Vor drei Jahren war das Halbfinale Endstation. Doch anders als in Tokio ruft Ruderer Oliver Zeidler sein Potenzial diesmal bei Olympia ab. Für einen engen Wegbegleiter fühlt es sich „surreal“ an.

Am Ende seiner dominanten Triumphfahrt saß Olympiasieger Oliver Zeidler schon fassungslos in seinem Boot, als seine Rivalen noch gar nicht alle im Ziel waren. „Diese Medaille in der Hand zu haben – jetzt hat man etwas zum Vorzeigen, das fühlt sich gut an. Ich widme die Medaille meinen Eltern, vor allem meinen Vater. Er hat mich von meinem ersten Ruderschlag begleitet. Ich bin ihm sehr, sehr dankbar“, sagte Zeidler nach seinem Gold-Coup im Einer-Finale dem ZDF.

Sein Papa wischte sich am Streckenrand gerührt ein paar Tränen aus den Augen. „Das war heute die Vollendung. Ein perfekter Tag“, sagte Vater und Trainer Heino Zeidler nach der überlegenen Vorstellung des dreimaligen Weltmeisters. 

Zeidler machte drei Jahre nach Tokio die Olympia-Schmach vergessen und darf sich nun 52 Jahre nach seinem Großvater Hans-Johann Färber ebenfalls Olympiasieger nennen. „Es ist ein bisschen surreal“, sagte Heino Zeidler, der sich daran erinnerte, wie sein Sohn vor einigen Jahren vom Schwimmen zum Rudern wechselte. Gedacht war der Wechsel mal als Ausgleich.

Auch für den Goldgewinner, der in den vergangenen Jahren in seiner Sportart alles gewonnen hatte außer einer Olympia-Medaille, fühlte sich der Triumph an wie die über Jahre ersehnte Befreiung. Bei der Siegerehrung musste Zeidler noch einmal schwer kämpfen, um nicht hemmungslos zu weinen. Mit leicht zugekniffenen Augen und Gold um den Hals lauschte er der deutschen Hymne – und sang ein wenig mit.

Auch Verzögerung stoppt Zeidler nicht

Bei der Entscheidung vor rund 25.000 Zuschauer bewies der 28 Jahre alte Münchner Nervenstärke und Stehvermögen. Nach einer souveränen Vorstellung verwies er den Belarussen Jewgeni Solotoi und den Niederländer Simon van Dorp mit deutlichem Vorsprung auf die Plätze zwei und drei. Damit ist er der erste Deutsche seit Thomas Lange (1988 und 1992), der im olympischen Skiff-Endlauf triumphiert. 

Nach zuvor drei überzeugenden Siegen in den bisherigen Rennen im Stade Nautique und einer olympischen Rekordzeit im Halbfinale war Zeidler als Favorit ins Rennen gegangen. Und dieser Rolle wurde er gerecht. 

Der Coup rund 30 Kilometer östlich von Paris vertrieb den Frust über das bittere Halbfinal-Aus vor drei Jahren in Tokio. Damals hatte er ein Karriereende erwogen, sich aber nach reiflicher Überlegung für einen weiteren Anlauf entschieden. Das Tattoo mit den olympischen Ringen in seinem Nacken deutet an, wie groß die Sehnsucht nach einem Sieg in Paris 2024 war. Auch die transportbedingte Verspätung von einer Stunde brachte Zeidler am Vormittag nicht aus dem Konzept.

Aus dem Wasser auf das Wasser

Rudern hat Tradition in der Familie Zeidler. Großvater Färber gewann 1972 Olympiagold im Vierer, Onkel Matthias Ungemach wurde 1990 Weltmeister im Achter, Tante Judith Zeidler 1988 Olympiasiegerin im DDR-Achter. 

Dass der einstige Leistungsschwimmer Oliver Zeidler 1996 aus dem Wasser auf das Wasser wechselte, verwunderte deshalb wenig. In erstaunlich kurzer Zeit stieß der 2,03 große Modellathlet in die Weltspitze vor. 

In Eigenregie zum Erfolg

Es passt ins Bild von der Einsamkeit im Einer, dass er sich in den vergangenen Jahren weitgehend in Eigenregie auf Paris vorbereitete. Nach der EM-Pleite 2022 auf seiner Hausstrecke in München-Oberschleißheim drehte er zusammen mit seinem Vater und Trainer nach eigenem Bekunden „alle Steine um“ und machte durch kritische Kommentare vor allem zum Ende November scheidenden DRV-Sportdirektor Mario Woldt von sich reden. 

Anders als die restlichen deutschen Skuller nahm er nicht am finalen Trainingslager in Ratzeburg teil, sondern verbrachte zum bereits zweiten Mal zwei Wochen an der olympischen Regattastrecke in Vaires-sur-Marne. Der Erfolg gibt Zeidler recht. In allen vier Skiff-Rennen der Regatta war er nicht zu schlagen. Das Halbfinale hatte er sogar in olympischer Bestzeit gewonnen.