Seit einigen Jahren können Mineralölkonzerne ihre Emissionen mit Klimaprojekten im Ausland ausgleichen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil es einige Projekte wohl nie gegeben hat.

Unternehmen müssen nicht unbedingt teure Klimazertifikate kaufen, um ihre CO2-Bilanz zu verbessern. Sie können ihre Emissionen auch durch eigene Klimaprojekte im Ausland ausgleichen. Doch die Idee der ehemaligen Merkel-Regierung fällt wohl in die Kategorie „nett gedacht, schlecht gemacht“: In mehreren Fällen haben Ölkonzerne zusammen mit Prüfstellen offenbar getrickst und gelogen.

Wie konnte es dazu kommen? Und warum haben die deutschen Behörden nicht genauer hingeschaut?

Worum geht es bei den Betrugsvorwürfen?

Mineralölkonzerne sollen Emissionsprojekte in China gefälscht haben und damit ihre Klimabilanz geschönt haben. Erste Hinweise auf den Betrug erhielt das Umweltbundesamt (Uba) nach eigenen Angaben Ende August 2023. Konkrete Belege lieferte schließlich eine chinesische Firma mehr als ein halbes Jahr später, berichtet die Behörde dem stern. Demnach sei die Firma in Unterlagen eines Unternehmens als Projektträger genannt worden, obwohl sie mit dem Projekt nichts zu tun hatte. Zuerst hatte das ZDF-Magazin „Frontal21“ über die Vorwürfe berichtet.

Größte Klimasünder

Um was für Projekte handelt es sich?

Seit 2007 sind Mineralölkonzerne verpflichtet, den CO2-Ausstoß ihrer Kraftstoffe zu reduzieren, zum Beispiel durch den Einsatz von nachhaltigen Biokraftstoffen, grünem Wasserstoff oder E-Fuels, durch die Bereitstellung von Strom für Elektrofahrzeuge oder durch das Recycling von Emissionen. Die sogenannte Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) regelt dabei, wie viel CO2 ein Unternehmen einsparen muss. 2020 entschied die damalige Regierung Merkel, dass sich Firmen auch Klimaschutzprojekte im Ausland anrechnen lassen können, um die Ziele zu erreichen. Diese so genannte Upstream-Emissionreduction (UER-/Emissionsminderungsprojekte) dient vor allem Gas- und Ölkonzernen dazu, Kohlenstoff einzusparen. Die Projekte werden von akkreditierten Stellen geprüft und danach vom Uba genehmigt.

Weltweit zählt die Behörde 79 solcher Projekte, 67 davon in China. Hinter 40 dieser Projekte vermuten die deutschen Behörden allerdings Tricksereien. Möglicherweise haben sich die Unternehmen mehrfach Klimaschutzbeiträge anrechnen lassen, die es nie gegeben hat, weil die Anlagen nicht existieren. Das Uba hat die Projekte mithilfe von Satellitenaufnahmen überprüft und festgestellt, dass mancherorts nur Steppen oder Hühnerställe statt Anlagen zu sehen sind. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wäre die Klimabilanz des deutschen Verkehrssektors deutlich schlechter als angenommen.

Gibt es Auswirkungen für Verbraucher?

Das ist nicht ganz klar. Unternehmen können die Kosten für die Emissionsminderungen über die Spritpreise an die Verbraucher weitergeben. Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet von 4,5 Milliarden Euro, die die deutsche Mineralölindustrie und Autofahrer auf diese Weise bezahlen mussten. Deutsche Medien berichten von gut einer Milliarde Euro. Uba und Umweltministerium versichern dagegen, dass der Betrug den Verbrauchern finanziell nicht geschadet habe. Anders als bei nachhaltigen Kraftstoffen schlugen sich die UER-Projekte nicht in den Tankstellenpreisen nieder. Auch Steuermittel seien nicht verbraucht worden: „Die Bundesregierung hat kein Geld in die Förderung dieser Projekte investiert“, betont das Umweltministerium.IV Foodwatch Warnhinweise für mehr Klimaschutz 11.00

Schädlich waren die mutmaßlich gefälschten Projekte demnach vor allem für die Umwelt und das Klima.

Warum hat das Uba die Projekte nicht genauer geprüft?

Deutsche Behörden haben in China keine hoheitlichen Rechte, wie das Uba auf Anfrage mitteilt. Für Vor-Ort-Besuche sind staatliche Prüfer auf Genehmigungen chinesischer Behörden angewiesen – die aber offenbar nicht erteilt wurden. Stattdessen haben externe, unabhängige Stellen, so genannte Validierer, die Projekte geprüft. Auf deren Grundlage hat das Uba dann die Projekte genehmigt und die Klimabeiträge anerkannt.

Das Uba geht mittlerweile davon aus, dass sowohl die Mineralölfirmen als auch externe Prüfer mutmaßlich betrogen haben. Bei der Aufklärung arbeitet die Behörde mit einer internationalen Anwaltskanzlei zusammen, die in China sitzt und sich auf Wirtschaftsbetrug spezialisiert hat.

Was sagen die betroffenen Prüfstellen zu den Vorwürfen?

Die in die Betrugsvorwürfe verwickelten Unternehmen halten sich auf stern-Anfrage bedeckt. Von der Prüfungsorganisation Verico SE hieß es, man prüfe die Vorwürfe intern. Fragen zur Akkreditierung wich das Unternehmen aus. Auch die Beraterfirma Müller BBM führt nach eigenen Angaben eine „detaillierte Prüfung durch“ und will sich deshalb derzeit nicht weiter äußern.

Kontinenten mit den meisten klimaschädlcihen Konzernen

In die Kritik geraten ist auch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS). Bei ihr müssen sich Prüfstellen akkreditieren lassen, die Projekte im Bereich Treibhausgase prüfen und zertifizieren. UER-Projekte sind davon allerdings ausgenommen, teilte die DAkks dem stern mit. Bundesweit gebe es keine Prüfstelle für China-Projekte.

Wie reagiert das Umweltministerium?

Umwelt- und Entwicklungsministerin Steffi Lemke steht nach dem Betrugsskandal massiv unter Druck. CDU und SPD forderten eine schnelle Aufklärung des Falls. SPD-Umweltpolitiker Daniel Rinkert kritisierte, das Uba habe die Kontrolle der Projekte „in erheblichem Umfang vernachlässigt“ und macht Lemke dafür verantwortlich. Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Anja Weisgerber, monierte zudem, Lemke drücke sich vor den Fragen des Umweltausschusses.

Die grüne Politikerin versucht von sich abzulenken und schiebt die Schuld auf ihre Vorgänger in der Großen Koalition. Diese hätten ein betrugsanfälliges System eingeführt, das diese „schwere Umweltkriminalität“ erst ermöglicht habe. In einer schriftlichen Stellungnahme an den stern kritisierte Lemkes Ministerium vor allem die Kontrollmöglichkeiten als „absolut unzureichend“. Warum die Betrugslücken unter der Ampel-Regierung nicht früher geschlossen wurden, beantwortet das Ministerium dagegen nicht.

Wie geht es nun weiter?

Das Umweltbundesamt hat im Mai die Betrugsfälle bei der Staatsanwaltschaft Berlin angezeigt. Diese ermittelt nun gegen 17 Personen, darunter die Geschäftsführung der betroffenen Unternehmen sowie Mitarbeiter der Prüfstellen. Sie stehen im Verdacht, der Deutschen Emissionshandelsstelle falsche Daten übermittelt zu haben. Bei einer Durchsuchung der Firmen in Kerpen, Köln und Langebach beschlagnahmte die Polizei zahlreiche Unterlagen.

Das Uba hat inzwischen einen für die UER-Projekte zuständigen Mitarbeiter aus der Deutschen Emissionshandelsstelle für mehrere Monate freigestellt. Zudem würden alle 79 Auslandsprojekte – auch die außerhalb Chinas – überprüft. „Bei Fehlern werden diese Projekte rückabgewickelt“, teilt das Uba mit. Bei zwei Projekten sei dies bereits geschehen, zwei Anträge würden derzeit gestoppt. Es gebe aber Hinweise, dass noch weitere Projekte betroffen sein könnten.Klimazertifikate 12.52

Auch das Umweltministerium hat Konsequenzen gezogen: Seit dem 1. Juli können sich Mineralölkonzerne keine Klimaschutzprojekte aus dem Ausland mehr anrechnen lassen. Ein Entwurf der geänderten Verordnung kursierte bereits im Februar. Noch laufende UER-Projekte werden in diesem Jahr und in Ausnahmefällen noch bis 2025 anerkannt. Aber spätestens dann ist Schluss. Unternehmen können ihre THG-Quote nur noch durch Erneuerbare Energien in Deutschland verbessern.

 

Quellen:Bundestag, ZDF/Frontal21, Umweltbundesamt