Rad-Star Jonas Vingegaard schnauft während der Tour-Pause durch. Die Pyrenäen-Pleiten gegen Rivale Tadej Pogacar schmerzen den Titelverteidiger. Mit der Ruhe ist das zunächst nicht so einfach.
Für Jonas Vingegaard war an Ruhe am Pausentag der Tour de France zunächst nicht zu denken. Rund um das Team-Hotel in den Weinbergen Südfrankreichs brüllten die Zikaden um die Wette und Arbeiter bereiteten mit viel Krach ein Jazz-Festival auf dem Hof der Luxusanlage vor. Umso mehr schätzte der aktuell zurückliegende Titelverteidiger die gemeinsame Zeit mit seiner Familie. Kraft tanken vor der letzten Tour-Woche, um Rivale Tadej Pogacar doch noch zu besiegen.
„Es ist so schön, dass sie hier sind und ich Zeit mit ihnen verbringen kann“, sagte Vingegaard über den Besuch seiner schwangeren Ehefrau Trine und Tochter Frida. „Meine Familie bedeutet mir alles“, schob der 27-Jährige hinterher. Vor allem nach seinem schweren Sturz im April fand der Ausnahmefahrer Trost bei seinen Liebsten. „Es war nicht nur für mich eine harte Zeit, sondern auch für meine Familie.“
Corona-Angst bei Tour zurück
Aus Vorsichtgründen stellte er sich am Montag mit Corona-Maske den Fragen internationaler Journalisten. Bei der Frankreich-Rundfahrt ist die Corona-Angst zurück. Die Organisatoren hatten zuletzt wieder die Maskenpflicht für Journalisten im Umgang mit den Sportlern eingeführt. Einige infizierte Radprofis mussten die Tour verlassen. Viele Rennfahrer sollen trotz Corona weitermachen.
Nach der Pressekonferenz posierte Vingegaard dann wieder ohne Maske mit Fans und machte einige Selfies. Die Sorgen vor dem Virus sind aktuell bei ihm eher untergeordnet. Vielmehr will der Athlet noch einmal alle Kräfte bündeln, um den Doppel-Erfolg aus Giro- und Tour-Sieg des enteilten Widersachers Pogacar doch noch zu verhindern.
Nach den dramatischen Verletzungen durch den Sturz im Frühjahr hätte sein Team den derzeit zweiten Rang in der Gesamtwertung wohl gerne genommen. Spätestens seit Vingegaards emotionalem Tagessieg gegen Pogacar in der vergangenen Woche war der dritte Tour-Triumph zumindest realistisch geworden – auch wenn der Slowene weiter vor ihm stand.
Vingegaard: „Müssen auf schlechten Tag hoffen“
Doch spätestens mit den Erkenntnissen der Königsetappe und den beiden schmerzhaften Pleiten gegen Pogacar in den Pyrenäen rückte die Titelverteidigung in weite Ferne. Vingegaard kam knapp eine Minute nach Pogacar auf dem Plateau de Beille an, liegt in der Gesamtwertung etwas mehr als drei Minuten hinter seinem Kontrahenten im Gelben Trikot.
Der Tour-Champion und sein minuziös planendes Visma-Team wirken aktuell etwas ratlos. Ihnen scheinen die Gegenmittel im Schlagabtausch mit Pogacar auszugehen. Die Pläne scheinen aktuell auf einem „Vielleicht“ und „Möglicherweise“ zu beruhen. „Er wirkt sehr stark, aber wir haben gesehen, dass er in der Vergangenheit schwache Tage hatte. Vielleicht hat er das in der dritten Woche. Das weiß man nie“, sagte Vingegaard.
„Wir müssen also darauf hoffen, dass er einen schlechten Tag hat. Wenn er natürlich auf diesem Level bleibt, dann wird es hart“, fügte er hinzu. Das Hoffen auf einen Leistungseinbruch wie im vergangenen Jahr scheint aktuell nur schwer vorstellbar. Damals war der entkräftete Pogacar in der dritten Tour-Woche eingebrochen.
Niermann: Pogacar im Moment „unschlagbar“
Vingegaard und sein Team erlebten nach der Königsetappe auch eine gewisse Ohnmacht. Denn er selbst war stark aufgelegt. „Ich habe wahrscheinlich eine der besten Leistungen meines Lebens abgeliefert. Aber Tadej war einfach stärker“, haderte der 27-Jährige. Diese Einschätzung teilte auch sein sportlicher Leiter Grischa Niermann. „Im Moment scheint Tadej Pogacar unschlagbar zu sein, aber die finale letzte Woche steht uns noch bevor.“
Pogacar zeigte sich derweil entspannt. „Wir kommen zum Rennen mit einem großen Lächeln und hoffen, es in den nächsten Tagen zu einem guten Ende zu führen.“ Aktuell sieht es gut aus. Vingegaard bleiben nur noch zwei harte Etappen in den Alpen und das finale Einzelzeitfahren in Nizza am Sonntag, um den Slowenen von seinem dritten Gesamtsieg bei der Frankreich-Rundfahrt abzuhalten.
Was die Anzahl der Tour-Siege angeht, könnte Pogacar an der Côte d’Azur auf 3:2 stellen. Noch hat Vingegaard die Hoffnung, das zu verhindern. „Ich breche mental nie zusammen“, stellte er klar. Er habe seine Hoffnung noch nicht verloren. „Ich bin nicht hier, um Platz zwei zu erreichen. Ich werde alles tun, um den Sieg noch zu erreichen“, sagte Vingegaard.