Nicht alle Abgeordneten des Bundestags gehen gut mit ihren Mitarbeitern um. Nun hat eine Fraktion einen neuen Verhaltenskodex beschlossen. Das sind die wichtigsten Punkte.

Die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz war in ihrer Fraktion berüchtigt. Immer wieder kursierten in der SPD Gerüchte, die Politikerin aus Essen behandele ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schlecht, zwinge sie permanent zu Mehrarbeit und lasse sie jedes Gespräch, ja sogar die Toilettengänge protokollieren. Auch die Fraktionsführung erfuhr davon. Doch weil Hinz die Vorwürfe bestritt, passierte lange nichts. 

Grüne beschließen Benimmfibel

Jahre später machte der Journalist Pascal Hesse die Vorwürfe publik. Im Zuge der Berichterstattung kam auch heraus, dass Hinz ihren offiziellen Lebenslauf gefälscht hatte. Kurz danach musste sie auf Druck der SPD ihr Bundestagsmandat abgeben und trat schließlich aus der Partei aus. Das war im Sommer 2016.

Bis heute gibt es in der Bundestagsfraktion der SPD keinen Verhaltenskodex für Abgeordnete für den Umgang mit ihren Mitarbeitern. Eine andere Fraktion hat hingegen gerade einen solchen beschlossen. Auf ihrer Fraktionssitzung am 25. Juni verständigten sich die Abgeordneten auf „Leitsätze für einen guten Umgang mit Abgeordnetenmitarbeiter*innen in der grünen Bundestagsfraktion“. 

„Wir haben eine Fürsorgepflicht und tragen Verantwortung für das Wohlergehen unserer Mitarbeiter*innen“, heißt es in der Einleitung. Dann werden konkrete Regeln formuliert. Hier die wichtigsten Punkte: 

Das Arbeitsverhältnis zwischen Abgeordneten und Mitarbeitern soll „von einer gegenseitigen Wertschätzung geprägt“ sein, die grünen Positionen auch „intern als Leitsätze“ gelten: „Wir Abgeordnete üben ein diversitätssensibles und diskriminierungskritisches Führungsverhalten aus.“ Dazu gehören laut Papier die Möglichkeit zum selbstständigen Arbeiten, regelmäßige Bürobesprechungen und klare Absprachen sowie regelmäßige Mitarbeitergespräche über Zusammenarbeit und Weiterentwicklung. Die Arbeitsaufgaben sollen klar und unmissverständlich sein. Auch soll regelmäßig geprüft werden, ob sie realistisch sind.Mitarbeiter und Mitarbeiter sollen „fair und leistungsgerecht“ bezahlt werden, sprich: tariflich. Zur Orientierung ist im Code of Conduct eine Gehaltstabelle mit vergleichbaren Positionen im öffentlichen Dienst (TVöD) beigefügt.Die Arbeitszeiten müssen dokumentiert werden. „Die Höchstarbeitszeit von 10 Stunden pro Tag darf nicht überschritten werden“, wird in dem Dokument gemahnt. Überstunden dürften nicht vorausgesetzt werden. Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage hätten grundsätzlich arbeitsfrei zu sein.Mindestens drei Monate vor einer Bundestagswahl soll mit den Mitarbeitern darüber gesprochen werden, ob sie mit einer Weiterbeschäftigung rechnen können.Urlaub diene der Erholung: „Die Mitarbeiter*innen müssen während des Urlaubs in keiner Form erreichbar sein.“Mobiles Arbeiten bzw. Homeoffice soll ermöglicht werden, „soweit es die betrieblichen Belange zulassen“: „Als Regel gilt dabei eine Mischung aus Präsenz im Büro und mobiler Arbeit.“ Es sei „ausdrücklich gewünscht“, dass Mitarbeiter Elternzeit nehmen und anschließend zu denselben Konditionen wieder arbeiten könnten.Bei Konflikten sollen schriftliche Vereinbarungen getroffen werden, um die Situation zu verbessern. Hilft dies nichts, werden die Abgeordneten aufgefordert, die Mitarbeitervertretung und/oder die so genannten „Vertrauens-„Abgeordneten hinzuzuziehen. 

Das Papier ist nicht der erste Code of Conduct der Grünen: Schon vor über zehn Jahren hatten sie Regeln beschlossen, die sie jetzt aktualisiert haben. In der bisherigen Fassung war unter anderem kein Hinweis auf eine tarifliche Bezahlung und auf Homeoffice-Regelungen. Auch die Vorgaben für das Verhalten in Konfliktsituationen wurden verschärft. „Als Grüne haben wir einen hohen Anspruch an den Umgang von Arbeitgebern mit Arbeitnehmer*innen. Das wollen wir auch selbst erfüllen, darum hat die Fraktion ihren Mitgliedern den Code of Conduct empfohlen“, sagte Anja Reinalter, eine der Parlamentarischen Geschäftsführerinnen der Grünen und maßgeblich an der Neufassung der Regeln beteiligt, dem stern.

Regeln sind einzigartig im Bundestag

Das ist einzigartig im Bundestag. Eine Abfrage des stern bei den anderen Fraktionen ergab: Keine hat einen ähnlichen Regelkatalog für den Umgang der Abgeordneten mit ihren Angestellten. 

Die FDP hat zwar einen Code of Conduct für den Umgang mit den Mitarbeitern, die bei der Fraktion angestellt sind, nicht aber für die Parlamentarier. Begründet wird dies damit, dass es sich bei letzteren um privatrechtliche Arbeitsverhältnisse handelt, die zwischen den jeweiligen Abgeordneten und ihren Mitarbeitern getroffen werden. Auch der Katalog der Grünen ist deshalb nur eine Empfehlung, aber rechtlich nicht verpflichtend.

In der Praxis heißt dies freilich oft, dass Politiker ohne größere Leitungserfahrung plötzlich zwei Büros (im Wahlkreis und im Bundestag) mit mehreren Mitarbeitern führen müssen, und das neben ihrer politischen Arbeit. Das führt immer wieder zu Fällen von Überforderung. 

Dennoch tun sich die Fraktionen schwer, ihren Mitgliedern Verhaltensregeln nahezulegen. Ein Grund dafür ist, dass laut Artikel 38 des Grundgesetzes Politiker in ihrem Mandat frei und an keinerlei Anweisung gebunden sind. Umgekehrt heißt dies allerdings, dass es wenig bis keine Kontrolle gibt, wie sie ihre Angestellten behandeln. 

Selbst die SPD hat nach der Affäre Hinz keinen Code of Conduct erstellt. Aus der Fraktion wird aber darauf verwiesen, dass Mitarbeiter von Abgeordneten einen Tarifvertrag bekommen, der mit der Gewerkschaft Verdi nur für sie vereinbart wurde. Allerdings sind nur jene Bundestagsabgeordneten an diese Vorgabe gebunden, die selbst Mitglied bei Verdi oder einer anderen Gewerkschaft sind. Das sind aber die meisten Sozialdemokraten im Bundestag. Im Gegensatz zum unverbindlichen Code of Conduct der Grünen ist der Tarifvertrag verbindlich.

Ansonsten appellieren die Sozialdemokraten an den guten Willen ihrer Politiker. „Bundestagsabgeordnete haben Arbeitgeberverantwortung. Dazu gehören selbstverständlich Arbeitnehmerrechte, gute Arbeitsbedingungen und gute Gehälter“, heißt es aus der Fraktion. 

Auch Linke, AfD und CDU/CSU teilten mit, nicht über einen Code of Conduct für die Abgeordneten zu verfügen. Die Linke verfügt aber über einen eigenen Betriebsrat für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Abgeordneten. 

Die Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht beantwortete die Anfrage des stern nicht.