Altern gehört zum Leben dazu. Trotzdem gehen wir mit Cremes und OPs gegen Falten und graue Haare an. Dabei könnten wir es uns selbst viel leichter machen.
Wir alle wollen alt werden, aber keiner von uns will alt sein. Stattdessen träumen wir von der ewigen Jugend, schmieren uns mit Anti-Aging-Cremes ein bis zum Geht-nicht-mehr, arbeiten mit Tönungen und Farbstiften gegen die ergrauenden Haare an und legen uns für das Gesicht einer Jugendlichen zur Not auch beim Schönheitschirurgen unters Messer. Ein bisschen Botox hier, eine Spritze voll mit Hyaluronsäure da, und die Haut ist wieder glatt wie ein Babypopo. Dauerjugendlichkeit ist eines der prägenden Schönheitsideale unserer Zeit – dabei könnte uns ein Perspektivwechsel das Altern viel leichter machen als jedes Anti-Aging-Produkt.
Es ist doch so: Wir alle altern. Jeden Tag, an dem wir aufwachen, jeder Atemzug, den wir tätigen, jedes Gespräch, das wir mit anderen Menschen führen, jeder Gedanke, der in unserem Kopf aufploppt –in jeder Millisekunde, die vergeht, werden wir ein kleines bisschen älter. Und alle anderen Menschen auch. Nicht nur wir bekommen Falten oder graue Haare, sondern auch unsere Freunde und unsere Eltern. Spätestens, wenn die Menschen, die wir seit unserer Kindheit an kennen und lieben, plötzlich mit krummen Rücken und weißer Haarpracht vor uns stehen, wird uns unsere Vergänglichkeit schmerzlich vor Augen geführt.
Richtig altern ist keine Kunst
Kein Wunder also, dass wir die Zeichen der Zeit am liebsten unsichtbar machen würden und dafür zu den verrücktesten Methoden greifen. Wer wollte nicht schon einmal die Stopptaste drücken und in ewiger jugendlicher Energie das Leben feiern? Nicht umsonst forschen Wissenschaftler bereits seit vielen Jahren an Möglichkeiten, unser Leben und unsere Jugend deutlich zu verlängern – bis hin zur Unsterblichkeit. Nur vergessen wir dabei eine wesentliche Sache: Unsere Vergänglichkeit macht das Leben doch erst wertvoll. Hätten wir unendlich viel Zeit zur Verfügung, wäre es doch beinahe egal, womit wir sie verbringen.
Im Strudel des Alltags vergessen wir trotzdem manchmal, dass wir (vermutlich) nur dieses eine Leben haben – und es irgendwann wohl oder übel enden wird. Der Blick in den Spiegel kann uns daran erinnern, dass die Zeit vergeht – und zwar mit jeder neuen Falte oder jedem grauen Haar, das wir an uns entdecken. Gleichzeitig zeigt das nicht mehr ganz so jugendlich wirkende Gesicht, das uns im Spiegel anlächelt, uns auch, was wir schon alles erlebt haben.
Jede Narbe, jede Falte, jedes graue Haar, jede Delle und jede schwabbelnde Hautstelle ist auch Zeitzeuge des eigenen Lebens. Wenn wir unseren Körper ein bisschen liebevoller betrachten, können wir in unserem Gesicht Erinnerungen an die schönsten und ergreifendsten Momente unseres Lebens entdecken. Jedes herzhafte Lachen hat unsere Lachfalten tiefer werden lassen, jede Sorge unsere Zornesfalten wachsen lassen – unser alterndes Gesicht spiegelt uns also auch die Höhen und Tiefen unseres Lebens wider.
Warum Botox keine gute Idee ist
Kurzum: Wir sollten unbedingt damit aufhören, Falten per se zu verteufeln und die optischen Zeichen des Alterns mit allen Mitteln vertuschen zu wollen. Dass ein jugendliches Aussehen als Schönheitsideal gilt, führt dazu, dass wir uns mit fortschreitendem Alter zwischen natürlicher Authentizität und vermeintlicher Ästhetik entscheiden müssen. Denn ab einem gewissen Alter reicht es eben nicht mehr aus, sich ein bisschen mit Hyaluron auszuhelfen, dann hilft nur noch der Gang zum Schönheitschirurgen gegen Falten – und der macht aus einem echten Gesicht eine 0815-Fassade. Und das ist doch eigentlich etwas, das uns allen widerstrebt: so sein, wie alle anderen. Vielmehr versprechen sich viele von uns durch die optische Verjüngung insgeheim doch eine Zeitreise in die vermeintlich unbeschwerte Vergangenheit, in der einem die Welt noch offen stand.
Um mit einer weiteren Plattitüde um die Ecke zu kommen: Am Ende zählen aber auch in diesem Zusammenhang vor allem die inneren Werte. Sprich: Statt mit Cremes und Faltenbehandlungen gegen das Altern anzugehen, könnten wir versuchen, das Leben so lange wie möglich zu genießen. Zum Beispiel, indem wir viel Zeit mit guten Freunden verbringen, den Alltag nicht zu ernst nehmen und uns Pausen gönnen, um auch mal zu reflektieren, was unser Leben eigentlich alles wirklich ausmacht. Meistens ist das nämlich nicht das vermeintlich makel- weil faltenlose Gesicht, sondern die Momente, in denen es uns gelingt, wirklich da zu sein: die ersten Sonnenstrahlen am Morgen auf dem Gesicht spüren, den Regen riechen und das Zwitschern der Vögel zu hören, herumalbern mit dem Partner, die Nacht durchtanzen oder einfach ein gutes Buch bei guter Musik lesen.
STERN PAID 34_33 Für immer jung Titel 6.15
Sich innerlich jung fühlen bringt uns am Ende so viel mehr Lebensqualität, statt lediglich jung auszusehen. Allerdings ist auch das ein Privileg, das wir exakt so lange genießen können, bis wir ein so hohes Alter erreichen, dass der Körper unweigerlich Abbauzeichen zeigt, die über graue Haare hinausgehen. Wenn unser Kopf nicht mehr richtig mitspielt oder der Körper an Energie verliert, wenn unsere Knochen brüchig werden und wir auf Hilfe angewiesen sind, um das Haus zu verlassen, erst dann wissen wir, was altern wirklich bedeuten kann. Das sind die dunklen Seiten des Alters, gegen die aber nun mal kein Anti-Aging-Produkt der Welt hilft.
Alt werden wollen wir alle, alt sein will niemand. Wie schnell wie altern, das hängt laut Studien allerdings maßgeblich vom Zufall ab. Durch einen gesunden Lebensstil können wir zwar dazu beitragen, länger fit zu bleiben – aber dabei sollten wir eben auch nicht vergessen, zwischendurch einfach mal das Leben zu genießen. Es bringt uns schließlich auch nichts, 100 Jahre alt zu werden, wenn wir dafür ein Leben voller Verzicht führen. Das Altern ist also eigentlich nicht das Problem, sondern unser Blick darauf. Wenn es uns gelingt, dankbar auf die Veränderungen unseres Körpers zu blicken, dann werden wir gelassener mit ihnen umgehen können. Und wer weiß, vielleicht lernen wir dann sogar irgendwann, die Falten in unserem Gesicht als Zeichen für die Fülle unseres Lebens zu sehen.