor dem Fernseher.

So haben sich die Fronten immer mehr verhärtet. Meine Frau war enttäuscht und wollte, dass ich wieder der Mann werde, den sie kennengelernt hatte. Ich war im Studium ausgeglichener und hatte Freunde, mit denen ich viel gekocht habe und habe Handball gespielt. Doch mit dem Zeitdruck, den ich jahrelang hatte, habe ich auf meine persönliche Freizeit verzichtet, und das warf meine Frau mir noch vor. 

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Vor einem Jahr hat meine Frau eine Therapie angefangen, und seitdem ist ihr wohl erst so richtig bewusst geworden, wie unzufrieden sie ist. Ich bin bei einigen Gesprächen mit der Therapeutin meiner Frau dabei gewesen, und es wurde deutlich, wie unzufrieden wir beide sind. Letztlich ist mir auch bewusst geworden, dass ich in den Jahren, in denen ich so kämpfen musste, meine Gefühle abgeschaltet habe bzw. kaum Zugang zu ihnen habe. Ich habe nur funktioniert. Meine Frau hat klargemacht, dass sie keine Zukunft sieht, wenn ich mich nicht ändere. 

Und ich bin auch an einem Punkt, wo ich in diesem Tempo nicht weitermachen kann. Ich will auch wieder zu mir finden. Nur ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll, mich wieder zu fühlen und wie das gehen kann. Ich habe das völlig verlernt.

Was haben Sie für Ansätze?

Viele Grüße
Johannes T.

Bio Julia Peirano

Lieber Johannes T.,

das klingt nach einer traurigen Geschichte: Für Sie persönlich, aber auch für Ihre Frau, Ihre Kinder und die ganze Familie. Was ich besonders bedauerlich finde, ist, dass Sie ursprünglich beide mit großen Wünschen und Träumen in das „Projekt Familie“ gestartet sind und es offensichtlich beide sehr gut gemeint haben.

Sie haben sich beruflich nicht nur angestrengt, sondern verausgabt, um Ihrer Familie ein angenehmes Leben zu finanzieren. Und dann kam über das Engagement, das es für eine Firmengründung braucht, noch ein Drama dazu. Ihr Partner hat Sie betrogen, Geld veruntreut und Ihrer Firma damit geschadet – oder deren Existenz sogar gefährdet.

Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie in einen Kampf-Modus geraten sind und alles getan haben, um den Schaden von der Firma abzuwenden. Das hat offensichtlich ihre gesamte Energie aufgebraucht, und Sie hatten weder Zeit, um sich zu erholen, noch den Kopf frei für die Sorgen und Befindlichkeit Ihrer Frau. Sie waren nur am Rotieren, und haben dafür sogar auf Schlaf und weitestgehend auf Sport verzichtet. Ein Glück, dass Sie offensichtlich keine Burnout oder eine andere Erkrankung bekommen haben! Dennoch wäre es Ihnen im Hinblick auf Ihre seelische und körperliche Gesundheit dringend zu raten, auf die Bremse zu treten und für mehr Gleichgewicht zu sorgen.

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Anbei ein Buch zum Thema:

Thomas Bergner: „Burnout-Prävention. Erschöpfung verhindern – Energie aufbauen – Selbsthilfe in 12 Stufen“

Ihre Frau hat ebenfalls alles gegeben: Sie hat seit Jahren auf ihren Beruf verzichtet und sich um die Kinder und den Haushalt gekümmert. Es wird ganz deutlich, dass sie sich ihr Leben als Mutter nicht so vorgestellt hatte. Vermutlich vermisst sie ihren Beruf und die Anerkennung, die damit verbunden ist, und sie hätte offensichtlich auch gerne mehr Austausch mit Ihnen.

Sie scheinen nur räumlich auf den gleichen Koordinaten, nämlich in Ihrem Haus, zu leben. Innerlich sind Sie nicht einmal im gleichen Koordinatensystem zu verorten. Ihre Lebensbereiche sind seit Jahren vollständig getrennt: Sie kämpfen im Berufsleben, sind bei Anwälten, Notaren, Finanzbeamten und mit Kunden im Gespräch, und Ihre Frau kümmert sich zu Hause um Hausaufgaben, Spiel-Verabredungen, die Sorgen und Bedürfnisse der Kinder und um das Netzwerk der Familie. 

Gerade wenn die Lebensbereiche so unterschiedlich sind, ist es wichtig, diese immer wieder zu überbrücken, damit keine Kluft entsteht. 

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Es scheint so, als wenn Sie größtenteils nebeneinanderher leben und sich nicht mehr als Team fühlen oder als Team handeln. Einer macht den einen Bereich, der andere macht den anderen. Und beide verweigern einander Wertschätzung, die sich in Form von Lob, Dank Anerkennung oder einem offenen Ohr für die Schwierigkeiten äußern könnte. Darüber hinaus haben Sie einander mit der Missachtung oder Vernachlässigung schwer verletzt und dabei Glaubenssätze verankert wie: „Du bist mir nicht wichtig. Ich interessiere mich nicht für dich. Ich helfe dir nicht, wenn du in Not bist.“ Das hat das Vertrauen stark beschädigt!

Es ist an der Zeit, dass Sie sich überlegen, wie Sie für Ihre Familie sorgen wollen. Wollen Sie es wirklich nur in finanzieller Hinsicht tun, ohne Bindung und seelische Nähe? Was glauben Sie, wie dann das Verhältnis zu Ihren Kindern in 10 bis15 Jahren aussehen wird, und wie das zu Ihrer (vermutlich getrennt lebenden) Frau? Es wäre sehr wichtig, dass Sie darüber nachdenken, wie Sie mehr Qualitätszeit mit Ihrer Familie verbringen können und wirklich für Ihre Frau und Kinder da sein können. Nur wenn Sie die Verletzungen, die Sie einander in den letzten Jahren zugefügt haben (Ich lasse dich im Stich; du bist nicht wichtig) aufarbeiten (und sich aufrichtig dafür entschuldigen) und eine Umkehr in den Prioritäten und im täglich gelebten Verhalten zeigen, haben Sie beide eine Chance auf einen Neuanfang.

Es wäre aus meiner Sicht wichtig, diesen Prozess therapeutisch begleiten zu lassen, am besten im Rahmen einer Paartherapie und parallel dazu einer Einzeltherapie für Sie. Dort könnten Sie gemeinsam an den Verletzungen arbeiten, aber auch an der Frage, wie Sie sich wieder mehr und besser austauschen können. Zum Beispiel durch aktives Zuhören: Der eine erzählt, was ihn bewegt und belastet, der andere hört aufmerksam zu. Und dann werden die Rollen getauscht.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, die Firma zu verkaufen oder wichtige Aufgaben zu delegieren, z.B. an eine:n Geschäftsführer:in?

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Können Sie sich als Erstes eine Auszeit nehmen und ein paar Wochen oder Monate zu Hause zu bleiben und sich gemeinsam mit Ihrer Frau um die Kinder kümmern? Dadurch würden Sie einmal über die Brücke gehen, in den Bereich Ihrer Frau, und erleben, wie das Leben sich dort abspielt und anfühlt. Sie würden mehr Nähe und Kontakt mit Ihren Kindern aufbauen. Das könnte ein wichtiger erster Schritt sein.

Zusätzlich wäre es auch wichtig, dass Sie beide als Paar regelmäßig zusammen etwas unternehmen. Was haben Sie früher, bevor der Stress angefangen hat, gerne zusammen gemacht? Zum Beispiel Programmkino, Fahrradtouren, auf Musikfestivals gehen. Es wäre sehr wichtig, dass Sie zusammen Ideen entwickeln, was Sie unternehmen wollen, und dann diese Zeiten priorisieren. 

In der von mir empfohlenen Einzeltherapie wäre ein wichtiger Punkt, dass Sie sich lernend wieder spüren. Sie könnten zum Beispiel von der Überholspur kommen und eine Pause machen, um in Ruhe zu besprechen und zu betrauern, was Sie in den letzten Jahren erlebt und wie Sie sich gefühlt haben. Ständig angespannt, keine Selbstfürsorge, Zähne zusammengebissen. Das hat sich nicht gut angefühlt! Das durch das Verständnis entstehende Selbstmitgefühl (kein Selbstmitleid!) wäre ein wichtiger Ausgangspunkt, um wieder ins Fühlen zu kommen. Nur wer sich selbst gut fühlt, kann auch zu anderen emotionale Nähe aufbauen.

Wenn Sie sich auf den Weg machen, wird sich bestimmt viel in Ihrem Leben verändern und Sie können es mit mehr bedeutungsvollen Beziehungen füllen.

Ich kann Ihnen ein schönes Buch über den Sinn des Lebens empfehlen: 

„Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens“ von Mitch Albom

Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Kehrtwende tatkräftig anpacken können!

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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