Die Inflation sinkt langsam, die Konjunktur im Euroraum schwächelt, doch die Notenbank lässt sich Zeit: Sie hält die Leitzinsen konstant. Das könnte sich aber im Herbst ändern.
Die Europäische Zentralbank lässt die Zinsen im Euroraum trotz der zuletzt gesunkenen Inflation unverändert. Bei ihrer im Juni begonnen Zinswende lassen sich die Währungshüter rund um EZB-Präsidentin Christine Lagarde Zeit. Sie beschlossen in Frankfurt, den Leitzins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, bei 4,25 Prozent zu belassen. Der Einlagenzins, den Geldhäuser erhalten, wenn sie überschüssiges Geld bei der Notenbank parken, bleibt bei 3,75 Prozent.
Damit verzichtet die EZB darauf, ihre Geldpolitik direkt weiter zu lockern. Viele Ökonomen erwarten aber, dass die Notenbank bei ihrer nächsten Sitzung Mitte September die Zinsen senkt.
Alle Augen auf September
Für die Entscheidung nach der Sommerpause ließ sich die EZB alle Türen offen und vermied klare Hinweise. Künftige Zinsentscheidungen seien weiter abhängig von den Konjunkturdaten, bekräftigte Lagarde. Man entscheide von Sitzung zu Sitzung.
Lagarde verwies auf immer noch hohen Preisdruck: Die Gesamtinflation im Euroraum dürfte bis weit ins nächste Jahr über dem Zielwert bleiben, sagte sie. Auf der anderen Seite dürfte sich der Trend zu hohem Lohnwachstum, der den Währungshütern Sorge bereitet, im Jahresverlauf abschwächen und es bestünden Konjunkturrisiken: Die Wirtschaft der Eurozone sei im zweiten Quartal „wahrscheinlich langsamer gewachsen“ als im ersten.
EZB bleibt vorsichtig
Um die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auf Rekordhöhe gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen, hatte die EZB seit Juli 2022 zehnmal in Folge die Zinsen erhöht, ehe sie eine Pause einlegte. Im Juni senkte die EZB dann erstmals seit der Inflationswelle die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte.
Die EZB muss mit ihrer Geldpolitik einen Spagat bewältigen. Hohe Zinsen machen Kredite teuer. Das kann die wirtschaftliche Nachfrage bremsen und hohen Inflationsraten entgegenwirken. Teurere Kredite sind zugleich eine Last für die Wirtschaft und Privatleute, die sich Geld leihen – etwa Hausbauer. Senkt die EZB die Zinsen wiederum zu schnell, läuft sie Gefahr, dass die Inflation wieder anzieht.
„Der Kampf der europäischen Währungshüter gegen zu hohe Inflationsraten ist noch nicht gewonnen“, warnt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. Für die Zinsentscheidung am 12. September fordert er Augenmaß. „Die EZB sollte die Zinsen nur dann senken, wenn sie sicher sein kann, dass die Inflation im Euroraum verlässlich auf die 2-Prozent-Marke zusteuert.“
Inflation sinkt – aber langsam
Zuletzt hatte sich die Inflation im Währungsraum abgeschwächt. Die Rate fiel im Juni auf 2,5 Prozent nach 2,6 Prozent im Mai. Die Inflation nähert sich damit dem Ziel der EZB, die mittelfristig eine jährliche Rate von zwei Prozent im Währungsraum anstrebt und hier Preisstabilität gewahrt sieht.
Doch der Rückgang der Inflation im Euroraum ist zäh. Sorge bereitet Ökonomen auch, dass die Teuerungsrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmitteln, die „Kerninflation“, im Juni bei 2,9 Prozent stagnierte.
Kritik an Lockerung
Manche Ökonomen kritisieren daher die Zinswende der EZB. Der EZB-Rat dürfte die Leitzinsen bereits auf der nächsten Sitzung im September senken, „sofern es die Inflationsdaten halbwegs hergeben“, meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Weitere Schritte sollten im Dezember und im März nächsten Jahres folgen. Er monierte: „Diese Zinswende ist jedoch verfrüht, weil das Inflationsproblem noch nicht gelöst ist.“
Derzeit sehe es gut aus für eine nächste Zinssenkung im September, meint auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank. Eine sehr plausible Annahme für alle, die Geld sparen oder aufnehmen wollten, laute, „dass sowohl die kurzfristigen Zinsen als auch die langfristigen Zinsen in den kommenden Quartalen weiter sinken werden“.
Sparzinsen bereits gesunken
Die jüngste Zinssenkung der EZB im Juni spüren Sparer bereits bei ihrer Bank. Nach einer Analyse des Vergleichsportals Verivox zahlten überregionale Geldhäuser zum Stichtag 15. Juli im Schnitt 1,69 Prozent für Tagesgeld. Anfang Juni waren es noch 1,72 Prozent. Bei Sparkassen (0,62 Prozent) und regionalen Genossenschaftsbanken (0,64 Prozent) gab es im Mittel wesentlich weniger.
„Viele Banken und Sparkassen haben die jüngste Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank schnell an die Sparerinnen und Sparer weitergereicht“, so Verivox. Auch die Festgeldzinsen über zwei Jahre fielen – von im Schnitt 2,82 Prozent Anfang Juni auf zuletzt 2,79 Prozent.
Keine Erleichterung für Hausbauer
Weniger erfreulich sieht es für Schuldner aus. Baufinanzierungen etwa sind zwar etwas billiger als im vergangenen Herbst, seit mehreren Monaten haben sich die Konditionen aber auf erhöhtem Niveau eingependelt. Die Zinsen für Kredite mit 10 Jahren Zinsbindung lagen laut FMH-Finanzberatung zuletzt bei rund 3,7 Prozent und bei 3,85 Prozent für eine 15-jährige Bindung. Zumindest in den kommenden Wochen dürfte es bei den Bauzinsen kaum Bewegung geben, erwarten Kreditvermittler.