1949 erteilen die Wiesbadener Jugendschützer ihre erste Altersfreigabe für einen Film – mit dem Zusatz „nicht geeignet für die stillen Feiertage“. Was hat sich seitdem geändert?
In einem dunklen Kinosaal mit 100 Sitzplätzen sitzen nur fünf Frauen und Männer, mit Tablets und Laptops auf den Knien. Sie machen sich Notizen zu einem brandneuen Spielfilm. Danach werden sie im Wiesbadener Murnau-Filmtheater diskutieren. Sie analysieren für die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), ab welchem Alter Kinder diesen Streifen sehen dürfen. Am Donnerstag (18. Juli) jährt sich die Gründung dieser Organisation für den Jugendschutz zum 75. Mal.
Welchen Film analysieren die Prüfer gerade? FSK-Geschäftsführer Stefan Linz lächelt vor der verschlossenen Saaltür: „Das darf ich nicht sagen.“ Noch ist der Film nicht in den Kinos angelaufen. „Oft bringt auch eine Security-Frau oder ein Security-Mann einen neuen Film auf einer verschlüsselten mobilen Festplatte zu uns“, sagt Linz.
Fünf Stufen der Altersfreigabe gibt es: ohne Beschränkung ab null Jahren, ab 6, 12 oder 16 Jahren sowie keine Jugendfreigabe (FSK ab 18). Kriterien für die Einstufung sind etwa, ob Konflikte bedrohlich auf kleinere Kinder wirken können. Welche Bildfolgen können Mädchen und Jungen in welchem Alter wie verkraften? Wie zeigen Jugendfilme Gewalt und Sex?
„Bekannteste Jugendschutzmarke“
Die FSK mit Sitz in Wiesbaden sieht sich nach eigenen Angaben als „die bekannteste Jugendschutzmarke in Deutschland. Kindern, Jugendlichen und Eltern bieten einheitliche und verlässliche FSK-Altersfreigaben für Filme und Serien eine wichtige Orientierung in einer sich ständig verändernden Medienlandschaft“. Das reiche von der Einlasskontrolle im Kino über Alterseinstellungen bei Streaminganbietern bis hin zu abendlichen Sendezeiten im Fernsehen und Beschränkungen beim Kauf von DVD oder Blu-Rays.
Am 18. Juli 1949 prüfte die FSK ihren ersten Film, „Intimitäten“ von Paul Martin, und gab den Streifen ab 16 Jahren frei, mit dem Zusatz „nicht geeignet für die stillen Feiertage“. Heute teilt die Organisation mit: „Seitdem wurden über 520.000 filmische Inhalte geprüft. Eine einzelne Person bräuchte 32 Jahre, um alle Inhalte mit FSK-Altersfreigabe ohne Unterbrechung zu sehen.“
Enthaltung unzulässig
Mehr als 180 Prüferinnen und Prüfer nehmen für die FSK neue Filme unter die Lupe, fast alle ehrenamtlich. Die Organisation legt laut Geschäftsführer Stefan Linz Wert darauf, dass sie aus verschiedenen Berufsgruppen von Lehrern bis zu Staatsanwältinnen stammen. „Sie diskutieren im Durchschnitt 15 bis 20 Minuten über die passende Altersfreigabe. Es kann aber auch mal eine Stunde dauern“, erklärt Linz. Die Zahl der Prüfer ist stets ungerade – und eine Enthaltung unzulässig. Somit gibt es immer eine Entscheidung. Laut FSK werden „jährlich über 13.000 filmische Inhalte geprüft und freigegeben, darunter 1.500 Filme, 6.500 Serienepisoden, 2.000 Werbespots, 1.000 Trailer und weitere Inhalte“.
Der Vorsitzende der Prüfausschüsse, Michael Schmidt, erklärt: „Es ist motivierend, einen Beitrag zu einem akzeptierten, verlässlichen, qualitativen und zeitgemäßen Jugendmedienschutz beizutragen.“ Bei seinen Analysen treibe ihn „die Auseinandersetzung mit der Vielfalt des Mediums und des Kulturguts Film an“.
Bewertungskriterien ändern sich
Wobei sich die Perspektiven im Laufe der Zeit ändern können. FSK-Geschäftsführer Linz nennt zwei Beispiele. So hätten einerseits gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Filmen der 50er und 60er Jahre eine Jugendfreigabe verhindern können – im Gegensatz zu heute. Andererseits gebe es nun auch bei Prüfern eine höhere Sensibilität bei diskriminierender Sprache etwa hinsichtlich Religion und Hautfarbe als früher.
Die Anbieter von filmischen Inhalten müssen für die Prüfungen zahlen – zum Beispiel 1.000 bis 1.260 Euro für eineinhalbstündige Kinospielfilme und knapp 100 Euro für Serienepisoden unter 30 Minuten.
Das Deutsche Jugendinstitut in München spricht mit Blick auf die FSK von Orientierung für Familien. Die privatwirtschaftliche Organisation ermögliche es, „dass das Jugendschutzgesetz umgesetzt wird. Die Empfehlungen zu den Filmen wirken vermutlich auch befriedend, weil die Entscheidungen auf breite Akzeptanz stoßen.“ Dabei gehe es „nicht um pädagogische Empfehlungen“. Erklärungen gibt es aber schon – die FSK veröffentlicht Begründungen für ihre Entscheidungen bei Altersfreigaben.
„Kein Zensor“
Die Organisation nahe dem Wiesbadener Hauptbahnhof betont, sie sei kein Zensor. Beschwerden etwa von Eltern gebe es sehr wenige – und wenn, dann in beide Richtungen: Mal seien die Prüfer zu kritisch, mal zu nachsichtig. Film- und Serienanbieter können gegen Entscheidungen zu Altersfreigaben Berufung einlegen. „Das kommt in drei Prozent der Fälle vor“, sagt Linz. Etwa die Hälfte der Berufungen führe zur Änderung einer Altersfreigabe. Und was sagen die Kinder? Die FSK bemüht sich nach eigenen Worten, sie bei verschiedenen Projekten mit ins Boot zu holen, ihre Meinung zu hören, sie auch Prüfer spielen zu lassen.
Widersprüche bei Altersangaben
Mit Gewaltdebatten etwa über den „Tatort“ im Fernsehen hat die FSK nichts zu tun. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist selbst für Alterseinschätzungen zuständig“, erläutert Geschäftsführer Linz. Auch mit Gaming, also Videospielen, hat die FSK nichts am Hut: Hier gibt es für Altersfreigaben die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).
Anders sieht es etwa bei Serienanbietern an: Manche beauftragen die FSK mit dieser Aufgabe, andere kümmern sich selbst darum, mit der Folge, dass mitunter dieselben Bewegtbilder im Kino und auf dem Handy oder Tablet unterschiedliche Altersangaben haben. „Filme mit FSK-Freigabe werden online in etwa jedem fünften Fall mit einer abweichenden Altersangabe verbreitet“, teilt die FSK mit. Das schade dem Vertrauen in ihr Wirken: „Wir appellieren an die Länder, sich für einheitliche Kennzeichen einzusetzen.“