Schönen Dank für Ihre Frage: Der Kanzler holt am Mittag vor der Hauptstadtpresse wieder zum Rundumschlag aus. Es geht um alles – in jeder Hinsicht.
Als Angela Merkel einmal danach gefragt wurde, warum sie ihren Sommerurlaub gern in den Bergen verbringe, führte die damalige Kanzlerin „eine interessante Durchlüftung auch der jeweiligen Gehirnformation“ an. Das war recht verklausuliert für: Ich habe mich gut erholt. „Es gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, wenn man mal nicht jeden Tag in Berlin ist.“
Auch Olaf Scholz dürfte den ein oder anderen Gedanken denken, wenn er in seinen Sommerurlaub startet. Zum Beispiel: Wird das noch was mit der Ampel?
Anders als seine Amtsvorgängerin im August 2006 kommt Scholz vor den Ferien in die traditionelle Sommerpressekonferenz, nicht danach. Diesen Mittwoch, ab 12.30 Uhr, wird der Sozialdemokrat zum nunmehr dritten Mal Fragen zu „aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik“ beantworten, seine Sicht der Dinge erklären. Es geht also um alles – und diesmal ist da besonders viel dran.
Fried Scholz Marschflugkörper 12.15
Die Krisendichte ist enorm, sie reicht vom Ukraine-Krieg über die Wirtschaftsflaute bis zur Asyl- und Migrationspolitik. Denkbar groß ist der Druck auf die unpopuläre Koalition und ihren Regierungschef, den laut einer aktuellen Umfrage sogar nur noch ein Drittel der SPD-Mitglieder für den richtigen Kanzlerkandidaten halten. Zeit zur Durchlüftung der Gehirnformation? Wahrscheinlich dringend nötig, aber irgendwie nicht drin.
Und so lässt sich nach dieser „Sommer-PK“, wie es im Polit-Fachjargon heißt, möglicherweise dreierlei ablesen. Erstens: Welche Schwerpunkte Scholz setzen will, um sich – zweitens – aus der Krise zu kämpfen. Und, drittens, ob er die Kraft für eine klare Ansage oder sogar ein klassisches Machtwort an seine Koalition aufbringt. Denn das könnte es brauchen, wie die letzten beide Auftritte von Scholz gezeigt haben.
Olaf Scholz und das „Fünfe-gerade-sein-Lassen“
Seine Amtsvorgängerin nutzte die Sommer-PK gern für eingängige Botschaften. „Wir schaffen das“, sagte sie 2015 im Zuge der großen Fluchtbewegung nach Deutschland. Unterstrich 2020 die Dramatik der Corona-Pandemie („Es ist ernst. Nehmen Sie es auch weiterhin ernst.“). Oder gestand Fehler ein: „Es ist nicht ausreichend viel passiert“, sagte sie 2021 zur deutschen Klimapolitik, bei ihrem letzten Auftritt dieser Art.
Auch Olaf Scholz hat einprägsame Sätze in der „Sommer-PK“ platziert. Bei seinem ersten Auftritt als Kanzler versprach er: „You’ll Never Walk Alone“. Das war im August 2022, als sich im Zuge des noch jungen Ukraine-Kriegs eine veritable Energie- und Wirtschaftskrise in Deutschland abzeichnete. Die Ampel hatte wuchtige Entlastungspakete geschnürt, zankte sich aber bereits um das weitere Vorgehen. Zum Beispiel um den Streckbetrieb der seinerzeit drei verbliebenen Atomkraftwerke oder die Zukunft des 9-Euro-Tickets. Scholz verlegte sich auf die Rolle des Moderators, des Mittlers zwischen FDP und Grünen, die damals besonders engagiert und ausdauernd stritten. Trotzdem war der Regierungschef im August 2022 davon überzeugt, dass die Ampel bei all ihren Streitpunkten vier Jahre lang halten werde, er sogar eine Perspektive habe, „die darüber hinausreicht“. Gemeint: die Ampel-Wiederwahl.
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Ob der Kanzler diese Perspektive auch zwei Jahre später und allerhand grundsätzlicher Streitigkeiten – jüngst um den Bundeshaushalt – noch immer sieht, ist die wahrscheinlich zentrale Frage. Bei seinem zweiten Auftritt, in der Sommer-PK 2023, fremdelte Scholz schon etwas mehr mit seiner rauflustigen Regierung.
Der Kanzler gab sich zwar betont selbstbewusst, reklamierte für die Ampel-Politik: „Das ist Groß-Groß“ (statt Klein-Klein). Doch nach dem vermaledeiten „Heizungsgesetz“ wirkte seine Erklärung für die monatelangen Streitigkeiten bemüht. „Man muss sich klarmachen, dass der Konsens, der Kompromiss und das Fünfe-gerade-sein-Lassen ein guter Weg ist, der Deutschland nach vorne bringt“, befand Scholz. Ein bemerkenswerter Satz, zumal die AfD da gerade einen neuen Höchstwert in den Umfragen (22 Prozent) erreicht hatte. Dennoch zeigte sich Scholz „ganz zuversichtlich“, dass die Rechtspopulisten bei der nächsten Bundestagswahl „nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten“.
Immerhin: Auch für kleine Kuriositäten ist Zeit
Im Rückblick lässt sich sagen: Die Koalition streitet immer noch, vielleicht mehr denn je. Die AfD hat immer noch solide Umfragewerte, allen Russland-China-Enthüllungen zum Trotz. Und die Moderatorenrolle hat Scholz eher geschadet als genutzt, ließ sie doch erhebliche Zweifel an seiner Führungsstärke aufkommen – nicht zuletzt in seiner eigenen Partei. Wie umgehen mit dieser Gemengelage? Scholz muss belastbare Antworten liefern, lieber früher als später.
Im September werden in zunächst in Sachsen und Thüringen, dann in Brandenburg neue Landtage gewählt. Den Ampel-Parteien, nicht zuletzt der Kanzlerpartei, drohen dabei sensible Niederlagen – bis hin zum Parlamentsaus. Nach der bereits missglückten Europawahl könnte das ohnehin instabile Koalitionsgefüge weiter ins Wanken geraten, möglicherweise sogar einstürzen.
All das dürfte bei der rund 90-minütigen Sommer-PK angetippt werden. Scholz, der nicht gerade dazu neigt, sich verbal auszubreiten, könnte nach dem Fragen-Stakkato erst recht das Bedürfnis haben, die Gehirnformation durchzulüften. Immerhin: In der Regel ist auch Platz für kleine Kuriositäten.
Vergangenes Jahr ließ der „Jingle Bells“-Klingelton eines Journalisten den Kanzler vergnügt kichern. Und aufmerksamen Zuhörerinnen und Zuhörern wird die kleine Randinformation nicht entgangen sein, dass Scholz zuletzt vor 40 Jahren im Freibad schwimmen gewesen sei. Eine entsprechende Frage wurde im Zusammenhang mit den Tumulten in deutschen Freibädern gestellt.
Und wie wird der Kanzler seine Sommerferien verbringen? So viel hat er neulich schon verraten: Er freue sich darauf, dass Ruhe herrsche, er Sport machen und Bücher lesen könne, viel Zeit mit seiner Frau habe. Wo er das tun wird, sagte Scholz jedoch nicht. Ist ja eigentlich auch egal. Hauptsache es bleibt Zeit zur Durchlüftung, wenigstens kurz.